II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 302

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DerSchleiender-Pierrette

Aus Berliner Theatern.
Hantömime und Oper.
Im „Deutschen Opernhause“
Charlottenburg, verblüffte der Ungar
Ernst von Dohnänyi als musikalischer
Illustrator einer unbedingt bedeutsamen Pan¬
tomime: „Der Schleier der Pierrette“.
langweilte derselbe Komponist als tonkünstleri¬
scher Geleitsmann eines gegenstandslosen und
im musikalischen Stil verfehlten Operneinakters
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zenwart.
„Tante Simona“. Die Gesten zur Pan¬
tomime hat kein Geringerer als Artur Schnitzler
„gedichtet“; und er hat dabei, der Methode
der Verfilmung vorgreifend, eines seiner sinn¬
vollsten Dramen: „Der Schleier der Beatrice“
um seinen Wortbesitz gebracht. Bei diesem Pro¬
zeß ist das Zeitalter der Renaissance etwa dem
Zeitalter Heuri Murgers gewichen: und statt
der armen Beatrice, die in ihrer Hochzeitsnacht
ihren holden Buhlen, den Dichter Filippo Loschi
aufsucht, um ihn süße Abschiedswonnen kosten
zu lassen, enteilt hier, das Symbolische der
Handlung vertiefend, ihr Menschliches ver¬
kleinernd, Pierrette ihrem Ehemann Arlechino
und dem Hochzeitstrubel, um mit Pierrot, dem
Heißgeliebten, sich zum Doppelselbstmord zu ver¬
binden. Auch sonst weicht die Pantömime nur
in kleinen Schattierungen, aber nicht in den
Hauptwirkungen von dem effekt= und gedanken¬
vollen Urbild ab. Pierrette läßt den trostlosen
Geliebten allein die Reise in „jenes Land“ an¬
treten, ohne daß sie die Kraft hat, ihn zu ge¬
leiten, und eilt ins Hochzeitshaus zurück.
Pierrots Schatten, der vor ihr aus dem fest¬
lichen Treiben aufsteigt, hetzt sie dann wieder in
die zur Leichenstube gewordene Dachkammer.
Ihr Mann folgt ihr, nimmt für das, was er
aus der Situation abliest, Nache, indem er
Pierrette mit dem toten Pierrot zusammensperrt
und sie so erst dem Wahnsinn, dann dem Tode
ausliefert. — Ich bin, im Gegensatz zu den
jungdeutschen Parteigängern der Pantomime
Hofmannsthal, Vollmöller, Frecksa usw.
nicht der Meinung, daß dieses Genre grund¬
sätzlich von den Leitmotiven der Erotik und des
Grausens abhängig gemacht werden soll. Aber
es muß doch gesagt sein, daß Ernst von Doh¬
nanyi schon durch die Geschicklichkeit und In¬
tensität, mit der er diesem Albdruck zum musika¬
lischen Leben verhilft, mehr als nur ein Ge¬
sellenstück geliefert hat. Diese Musik mit dem
ständigen Unterton des Grauens, mit dem
schweren Schleier des Mysteriösen auch über
ihren kleinen lyrischen und größeren festlichen
Erhellungen hat sich an dem schauerlich=gro¬
tesken Stoff der Inhaltsvorlage ganz voll¬
gesogen. Sie tritt zuweilen gar zu opernhaft!
gerüstet auf: und die Originalphrase zu ihrems