II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 260

Der-Schleiender- Bierrette
23.
MANIA PEFLIN
S
Also ohne Träuenvergießen weiter. Vom lanweiligen
zum unterhaltenden Dohnanyi. Doch da müssen wir erst
r und Konzerte
an einem Herrn vorbei, der dem unterhaltenden Doh¬
utsches Opernhaus.
nänyi die wirksamen Redewendungen und Pointen eifrig
zuflüstert. Arthur Schnitzler ist es, der Autor der
na.“ Spieloper in einem Akt von
Pantomime „Der Schleier der Pierrette“, eines
I. Musik von Ernst von Doh¬
ziemlich robuste Wirkungen ausspielenden, filmstarken
rung. Hierauf: „Der Schleier
„Taubstummen=Dramas“. So etwa kommen mir musi¬
Pantomime in drei Bildern von
kalische Pantomimen immer vor. Pierrette entflieht
ler. Musik von Ernst von
ihrem Elternhaus am Hochzeitsabend, um mit Pierrot zu
sterhen. Er leert den Gistkelch, während sie solange
kmit einer gewaltigen Enttäuschung,
zandert, bis Pierrot tot zu Boden stürzt. Vor Entsetzen
ften Erfolg zu enden. Diese Tante
entfällt ihrer Hand das Glas; der vergiftete Wein ver¬
wie langweilig, wie kindlich naiv
rinnt. Pierrette muß leben bleiben. Das Grauen jagt
und wie großspurig erzählte sie alle
sie wieder nachhause. Dort wurde sie schon von ihrem
eiten derselben. Mit Pauten, Trom¬
mißtrauischen Bräutigam, ihren Eltern und von der gan¬
im wahrsten Sinne des Wortes
zen Hochzeitsgesellschaft vermißt.= Arlechino, der Bräu¬
erspäteter, eigentlich besser: abgestan¬
tigam, hat den fröhlichen Tanz der Gäste mit seinen Wut¬
ur Geltung. Und wegen dieser un¬
ausbrüchen über das Ausbleiben der Braut gestört. Schon
egebenheit aus der Rokokozeit eine
will er davonstürzen, da betritt Pierrette lächelnd den
r noch eine Ouvertüre? Ernst von
Saal. Ihre Schmeicheleien und Ausflüchte bleiben bei
wenn er diesem Textbuch eine be¬
Arlechino ohne Wirtung. Der fehlende Brautschleier, so¬
kung zuschrieb. Selbst ein Wolf¬
wie das verstörte Wesen seiner Braut, der der tote Lieb¬
se Limonade nicht in moussierenden
haber erscheint, bestärken seinen Verdacht. Mit ihr folgt
ndeln. Aber Ernst von Dohnanyi
er dem Phantom bis in das stille Zimmer mit Pierrots
ber seine Fähigkeiten sehr bedauerlich
Leiche. Schnell hat Arlechino den Zusammenhang be¬
Spieloper! Stellt man sich im vor¬
griffen. Eine furchtbare Rache will er an seiner Brant
or, als eine leichte, dahinfließende,
nehmen. Er schleppt den toten Pierrot auf einen Sessel,
In der Ouvertüre quackerten die
trinkt ihm zu und zwingt Pierrette zu Liebkosungen.
dann gab es irgendwo einmal einen
Dann stürzt er davon und verriegelt die Tür. Allein mit
akt. Alles übrige Don Quixoterien!
dem Toten, steigert sich die grausige Erregung Pierrettes
waltig, wo es nicht angebracht war.
zum Wahnsinn. Schließlich sinkt sie tot an Pierrots
gel des Orchesters fegten auch noch
Leiche zusammen. Hereindringende Freunde Pierrots
chen von erbaulichen Möglichkeiten
stehen entsetzt vor dem furchtbaren Schauspiel.
ieb ein imponierendes Plus von Ge¬
An faszinierender Bühnendramatik, wenn auch jener,
Für die Zuhörer war die Sache
die ihre Wirkungen aus graulichen Sensationseffekten
kte wohl oder übel und machte nach
schöpft, ist Arthur Schnitzlers Pantomime überreich. Zum
rhanges seiner Freude über die Be¬
Glück für seinen literarischen Ruhm ist es eben nur eine
chicksalsprüfung in gewaltigen Bei¬
Pantomime, die von diesem Uebermaß an haarsträuben¬
hnanyi ist uns aber als Pianist und
den Gewaltmitteln zehrt. Und was die Prägnanz dieser
mermusiken zu wertvoll, um ihm
Gewaltmittel anbelangt, so ist sie prima=prima im
Niete besonders nachzutragen, wenn¬
Rahmen einer Pantomime. Man denke nur: Lebens¬
eheim fragen muß, warum wir sie
lust (mit einem dicken Klavierspieler am Flügel), Melan¬
n. Wer sich zwar in Charlottenburg
cholie (ein Pierrot), Liebeslust, ein üppiges Nachtmahl
die Hardenbergstraße direkt auf die
(Stilleben la), feurige Küsse, vergifteter Wein, Taumel,
Und — „Es führt kein anderer
I bums: die erste Leiche! Angst vor der Entdeckung,
box 28/1
——

Walzerstimmung, Hochzeitstänze (mit einem dünnen
Klavierspieler am Flügel), erwachendes Mißtrauen des
Bräutigams, die fehlende Braut, der Wutausbruch (eine
defette Violine, zerschlagenes Geschirr, der Tanzmeister
triegt eine runter), die wiedergefundene Braut, der Geist,
wilder Tanz, nochmal ein Geist, der fehlende Braut¬
schleier, der Tote, die Rache, der Wahnsinn, Taumel,
bums: die zweite Leiche! — Summa summarum: Der
Schrei nach dem Kientopp! —
Für einen Komponisten eröffnet ja dieses Libretto eine
geradezu glänzende Perspektive. Alle Register kann er
aufziehen, vom Walzer bis zum Trauermarsch. Doh¬
nanyi tat dies auch, und es läßt sich nicht anders sagen,
mit ebensoviel Geschick, wie mit gutem Talent. Seine
Musik charakterisiert, unterstreicht, malt, präzisiert vor¬
trefflich. Sie ist in der Innenarchitektur, wie in der
orchestralen Ausgestaltung das eindrucksvolle Werk eines
berufenen Musikers, ungeachtet mancher Anlehnungen,
ungeachtet auch des manmal allzu aufgeregt knatternden
Blechs. Der Walzer des zweiten Bildes ist ein Pracht¬
stück, er wird Erfolg haben. Ueberhaupt trifft Dohnanyi
hier gegebenenfalls den seinen, zierlichen Ton, der seiner
„Spieloper“ mangelt.
Die Darstellung der „Tante Simona“ mit den Damen
Marc, Painter Fink den Herren Lehmann,
Waschmann, Kandl erbrachte keine außergewöhn¬
lichen Eindrücke nach der gesanglichen Seite hin. Rud.
Krasselt dirigierte das mißglückte Operchen. Sehr
hübsch war das Bühnenbild. Vielleicht ist es die einzige
nette Erinnerung an die tantenhaft aufgeputzte Atrappe.
„Der Schleier der Pierrette“ hatte in Elsa
Galafrés eine Darstellerin der Pierrette, wie sie in
dieser Virtuosität der Ausdrucksmittel schwerlich wieder
anzutreffen ist. Vom liebesseligen Kosen bis zum wahn¬
sinnigen Totentanz eine unvergleichlich detaillierte und
im ganzen doch wieder großzügige Leistung. Auch
Einar Linden als Pierrot ließ nichts zu wünschen
übrig. Das dazu gehörige Ensemble gruppierte sich mit
Edwin Heyer als Arlechino überaus sicher und
schlagkräftig um die Hauptdarsteller. Die Inszenierung,
wie in „Tante Simona“ von Dr. Hans Kaufmann
besorgt, offenbarte eindrucksvolle Bühnenbilder. Doh¬
nanyi dirigierte die Pantomime selbst. Der zum Schluß
lebhaft ausbrechende Beifall rief auch ihn wiederholt auf
die Bühne.
Edmund Kühn.