II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 315


ndalllnd h, der Klapierspieter Greine un
sein ist das gemacht. Eine fahle Dämmerung breitet sich über die tanzenden
Paare. Und während die groteske Polka unermüdlich weiter hüpft
und zappelt, schreitet langsam von seinem drohenden Posaunenmotiv
geleitet, der tote Pierrot durch den Saal. Dieser Szene ist auf¬
der musikalischen Bühne wenig an die Seite zu stellen.
Das dritte Bild fiel ursprünglich etwas ab. Der Wahnsinns¬
tanz der Pierrette war Dohnanyi nicht so ganz gelungen. Er hat sich
dann zu einer Umbearbeitung dieses Teils entschlossen, die der Bres¬
lauer Aufführung zugrunde lag. Aus dem fortlaufenden Tanz ist
jetzt mehr eine mimische Szene geworden voll starken drama¬
tischen Lebens. Diese Lösung ist ganz unvergleichlich besser als
die erste.
Man hatte sich mit dem ungemein schwierig wiederzugebenden
Werk im Schauspielhaus große Mühe gegeben. Kapellmeister
Weiner hatte sein Orchester bedeutend verstärkt, als Regisseur
war vom Charlottenburger Deutschen Opernhause Dr. Hans Kauf¬
mann herbeigerufen worden. Wenn dennoch die Aufführung nur
eigentlich in groben Umrissen ein Bild von der Schönheit dieses
Werkes geben konnte, so lag das eben daran, daß die Kräfte, die
man zur Verfügung hatte, im großen und ganzen für solche Zwecke
nicht ausreichten. Mit einem Operettenorchester und einem
Operettenchor läßt sich eben etwas derartiges nicht ausschöpfen.
In der Inszenierung konnte man sich mit vielem keineswegs ein¬
verstanden erklären. Pierrots Zimmer, in dem fortwährend
getanzt wird, war mit Möbeln geradezu verbaut. Der schlafende
und später der tote Pierrot lagen so dem Kommenden vor der
Nase, daß das lange Suchen nach ihnen geradezu lächerlich erschien.
Der Straßenprospekt vor dem Fenster war zu dicht, die Nacht
draußen kohlschwarz ohne jedes Licht. Auf Harlekins Hochzeit
trank man aus uralten furchtbar verbeulten Theaterbechern. Die
Erscheinung des Pierrot am Büfett blieb den meisten Zuschauern
unsichtbar. Auch das völlige Abdrehen alles Lichts beim Er¬
scheinen des toten Pierrot wirkte nicht angenehm. Derlei ließe
sich noch mehr ausstellen. Chor und Orchester können weder
einen wirklich eleganten Walzer; spielen, noch viel weniger ihn
tanzen. Es war ein ziemlich unrhythmisches Lämmerhüpfen, was
man da zu sehen bekam.
In all diesen Dingen mußte die Phantasie gutwillig mithelfen,
das Bild zu ergänzen. Besser stand es um die Hauptdarsteller.
Zwar Herr Brunner schöpft die Rolle des Pierrot noch nicht aus.
Das meiste sieht noch eingelernt, ungefühlt aus. Am besten war
sein Mienenspiel. Dafür ist seine Partnerin Frl. Zulka um so
besser. Nicht eigentlich im ersten Bilde. Das Mahl vor dem
freiwilligen Tode wurde zum höchst sorglosen Tête-a-tête, dem
prachtvollen, wehmütig graziösen Trauermarsch zum Trotz, den
Dohnanyi dazu geschrieben.
Dann aber, mit dem Eintritt des blutigen Ernstes, hob sich
Frl. Zulka zu wundervoller Höhe der Ausdruckskraft und ihre Schlu߬
szene war über allen Zweifel groß und ergreifend und auch technisch
bewundernswert beherrscht. An dieser Leistung hing ganz wesent¬
lich der Erfolg der Aufführung. Herr Grünwald war als Harlekin
gut, nur seine Maske wirkte etwas aufdringlich. In den Neben¬
rollen waren die Damen Doehle, Neef, Lanz, die Herren Stößel,
Brandl, Wendler beschäftigt. Herr Wendler machte seine Sache
als Maitre de plaisier des Festes recht hübsch.
Herrn Weiners Orchester hielt sich im Ganzen recht tapfer.
Manches, wie der wilde Umschlag der Stimmung vom furchtbaren
e-moll bei Pierrots Tod zum krampfhaften übermut des großen
Walzer ließ sich mehr ahnen, als daß es da war. Auch im großen
sinfonischen Zwischenspiel, das zum dritten Bilde führt — es ist
ein Stück ganz starker, wirklich großer Musik — war vieles eben
nur angedeutet. Das Premièrenpublikum des Schauspielhauses
erwies sich als der Angelegenheit nicht recht gewachsen. Man
unterhielt sich sehr ungeniert während der Zwischenaktsmusiken.
Immerhin gab es am Schluß doch reichen Beifall, sodaß mit den
Hauptdarstellern Kapellmeister und Regisseur sich zeigen konnten.
Der Pantomime vorauf ging „Brüderlein fein“, ein ein¬
aktiges „Altwiener Singspiel“ von Leo Fall, Text von Julius
Wilhelm. Es ist das ein ganz reizendes kleines Ding, ein
Stückchen zu Musik und Tanz gewordener Wienerischer Gemüts¬
seeligkeit. Zwei alte Leutle, der Herr Domkapellmeister Drechsler
und sein Frauerl, begehen ihren vierzigsten Hochzeitstag. Da
erscheint ihnen der Genins der Jugend — die Gertrud, die alte
verhuzelte Haushälterin hat sich märchenrasch gewandelt — und
wir erleben den Jugendtraum der beiden Alten, sehen, wie sie
als junge Hochzeiter zum ersten Male in ihrem Heim allein
sind. Dann ist wieder alles hin und die beiden Alten stehen
wieder vor uns. Das alles ist natürlich mit vielem „Weaner
Gemüt“ ausstaffiert. Fall hat eine entzückende Musik zu dieser
hübschen Idee erfunden, altväterlich zuerst und dann auf einen
höchst feschen Walzer kulminierend, der als echter „Schlager“ im
Publikum zündete. Frl. Fidler und Herr Brunner als altes
und dann junges Ehepaar waren ganz prächtig und so recht in
ihrem Element, Frl. Wandrey in der Rolle der alten Gertrud
und der „Jugend“ ebenfalls durchaus am Platz. Das Stückchen
war von einem ungenannten Regisseur, wahrscheinlich Herrn
Sternau, vorzüglich inszeniert. Herr Weiner dirigierte.
Dr. Ernst Neufeldt.