II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 314

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23. M## Schleier der pierrette
Schleier zu ihrem Geliebten, von dem sie nicht lassen kann. Gemeinsam
wollen sie sterben. Pierrot trinkt das tödliche Gift, doch sterbend stößt er
Pierretten den Becher aus der Hand. Von der Leiche flieht Pierrette
in wahnsinnigem Schreck. Unterdessen vermißt man sie beim Fest. Harle¬
kin schäumt vor Wut. Als sie dann erscheint wird sie von der Erscheinung
des toten Pierrot in ihren Angstvorstellungen verfolgt. Der Bräutigam
bemerkt, daß ihr Schleier fehlt. Er folgt der Fliehenden zur Wohnung des
Geliebten, findet den Toten und beginnt nun ein teuflisches Spiel mit
ihm. Ins Sofa wird der tote Pierrot gelegt, Harlekin trinkt ihm zu,
zwingt Pierrette, sich zu dem schaurigen Gelage zu setzen und sperrt sie
schließlich bei ihm ein. Da kommt der Wahnsinn über Pierrette. Sie tanzt
und tanzt, bis sie tot umsinkt. Eindringende Freunde Pierrots finden
entsetzt die im Tode vereinten Liebenden.
Diese Inhaltsangabe läßt den Schluß krisser erscheinen, als er ist
oder zu sein braucht. Pierrots vorsichtiges Kostüni mildert hier vieles.
Man sieht, daß dieses Buch dem nachschaffenden Musiker reiche Möglich¬
keiten bietet. Man darf sagen, daß Dohnanyi sie ganz vorzüglich zu nutzen
verstanden hat. Seine Musik ist nicht eigentlich das, was man originell
nennt, zugegeben. Er ist Eklektiker. Aber es steckt ein ganzer Mensch
hinter diesem Werk. Das gibt den Ausschlag. Eine blühende Melodik
ist in dieser im besten Sinne des Wortes modernen Musik, ein erlesener!
Geschmack lebt in ihr und andererseits ein sehr starker dramatischer Nerv.
So nimmt man's nicht allzu schwer, wenn thematische Anklänge sich ein¬
stellen und etwa gleich die ersten Noten, die erklingen, das Hauptthema
des Ganzen, das pathetische Symbol Pierrots, an Brünnhildens Recht¬
fertigung „War es so schmählich“ anklingt, oder dann gleich hinterher
aus dem Fiebertraum von „Tod und Verklärung" Erinnerungen aufsteigen.
Mit der beste Teil dieser Musik sind ihre Tänze. Gleich zu Anfang tanzen
da Pierrots Freunde mit ihren Mädchen einen langsamen Walzer, der
zum Entzücken lieblich und schmiegig ist. Rauschende Walzerklänge er¬
öffnen das zweite Bild — drei Bilder ziehen in fünf Viertelstunden ohne
Unterbrechung vorbei — ein harmonisch unendlich feines Menuett löst
sie ab. Und dann kommt der Höhepunkt: Die Gespenstererscheinung
Pierrots. Harlekin hat in blinder Wut die Instrumente der zum Tanz
aufspielenden Musiker zertrümmert. Nun soll wieder getanzt werden. Entsetzt
weisen die Musikanten auf ihre zerstörten, falsch klingenden Instrumente.
Doch „Tut nichts, nur spielen!“ heißt es. Und da erklingt nun eine Schnell¬
polka, die etwas wahrhaft Spukhaftes hat. In B=Dur bläst die Klarinette
andauernd h, der Klavierspieler greift im Baß e für k. Wundervoll
sein ist das gemacht. Eine fahle Dämmerung breitet sich über die tanzenden
Paare. Und während die groteske Polka unermüdlich weiter hüpft;
und zappelt, schreitet langsam von seinem drohenden Posaunenmotiv
geleitet, der tote Pierrot durch den Saal. Dieser Szene ist auf
der musikalischen Bühne wenig an die Seite zu stellen.
Das dritte Bild fiel ursprünglich etwas ab. Der Wahnsinns¬
tanz der Pierrette war Dohnanyi nicht so ganz gelungen. Er hat sich
dann zu einer Umbearbeitung dieses Teils entschlossen, die der Bres¬
lauer Aufführung zugrunde lag. Aus dem fortlaufenden Tanz ist
jetzt mehr eine mimische Szene geworden voll starken drama¬
tischen Lebens. Diese Lösung ist ganz unvergleichlich besser als
die erste.
Man hatte sich mit dem ungemein schwierig wiederzugebenden
Werk im Schauspielhaus große Mühe gegeben. Kapellmeister
Weiner hatte sein Orchester bedeutend verstärkt, als Regisseur
war vom Charlottenburger Deutschen Opernhause Dr. Hans Kauf¬
mann herbeigerufen worden. Wenn dennoch die Aufführung nur
eigentlich in groben Umrissen ein Bild von der Schönheit dieses
Werkes geben konnte, so lag das eben daran, daß die Kräfte, die
man zur Verfügung hatte, im großen und ganzen für solche Zwecke
nicht ausreichten. Mit einem Operettenorchester und einem
Operettenchor läßt sich eben etwas derartiges nicht ausschöpfen.
In der Inszenierung konnte man sich mit vielem keineswegs ein¬
verstanden erklären. Pierrots Zimmer, in dem fortwährend
getanzt wird, war mit Möbeln geradezu verbaut. Der schlafende
und später der tote Pierrot lagen so dem Kommenden vor der
Nase, daß das lange Suchen nach ihnen geradezu lächerlich erschien.
Der Straßenprospekt vor dem Fenster war zu dicht, die Nacht
draußen kohlschwarz ohne jedes Licht. Auf Harlekins Hochzeit
trank man aus uralten furchtbar verbeulten Theaterbechern. Die
Erscheinung des Pierrot am Büfett blieb den meisten Zuschauern
unsichtbar. Auch das völlige Abdrehen alles Lichts beim Er¬
scheinen des toten Pierrot wirkte nicht angenehm. Derlei ließe
sich noch mehr ausstellen. Chor und Orchester können weder
einen wirklich eleganten Walzer; spielen, noch viel weniger ihn
tanzen. Es war ein ziemlich unrhythmisches Lämmerhüpfen, was
man da zu sehen bekam.
In all diesen Dingen mußte die Phantasie gutwillig mithelfen.
das Bild zu ergänzen. Besser stand es um die Hauptdarsteller.
Zwar Herr Brunner schöpft die Rolle des Pierrot noch nicht aus.
Das meiste sieht noch eingelernt, ungefühlt aus. Am besten war
sein Mienenspiel. Dafür ist seine Partnerin Frl. Zulka um so
besser. Nicht eigentlich im ersten Bilde. Das Mahl vor dem
freiwilligen Tode wurde zum höchst sorglosen Tôte-a-téte, dem
prachtvollen, wehmütig graziösen Trauermarsch zum Trotz, den
Dohnanyi dazu geschrieben.
Dann aber, mit dem Eintritt des blutigen Ernstes, hob sich