II, Theaterstücke 23, Der Schleier der Pierrette, Seite 342

23.
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Der-Schleiender-Pierratte
Max Goldschmiet

D für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
Thamburger Nachrichten,
—4. 6. Juli 1965
Moskauer Kammertheater.
Arthur Schnitzler: „Der Schleier der Pierrette.“
Je weiter das Gastspiel des Moskauer
Kammertheaters fortschreitet, um so westlicher
werden seine Allüiren. Das soll kein Tadel sein.
Bei Leibe nicht! Im Allgemeinen pflegt ja in
der theatralischen Kunst die Sprache als Flagge
zu dienen, um die Ware zu decken, aber um das
innere Wesen der Darbietungen des Kammer¬
theaters richtig einzuschätzen, ist eine Frage nach
der Herkunft der Mitwirkenden doch vielleicht
nicht fehl am Ort. Wie viele oder wie wenige
aus dieser wackeren Künstlerschar sind wohl echt
russische Leute? Ein gewisser Zug künstlerischer
Internationalität ist unverkennbar, und die
charakteristischen Züge des russischen Stammes¬
charakters, die ja jetzt so vielfach in künstlerische
Kleinmünze umgesetzt werden, sucht man hier
vergebens. Gestern glaubte man tatsächlich in
Wien zu sein, und zwar in Alt=Wien, in dessen
Behaglichkeit Rokoko und Biedermeier noch einen
etwas verlängerten Abschiod voneinander neh¬
men und wo Mozart dem jungen Schubert den
Tacktstock in die Hand gedrückt zu haben scheint.
Der Eindruck war so echt, daß man ganz ver¬
gaß, daß hinter dem Stephansturm ja schon die
Türme von Paris aufzudämmern schienen und
der Montmartre alles überschattete. Sacré Coeur!
Die Schicksale von Pierrot und Pierrette,
nicht zu vergessen den Harlekin, sind ja bekannt
genug, und diese Tragödie in der Puppenwelt
wird auch von Arthur Schnitzler nur we¬
nig abgewandelt. Der Schleier der Pierrette ist
ist zugleich ihr Brautschleier, und dies Requisit
allein genügt schon um die Tragödie in den Be¬
reich der Geste und der Arabeske hinüberzu¬
spielen. Ich muß gestehen: in der Pantomime
haben mir diose Gäste aus Rußland den aller¬
stärksten Eindruck gemacht, sowohl was das Ein¬
zelspiel wie das Ensemble anbetrifft. Zwei Akte
spielen auf der Bude des Pierrot, dessen Zimmer
eine entfernte Verwandtschaft mit Anatols ele¬
gantem Junggesellenheim nicht ganz verleugnen
kann; im mittleren aber ist Hochzeit, und hier
entfaltet die Tanzkunst im Biedermeierkostüm
wiederum echt=ienerische Reize. Das ganze er¬
scheint — mit sehr einfachen Mitteln ist das er¬
reicht — wie die zum Leben erwachten Por¬
zellanfiguren einer Glasvitrine.
Pierrot,
Pierrette und Harlekin bestreiten die eigentliche