II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 7

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so gesauen, bass es nichl Weniste, gan) verständige Leute gab, die er¬
kennen wohl die Repertotrestücke auswendig — hat er, in der Kulisse
klärten, die richtige Zwerenz=Rolle sei erst jetzt geschrieben worden.
stehend, auf die Bühne hinauszuhorchen, um wahrzunehmen, wie weit
Und dennoch: Frau Zwerenz hat sich gegen diese Rolle so heftig
man gekommen ist, und um die Person, die neu aufzutreten hat. einige
gewehrt, daß sie nach wochenlangem vergeblichen Drängen, sie von dieser
Momente vorher aufmerkiam zu machen, daß sie „d'rankomme“. Man
uninteressanten, ja geradezu nichtigen Rolle zu befreien, um Lösung
sagt im Theaterjargon, der Inspizient habe die betreffende Person
ihres Vertrages bat. Ja wohl — die Künstlerin wollte mitten in der
„hinauszuschicken“. Das geschseht natürlich möglichst still, entweder durch
Saison das Carl=Theater verlassen; sie erklärte, lieber die ganze
einen Blick oder ein Winken oder — falls die Person nicht in der
Saison auswärts als reisender Gast zu verbringen, ehe sie sich zwingen
nächsten Nähe weilt durch einen geflüsterten Aufruf: „Herr X., Sie
lasse, in einer Novität eine ihrer schauspielerischen Position so wenig.
kommen sofort!" Worauf sich die betreffende Person in Positur setzt,
würdige „Wurzen“=Rolle zu übernehmen, das ist nämlich eine Rolle,
vor dem Publikum zu erscheinen.
bei der man draufzahlt. Eine liebgewordene Stätte verlassen, an der
Im Burgtbeater verjehen regelmäßig ein Oberinspizient und zwei
man so schöne Erfolge gefeiert, an der man sich von der Gunst, von
Inspizienten den Bühnendienst des „Hinausschickens“. Einer beherrscht
der wärmsten Sympathie des Publikums getragen fühlte — das ist
die rechtsseitigen, ein zweiter die linksseitigen Kulissengänge und der
wahrhaftig kein kleiner Entschluß einer Künstlerin, speziell einer wiene¬
rischen, deren Kunst und Kraft so eigentlich im Boden der Kaiserstadt
wurzeln. Trotzdem aber wagte die Zwerenz dieses Letzte. Und als ihre
eigenen Bitten, Vorstellungen und Drohungen nichts mehr nützten, da
sandte sie ihren Vater, den alten Schauspieler Zwerenz zum Direklor
Eibenschütz, damit er noch ein Allerletztes versuche.
„Herr Direktor, sagte der Zwerenz=Vater in eindringlichstem
Tone, „Sie richten meine Tochter zugrunde! Sie schädigen sich selbst
und Ihr Theater, wenn Sie die Zwerenz so auf nichts machen!
Denn diese spanische Tänzerin ist ein Schmarrn, die Rolle ist für meine
Tochter der aufgelegte Durchfall — sie wird nicht mehr vors Publikum
treten können! Die Titelrolle, das Puppenmädel, spielt eine andere —
sie würde auch für die Mizzi nicht passen — eine andere Partie ist
nicht da Ich komme im Namen meiner Tochter, um ihre Entlassung zu
bitten!“
Direktor Eisenschütz konnte nichts anderes tun, als wiederholen,
was der Komponist, die Librettisten Stein und Dr. Willner und Re¬
gisseur Gustav Kadelburg oft und oft versichert, belräftigt, geschworen
hatten: Daß Fran Zwerenz gerade mit ihrer Rosalillja einen ihrer
größten Erfolge feiern werde. Ungläubigkeit auf der anderen Seite
aber schließlich gelang es doch, Frau Zwerenz zu der Erklärung zu be¬
wegen, sie werde die Rolle wagen und ihre Demiss onserklärung zurück¬
ziehen. Aber nur unter einer Bedingung tue sie das: Leo Fall müsse
ihr noch für den dritten Akt eine wirksame Nummer schreiben, entweder
ein Sololied oder ein Duett mit Herrn König, dem Darsteller des
Schmierendirektors Talmi.
Nun stellte sich wieder der Komponist auf die Hinterbeine. Er, der
bis nun immer im eigenen Fleisch gewühlt, der aus seiner Partitur
Sachen gestrichen hatte, an denen sein Herz hing, weil er sie für wirklich
gut hiest — alles, um dem praktischen Gebote zu folgen, die Vorstellung
nicht über das gewöhnsiche Zeitmaß hinauswachsen zu lassen. Und nun
sollte er den dritten Akt neuerdings verlängern — ohne zu wissen, ob
ihm die neue Nummer auch so gelingen werde wie die gestrichenen!
Also sagte Fall: „Um keinen Preis! Ich kann der Zwerenz
zuliebe, so weh es mir tut, den Erfolg nicht in Frage stellen!“
So kränkte sich denn die arme Zwerenz weiter und weiter und
weinte Tränen der Wut! Sie blieb auch von einigen Proben weg — der
Nerven wegen, die sich eine Diva doch erlauben darf. Librettisten,
Direktor und Regisseur suchten zu vermitteln — vergeblich. Komponist
und Soubrette — keiner wollte nachgeben. Endlich kamen sie auf ein
besonderes Mittel, Leo Fall umzustimmen. In der Direktionskanzlei des
Carl=Theaters steht eine Büste des Komponisten. Diese ließen sie ver¬
gangene Woche zu einer Probe des „Puppenmädel“ auf die Bühne bringen;
man stellte sie dann aufs Klavier, das Fall zu benützen pflegte. Als der
Komponist nun kam und sich an das Instrument setzte, sah er sich seinem
eigenen Porträt gegenüber. Um den Hals des weißen Fall aus Gips
hing aber zur Brust herab ein großer Karton mit folgen er Löchst
poetischen Apostrophierung:
„Lieber Fall, laß dich erweichen,
Lasse endlich ab vom Streichen!
Schreib' der Zwerenz eine Nummer,
Sonst vergeht sie noch vor Kummer!“
Der Komponist mußte hell auflachen, als er sich selbst bei ihm
selbst mit diesem devoten Bittsprüchlein vorsprechen sah! Und er beschloß,
die „gefährliche Belastung des Schlußaktes, der immer nur kurz sein
soll“, zu wagen und jenes Duett Zwerenz=König zu schreiben, das —
die Leser wissen's aus dem Premierenbericht — am Erstaufführungs¬
abend geradezu den Clou der Vorstellung bedeutete. Viermal mußten es
die beiden singen und tanzen — und doch war es bereits halb 11 Uhr
abends, die Zeit, da das Publikum schon das Recht hat, müde zu sein.
Wir haben diese Geschichte erzählt, weil sie so recht zeigt, wie
wenig die Künstler wissen, was ihnen frommt, wie sie zu ihrem Glück
förmlich gezwungen, zum Erfolg geradezu gezerrt werden müssen.
Wochenlang droht die Zwerenz mit ihrer Demission wegen einer Rolle,
die ihr einen Erfolg bringt, wie sie ihn seit Jahren nicht erzielt, und
fast ebenso lang sträubt sich der Komponist gegen eine Piéce, die schlie߬
lich den Abend auf die höchste Stufe der Stimmung bringt — im
Publikum und auf der Bühne. Das ist echtes Theater ...
Doch vom „Puppenmädel“ zu reden, ohne vom Puppenmädel“
selbst zu sprechen, nämlich von der Darstellerin der Titelralle n