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23. Der Schleiender-Pierrette
Seite 10
Berliner Salon
Nr. 16
Callots Manier, bei dem der Stempel „Renaissance“ durch die Prägung
„Alt=Wien“, die Helden jenes Dramas Beatrice und ihr Dichter
Filippo Loschi durch Pierrot und Pierrette ersetzt sind. Es erinnert
auch ein wenig an Hartlebens melancholische Pierrot=Gedichte, wenn
Pierrette, hinweg vom Hochzeitsmahle, bei dem sie sich Arlechino zu
eigen gegeben hat, zu ihrem süßen Dichter=Pierrot in die mond¬
beglänzte Mansarde kommt, um mit ihm höchstes Todesglück aus der
gleichen Giftschale zu schlürfen, die sie ihn schließlich, im letzten
Moment vor dem Letzten feige zurückbebend, allein leeren läßt. Und
mit einem aus Edgar Allan Poë= und E. Th. Hoffmann=Motiven
gemischten Dissonanzen=Akkord klingt dieses visionär bewegte Nachtstück
schrill aus, wenn Pierrette von dem rächenden Gatten, der ihr gefolgt
ist, mit der Leiche des Pierrot zusammengesperrt wird und unter das
Joch des geistigen, statt des leiblichen Todes gerät. —— Die
Musik, die Ernst von Dohnänyi neben die drei Abschnitte dieser
„danse macabre“ stellt, spricht unbedingt für die künstlerische“
Kompetenz des ungarischen Musikers, der besonders da mit Glück
arbeitet, wo man zwischen den Zeilen der dramatisch bewegten
Partitur die mystische Runenschrift der Vision lesen darf, und dem
doch auch wieder in den Tänzen des festlich beschwingten, alt=wienerisch—
kolorierten Hochzeitsaktes ein kleiner Lanner im Blut sitzt. Die Regie,
die — unter Dr. Hans Kauffmann und auf dem Boden einer reichen
szenischen Ausstattung — Traum und Tag wirkungsvoll miteinander
verflocht, hatte in der salamanderhaften Geschmeidigkeit des über¬
schlanken Herrn Einar Linden (Pierrot) und in der starken Geberden¬
kunst der blonden Frau Galafrés ausgezeichnete Helfer. — Leider
fuhr dem Komponisten das Fiasko seiner einaktigen Spieloper „Tante
Simona“, deren textliche Belanglosigkeit und musikalische Indifferenz
den Abend eingeleitet hatten, ein wenig in die Erfolgsparade. Hier
ist der Buffoton Ermanno Wolff=Ferraris erstrebt, ist aber nur eine
zur musikalischen Kompliziertheit aufgebauschte Langeweile erreicht
worden. „Solche Tante wie diese Tante noch kein Komponiste Tante
— nannte!“
23. Der Schleiender-Pierrette
Seite 10
Berliner Salon
Nr. 16
Callots Manier, bei dem der Stempel „Renaissance“ durch die Prägung
„Alt=Wien“, die Helden jenes Dramas Beatrice und ihr Dichter
Filippo Loschi durch Pierrot und Pierrette ersetzt sind. Es erinnert
auch ein wenig an Hartlebens melancholische Pierrot=Gedichte, wenn
Pierrette, hinweg vom Hochzeitsmahle, bei dem sie sich Arlechino zu
eigen gegeben hat, zu ihrem süßen Dichter=Pierrot in die mond¬
beglänzte Mansarde kommt, um mit ihm höchstes Todesglück aus der
gleichen Giftschale zu schlürfen, die sie ihn schließlich, im letzten
Moment vor dem Letzten feige zurückbebend, allein leeren läßt. Und
mit einem aus Edgar Allan Poë= und E. Th. Hoffmann=Motiven
gemischten Dissonanzen=Akkord klingt dieses visionär bewegte Nachtstück
schrill aus, wenn Pierrette von dem rächenden Gatten, der ihr gefolgt
ist, mit der Leiche des Pierrot zusammengesperrt wird und unter das
Joch des geistigen, statt des leiblichen Todes gerät. —— Die
Musik, die Ernst von Dohnänyi neben die drei Abschnitte dieser
„danse macabre“ stellt, spricht unbedingt für die künstlerische“
Kompetenz des ungarischen Musikers, der besonders da mit Glück
arbeitet, wo man zwischen den Zeilen der dramatisch bewegten
Partitur die mystische Runenschrift der Vision lesen darf, und dem
doch auch wieder in den Tänzen des festlich beschwingten, alt=wienerisch—
kolorierten Hochzeitsaktes ein kleiner Lanner im Blut sitzt. Die Regie,
die — unter Dr. Hans Kauffmann und auf dem Boden einer reichen
szenischen Ausstattung — Traum und Tag wirkungsvoll miteinander
verflocht, hatte in der salamanderhaften Geschmeidigkeit des über¬
schlanken Herrn Einar Linden (Pierrot) und in der starken Geberden¬
kunst der blonden Frau Galafrés ausgezeichnete Helfer. — Leider
fuhr dem Komponisten das Fiasko seiner einaktigen Spieloper „Tante
Simona“, deren textliche Belanglosigkeit und musikalische Indifferenz
den Abend eingeleitet hatten, ein wenig in die Erfolgsparade. Hier
ist der Buffoton Ermanno Wolff=Ferraris erstrebt, ist aber nur eine
zur musikalischen Kompliziertheit aufgebauschte Langeweile erreicht
worden. „Solche Tante wie diese Tante noch kein Komponiste Tante
— nannte!“