II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 263

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23. Der Schleiender Pierrette
Zu diesem Text hat Dohnänyi eine Musik geschrieben,
die reich an hübschen Einfällen ist. Sie ist immer charakteristisch, wenn
auch die größere melodische Linie fehlt. Jedoch muß man sagen, daß
das Werk stilistisch nicht einheitlich ist. Zwischen diesem harmlosen
Sujet und dem blechgepanzerten Wagnerorchester, mit dem Dohnänyi
arbeitet, liegt eine Kluft, die selbst bei der prachtvollsten Instrumen¬
tierungskunst nicht zu überbrücken ist. Aber das ist ja ein bedauer¬
liches Zeichen unsrer heutigen Bühnenmusik: Mangel an Stilgefühl.
Immer mit Kanonen nach Spatzen schießen! Durch den großen reich¬
haltigen Instrumentalkörper verführt, legt auch Dohnänyi den Haupt¬
teil der musikalischen Entwicklung in das Orchester. Eine Spieloper
sollte aber in erster Linie Gesangsoper sein. Dohnänyi hat in seinem
kleinen Werk gezeigt, daß er Humor besitzt. Vielleicht denkt er einmal
daran, daß gerade die heitere Musik der geringsten Mittel bedarf, um
zu wirken. Dann können wir von ihm noch Schönes auf diesem Ge¬
biet erwarten. Dem Einakter wurde eine anerkennenswerte Auf¬
führnug zuteil. Das Hauptverdienst darau gebührt Kapellmeister
Rudolf Krasselt durch die leichtbeschwingten Tempi und die
feinfühlige Ausarbeitung des Orchesterparts. Auf der Bühne trug
Mizzi Fink als Zofe den Preis davon. Mit den übrigen Dar¬
stellern, Louise Marck (Donna Simona), Eleanor Painter
(Beatrice), Ernst Lehmann (Graf Florio) und Karl Wasch¬
mann (Graf Ghino) konnte man zufrieden sein. Alle Mitwirkenden
hnin
konnten mit dem Komponisten für den freundlichen Beifall des
AF- KIMEURSWS -Scische Zeitung, Berlin
Hauses danken.
„Tante Simona“ war nur ein Auftakt zu der grausigen Panio¬
mine „Der Schleier der Pierrette“, deren Verfasser Arthur:
Schnitzler ist. Hier spielen alle Leidenschaften und Stimmungen
in demahmen von drei Bildern voller unerhörter Kontraste, die
die Phantasie des Zuschauers aufs äußerste anspannen und erregen.
Kunst und Wissenschaft.
Pierrette eilt von ihrem Hochzeitsfest zu Pierrot, ihrem Geliebten,
um einen letzten Abschied von ihm zu nehmen und mit ihm zusammen!
Dohnänyi im Deutschen Opernhaus.
zu sterben. Sie mischt Gift in den Wein, vermag aber den Trank
„Tante Simona“ und „Der Schleier der Pierrette“.
nicht über die Lippen zu bringen. Der arme Pierrot ist mutiger;
„Tante Simona“ ist eine Spieloper in einem Akt, deren Li¬
er trinkt sich den Tod. Von seiner Leiche eilt Pierrette zum Hochzeits¬
bretto Victor Heindel verfaßt hat. Man kann sich kaum etwas
fest zurück, wo Arlechino, ihr Bräutigam, sie in maßloser Wut über;
Harmloseres denken. Die Tante lebt abgeschlossen von aller Welt
ihr Ausbleiben erwartet. Sie versucht ihn zu besänftigen; aber die
und will ihre Nichte Beatrice vor den gefürchteten Männern be¬
dreimalige geisterhafte Erscheinung des toten Pierrot läßt sie nicht
wahren. Aber Giacinta, die Zofe, säumt nicht, das junge Mädchen
zur Ruhe kommen. Da vermißt Arlechino ihren Schleier, den sie in der
aufzuklären. Beatrice liebt! Eines Tages ritt an ihrem Hause ein
Wohnung ihres Geliebten vergessen hat. Sie will ihn holen. Ihr
Graf vorbei, dem sie spielend Rosen vom Altan aus zuwarf. Natür¬
Bräutigam folgt ihr. Nun wird ihm die Untreue Pierrettes klar
lich entflammte sofort die Liebe in ihnen. Der Graf verdingt sich
und er nimmt entsetzliche Rache. Er schließt die Unglückliche bei der
bei Tante Simona als taubstummer Gärtnergehilfe, um sich der
Leiche ein, wo sie in Wahnsinn verfällt und neben Pierrots Leiche toi
Geliebten nähern zu können. In einem unbewachten Augenblick gibt
zusammenbricht.
er sich zu erkennen. Aber in ihrem Liebesdnett werden die beiden
Die Musik, mik der Dohnänyi diese Pantomime begleitet, ist
durch die Tante gestört. Die weist den gräflichen Gärtner aus ihrem
in ihrer Ausdruckswahrheit genial zu nennen. Hier verschmilzt Ton
Haus und will Beatrice zur Besserung ins Kloster bringen. Da er¬
und Bewegung zu einem Ganzen von seltener Einheitlichkeit. So
scheint als Retter in der Not ein zweiter Graf, der die Tante liebt.
feinnervig ist diese Musik, daß sie den Zuhörer bedingungslos in
Und als sie nun selbst dem Zauber erliegt, wird sie im zärtlichen
ihren Bann zwinat. Dohnänyis Kunst der Situationsschilderuna
Duett von dem jungen Paar überrascht und muß klein beigeben.
Sn

fist außerordentlich. Hier ist
apparats am Platze, dessen
mischen versteht. Die Wie
Elsa Galafrés als Pi
ungeheurer Eindringlichkeit
szene des letzten Bildes
wirkte. Einar Linden
ebenbürtiger Partner, währ
erst etwas hölzern erschien,
wuchs. Die Inszenierung
Opernhaus gewohnte Güte.
svoll, und die Spielleitung
vortefflichen Händen. Der
selbst dirigierte, war groß
waltige Dimensionen an u
nehmen.