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23. Der Schleiender Pierrette
Schaubühne, Berlin
vom: 17. APf
191
—
F
„
Spieloper und Pankomime
von Fritz Jacobsohn
EErnst von Dohnanyi hat sich auf beiden Gebieten versucht
S und hat mit der Spieloper Tante Simona' ebensoviel Mi߬
erfolg gehabt wie mit der Pantomime „Der Schleier der
Pierrette Erfolg. Die Spieloper ist zum großen Teil an dem
minderwertigen, ganz indiskutablen Text gescheitert, und bei
der Pantomime hat Schnitzlers handfestes, spannendes und
raffiniertes Buch den Hauptanteil am erfreulichen Eindruck.
Dohnänyi ist als Pianist geschätzt, als Kammermusik=Kom¬
ponist geachtet und als dramatischer Komponist ein Neuling.
Nach dieser Spieloper zu urteilen, steht er den Anforderungen
der Opernbühne hilflos gegenüber. (Davon gar nicht zu reden,
daß ein Komponist, der dieses Textbuch dem Papierkorb vor¬
enthält, nicht gerade schmeichelhafte Rückschlüsse auf sein geistiges
Niveau zuläßt.) Aber dem Musikantentum Dohnänyis in
absolutem Sinne ist die Sympathie nicht zu versagen. Er
hat sich bei dieser Spieloper im Stil und Ton zwar ganz
und gar vergriffen, hat ein Sammelsurium bekannter Phrasen
und Themen zusammengeschrieben und macht von der schlimm¬
sten Untugend des Opernkomponisten, zu langweilen, herzhaft,
naiv und ausgiebig Gebrauch. Aber Ansätze sind nicht zu
verkennen. Er baut in Liebesduetten auf volkstümlichen Themen
Steigerungen auf, die sich hören lassen können, operiert ge¬
schickt mit dem Orchester (wenn auch im Affekt viel zu derb)
und ist sogar so revolutionär, als Hochschul=Lehrer eine ganze
Strecke munterer Quinten zu schreiben. Die Gemeinplätzlich¬
keit seiner Ausdrucksweise, ihre vollkommene Unoriginalität,
wird gemildert durch eine innere Verwandtschaft mit Schumann
und Brahms, die ja auch, wie ihr Nachtreter, der Opern¬
bühne fremd blieben.
Die Pantomime ist ein erweiterter und vergröberter Schu¬
mannscher Karneval', steht aber turmhoch über der Spiel¬
oper, und zwar so, als wären beide Werke von ganz ver¬
schiedenen Komponisten geschrieben. Hier, wo es nur eine
illustrierende Musik auf symphonischer Grundlage gilt, zeigt
es sich, was Dohnänyi kann. Er hat nicht nur das technische
Rüstzeug des in klassischer Schule groß gewordenen Musikers,
sondern verfügt auch, angeregt durch Schnitzler, über Phan¬
tasie und eigene Ideen in der Ausarbeitung. Seine Thematik
hat zwar auch hier keine ausgesprochene Physiognomie. Aber
ihr Charakter neigt sich wenigstens modernen Vorbildern zu
und paßt sich den Vorgängen der Handlung im Ausdruck und
Kolorit geschickt an.
Das Deutsche Opernhaus hatte bei der Pantomime von
vornherein gewonnenes Spiel, weil zu Schnitzler und Dohnänyi
die Schauspielerin Elsa Galafris käll. Sie hat eine
größere mimische Ausdruckskraft im Affekt als eiwa Grazie
und Liebenswürdigkeit, was bei dieser Rolle nur gut ist.
Ihre Leistung ist durchdacht und verdeutlicht ohne Zwang die
musikalische Absicht. Ohne das Letzte, Packende, aber klug
und impulsiv: so ist ihre Pierrette. Sonst fiel noch Einar Linden
durch Nijinski=Beine auf. Im Mittelbild zeugten die angst¬
voll durcheinanderstürmenden Hochzeitsgäste von fleißiger Regie¬
arbeit. Die stimmungsvolle Dekorationen priesen Wunderwalds
Geschick. Wogegen in Tante Simona' auch gesungen wurde,
was für die Sänger und Zuhörer gleichermaßen undankbar war.,
23. Der Schleiender Pierrette
Schaubühne, Berlin
vom: 17. APf
191
—
F
„
Spieloper und Pankomime
von Fritz Jacobsohn
EErnst von Dohnanyi hat sich auf beiden Gebieten versucht
S und hat mit der Spieloper Tante Simona' ebensoviel Mi߬
erfolg gehabt wie mit der Pantomime „Der Schleier der
Pierrette Erfolg. Die Spieloper ist zum großen Teil an dem
minderwertigen, ganz indiskutablen Text gescheitert, und bei
der Pantomime hat Schnitzlers handfestes, spannendes und
raffiniertes Buch den Hauptanteil am erfreulichen Eindruck.
Dohnänyi ist als Pianist geschätzt, als Kammermusik=Kom¬
ponist geachtet und als dramatischer Komponist ein Neuling.
Nach dieser Spieloper zu urteilen, steht er den Anforderungen
der Opernbühne hilflos gegenüber. (Davon gar nicht zu reden,
daß ein Komponist, der dieses Textbuch dem Papierkorb vor¬
enthält, nicht gerade schmeichelhafte Rückschlüsse auf sein geistiges
Niveau zuläßt.) Aber dem Musikantentum Dohnänyis in
absolutem Sinne ist die Sympathie nicht zu versagen. Er
hat sich bei dieser Spieloper im Stil und Ton zwar ganz
und gar vergriffen, hat ein Sammelsurium bekannter Phrasen
und Themen zusammengeschrieben und macht von der schlimm¬
sten Untugend des Opernkomponisten, zu langweilen, herzhaft,
naiv und ausgiebig Gebrauch. Aber Ansätze sind nicht zu
verkennen. Er baut in Liebesduetten auf volkstümlichen Themen
Steigerungen auf, die sich hören lassen können, operiert ge¬
schickt mit dem Orchester (wenn auch im Affekt viel zu derb)
und ist sogar so revolutionär, als Hochschul=Lehrer eine ganze
Strecke munterer Quinten zu schreiben. Die Gemeinplätzlich¬
keit seiner Ausdrucksweise, ihre vollkommene Unoriginalität,
wird gemildert durch eine innere Verwandtschaft mit Schumann
und Brahms, die ja auch, wie ihr Nachtreter, der Opern¬
bühne fremd blieben.
Die Pantomime ist ein erweiterter und vergröberter Schu¬
mannscher Karneval', steht aber turmhoch über der Spiel¬
oper, und zwar so, als wären beide Werke von ganz ver¬
schiedenen Komponisten geschrieben. Hier, wo es nur eine
illustrierende Musik auf symphonischer Grundlage gilt, zeigt
es sich, was Dohnänyi kann. Er hat nicht nur das technische
Rüstzeug des in klassischer Schule groß gewordenen Musikers,
sondern verfügt auch, angeregt durch Schnitzler, über Phan¬
tasie und eigene Ideen in der Ausarbeitung. Seine Thematik
hat zwar auch hier keine ausgesprochene Physiognomie. Aber
ihr Charakter neigt sich wenigstens modernen Vorbildern zu
und paßt sich den Vorgängen der Handlung im Ausdruck und
Kolorit geschickt an.
Das Deutsche Opernhaus hatte bei der Pantomime von
vornherein gewonnenes Spiel, weil zu Schnitzler und Dohnänyi
die Schauspielerin Elsa Galafris käll. Sie hat eine
größere mimische Ausdruckskraft im Affekt als eiwa Grazie
und Liebenswürdigkeit, was bei dieser Rolle nur gut ist.
Ihre Leistung ist durchdacht und verdeutlicht ohne Zwang die
musikalische Absicht. Ohne das Letzte, Packende, aber klug
und impulsiv: so ist ihre Pierrette. Sonst fiel noch Einar Linden
durch Nijinski=Beine auf. Im Mittelbild zeugten die angst¬
voll durcheinanderstürmenden Hochzeitsgäste von fleißiger Regie¬
arbeit. Die stimmungsvolle Dekorationen priesen Wunderwalds
Geschick. Wogegen in Tante Simona' auch gesungen wurde,
was für die Sänger und Zuhörer gleichermaßen undankbar war.,