II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 273

23. Der Schleiender Bierrette
Ausechultt aus:
Mardohre#i#
11.3071.19
VUM:
9 Zeitung
M
J-
Berliner Cheaterbrief.
(Tante Simona. Der Schleier der
Pierrette.
Dem gestrigen Abende in dem rührigen Charlot¬
tenburger Opernhause sahen die interessierten Kreise
der Reichshauptstadt mit hochgespannter Erwar¬
tung entgegen. Zum ersten Male sollte näm¬
lich der geistvolle Klaviervirtuose und Schöpfer
so manches fein empfundenen Werkes für Kam¬
mermusik Herr Ernst v. Dohnanyi sich auch
als Verfasser von szenischen Werken vor der
großen Oeffentlichkeit zeigen. Nach seinen bis¬
herigen Kompositionen mußte man ihn für einen
Anhänger derjenigen künstlerischen Anschauung
halten, der die edlen Kunstformen in Ehren
hält, die Bizarrerien der modernen orchestralen
Pyrotechnik und ihre rhythmischen wie ihre
harmonischen Ungeheuerlichkeiten mit gutem
Grunde vermeidet, der aber gleichwohl nicht in
pedantischer Philiströsität am Alten festklebt,
nur deshalb, weil er eben zu hohen Jahren ge¬
kommen. Kurz, man erwartete eben von dem
hochgeschätzten Meister im Konzertsaal auch
etwas Ungewöhnliches als Komponist für die
Bühne. Da bereitete dann freilich die ein¬
aktige komische Oper „Tante Simona“,
zu der Herr Viktor Heindl einen weniger als
harmlosen Text geschrieben, eine recht peinliche
Enttäuschung. Diese läppische Liebesgeschichte
aus der Zeit des auskliugenden Rokoko, dieser
Liebhaber, der sich als taubstummer Gärtner in
die Villa der Tante Simona einschleicht, der
aber in Wahrheit selbstverständlich ein Graf ist,
diese gute alte Tante selbst, die von keiner
Mannerfeele etwas wissen will, um schließlich
doch ihrem Jugendfreunde in die Arme zu
sinken — all dieser abgenutzte Opernkram ist
heutzutage schlechterdings unmöglich geworden
und die poetische Schlußmoral „Erglänzt die
Welt im Frühlingsgold, da lacht der kleine
Flügelbold, bei wie das traf, hei wie das sitzt,
die Leutchen sind ganz närrisch itzt; ein nimmer¬
müdes Liebesfest? Greif, Menschlein, zu und
greif recht fest, und saß das Glück beim Schopfe
an, daß nimmer es entlausen kann“, ist
unseres Erachtens auch nicht dazu angelan, eine
gehobene Stimmung unseres Gemütes auszu¬
lösen. Nun hätte man doch voraussetzen müssen,
daß der textlichen Unterlage gemäß sich auch die
Musik in zierlichen, gesälligen Wendungen und
Melodien bewegen würde. Aber weit gefehlt!
Sieht man von dem rhythmisch pikanten, im
Charakter eines musikalischen Lustspiels ge¬
haltenen Vorspiel und allenfalls noch einm
Zwiegesange zwischen Florio und Beatrice ab,
so fällt alles Uebrige ganz und gar aus dem
Rahmen des Kleingenres heraus. Der Wider¬
spruch zwischen dem aufgebotenen Großauswand
der Ausdrucksmittel und der Kleinlichkeit der
Bühnenvorgänge ist so kraß, daß er allerdings
komisch wirkt, aber unfreiwillig! Ueberall guckt
die Nibelungen=Weise des Baireuther Zauber¬
mannes heraus. Da hat sich denn Herr
Dohnaryi einmal recht arg vergriffen.
Indessen ist es ihm mit seiner musikalischen
Illustration zu Arthur Schnitzlers „Schleier
der Pierrette“ ganz bedeutend besser von der
Hand gegangen. Diese dreibildrige Pantomime
mit dem dickausgetragenen Kinograuen scheint
die mu sikalische Phantasie unseres Komponisten
ung'eieh mächtiger angeregt zu haben als jene
Heir bliche Kindlichkeit. Es sind#lich auch
hier keine stärker hervortretenden Persönlichkeits¬
momente zu spüren, keineswegs; es wimmelt
vielmehr förmlich von Reminiszenzen aus der
wagnerischen und nachwagnerischen Musikwelt.
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anzulegen, wie bei dem angenommenen Film¬
pathos. Die Zuhörerschaft folgte indessen willig
den grausenmachenden Bühnenvorgängen und
den äußerst geschickt sich ihnen anschmiegenden
musikalischen Versinnbildlichungen. Wird sich
dieses Genre des durch Orchesterbeimischungen
veredelten Balletts, bei dem es auf Tonkunste
nicht eben viel anzukommen scheint, auf die Dauer
einbürgern können? Die Darstellung der Panto¬
mime war im ganzen und großen recht gelungen.
Für das kleine musikalische Genrebildchen „Tante
Simona“ erwies sich jedoch das Riesenhaus in
Charlottenburg als völlig ungeeignet. Derlei
Sächelchen müßten in einem entsprechend zier¬
lichen Raume vorgeführt werden.
Berlin, 10. April 1913. Eusebius.