II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 15

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22. Derjunge Medandus
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungeaueschnitte.
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 211
Kleineren. Vor allem das des jungen Buch¬
händlersohnes Medardus Klähr,
der sich selbst zu einem Rachewerkzeug Deutsch¬
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
lands auserwählt, aber gelähmt von der Macht
bestorganisierteste Bureau Deutschlands.)
des Gewaltigen von Wagram dahinsinkt.
*
Borstner Zeifimng am Pitas.
Die Tragödie eines Verzweifelten. Unter
Zeitüng
den jungen Wienern, die zu den Waffen ge¬
griffen haben, ist der junge Medardus Klähr
der Begeistertsten und Besten einer. Seine
Ort: —

Schwester Agathe steht im innigen Herzens¬
bund mit dem jungen Prinzen François v. Va¬
Datum
lois, dem Sohn des blinden Herzogs, der sein
Geschlecht im napoleonischen Frankreich auf den
Königstron setzen will. Ein Lebenswahn. Dem
jungen Prinzen ist das Haus der Buchhändlers¬
#itwe Klähr solange verboten, als bis sein
stolzer Vater selbst um die Hand Agathens für
den V#en anhalten wird. Grad als der junge
Kriegsmann Medardus Abschied nimmt von
Der junge Medardus.
den Seinen, kommt der Prinz, um das Einver¬
ständnis seinen Eltern mitzuteilen. Er lügt.
Arthur Schnitzlers neuestes Werk.
Er ist nur gekommen, um mit Agathen gemein¬
An einem der nächsten Abende wird eine
sam in den Tod zu gehen. In den Wellen der
große dramatische Historie von Arthur
Donau suchen die Liebenden ihr Brautbett.
W
(Schnitzler: „Der junge Medardus“
Just in das Donauerwirtshaus, wo junge
zum ersten Male gegeben werden Zu Wien,
Krieger Abschied feiern, unter ihnen Medardus,
am Burgtheater. Dann erst wird Berlin
werden die Leichen gebracht. Und der Jüng¬
folgen. Der Dichter hat diesmal aber nicht
ling, der eben n#aus wollte ins Feld,
darauf beharrt, das Buch, wie in den letzten
tauscht mit einem anderen. Er bleibt in Wien.
Jahren allgemein Uebung worden, erst am Mor¬
„Hier ist mein Platz. Denn ich weiß, was heute
gen nach der Aufführung in die Oeffentlichkeit
geschah, das ist ein Anfang — kein Ende ...“
zu senden; heute früh ist es im Verlag von
Nächen will er sich an den stolzen Aristokraten,
S. Fischer in Berlin erschienen.
deren Hochmut ihm die Schwester getötet ...
Dies das zweiteilige Vorspiel.
Ein dicker Band von 300 Seiten; ein Vorspiel
und fünf Akte. Er mag wohl die Wortzahl Don
Carlos erreichen und die Bühne, die das Werk
In den jetzt sich aufrollenden fünf Akten, in
aufzuführen unternimmt, ist vor eine der
denen fünfzehnmal die Szene wech¬
größten szenischen Aufgaben gestellt. Und — es
selt, vollzieht sich das seltsame verfehlte und
kann nach dem ersten raschen Durchlesen des
fehlschlagende Rachewerk. Schon am frischen
Dramas gesagt werden — vor eine würdige und
Grabe der Schwester setzt es ein. Medardus
ehrenversprechende. Schnitzler ist hier allerdings
begegnet da der Schwester des Prinzen, der
nicht der mit feinen Instrumenten arbeitende
schönen, stolzen Helene, der Dame mit den
Zergliederer sensibler Naturen; wohl ist auch
„hochmütig mörderischen Fingern“. Er beleidigt
der Nerv des Wiener Dichters in den stilleren
sie und muß ihrem Werber, dem Marquis von
Momenten des Werkes, aber in seinem Haupt¬
Valois vor den Degen. Beide werden im Duell
wesen ist es ganz anderer Art. Große Völker¬
verwundet. Aber die lüsternen Sinne Helenens
historie bald, dann anekdotische Historiette; liebe¬
haben Feuer gefangen aus des jungen Medar¬
volle Altwien=Studie, wieder dann buntroman¬
dus traurig flackernden Augen. Sie inter¬
tischer Geschichtsroman mit auffallenden Luise
essiert sich für den Jüngling, und der wieder
Mühlbach=Flecken. Und auch die Sprache hat
kennt nur ein Ziel: die Stolze verführen und
nicht die flaumfederfeine Schnitzlersche Leichtig¬
dann ihre Schande öffentlich ausschreien. Rasch
keit und Ungebundenheit und Natürlichkeit.
kommt er so weit. Die Kammerjungfer
Wiener Bürger von 1809 führen, ein wenig
Helenens ist der Liebesbote und in schwüler
steif stilisiert. Die lieben Wiener reden fast nur
Nacht wird Helene in ihrem Schlaf¬
im Imperfekt; und das tut dort im täglichen
gemach des Medardus Geliebte. Aber
Verkehr kaum der Kultusminister.
die Wonne wandelt die Rachegier. Zwar stellt
Medardus bei der Verteidigung Wiens seinen
Eine wirre bunte Bilderfolge aus Kriegs¬
Mann, aber es ist eine seltsame düster flackernde
tagen Altwiens entrollt der Dichter. Napoleons
Glut in ihm. Zwar wird Napoleon bei Aspern
übergroßer Schatten liegt auf der heiteren
Stadt, in der Beethoven und Haydn schaffen.
besiegt, aber nur, um nachher doppelt.
Aber nicht die großen Schlachtfeldhelden
die Sieger aufs Haupt zu schlagen. In des
jener Tage zitiert der Dichter: sie lenken
nur die Geschicke der Welt und im pulver¬
Onkel Eschenbacher, ein wackerer Bürger und
erfülleten Wirbel erfüllen sich die Schicksale der ] Patriot wird von den Franzosen erschossen, weil
er Landkorten versteckt hatte. Helene, die der
Korsen haßte, wird in Schönbrunn seine Ges
##i#die, und Medardus, dessen Ziel die Rache für
den Tod der Schwester war, steckt sich das höhere;
Napolcons Ermordung.
In Schönbrunn lauert er auf den Gewalti¬
gen, als er aber Helene die Treppe hinansteigen
sieht, die Leichte Kalte, Hochmütige, da senkt
sich der für Bonaparte bestimmte Dolch in ihre
weiße Brust. Er wird gefangen und soll hin¬
der Bonapartens Sturz erträumt; prächtig in
gerichtet werden. Napoleon aber interessiert
sich für ihn; denn: so heißt es jetzt: Medardus
war des Kaisers Retter. Helene selbst hat den
Imperator töten wollen. Medardus braucht dem
Abgesandten des Kaisers nur das Wort zu
geben: er wolle nie mehr nach seinem Leben
trachten, und er ist frei. Aber Medardus ist
dazu viel zu wahren Sinnes. Wo immer er
den Ursacher seines Lebensglückes finden würde,
werde er ihn zu töten versuchen. Und so wird
er füsiliert.
Dies der Hauptfaden. Er schlingt sich rot
und fest durch ein Gewirr von Auftritten, Volks¬
szenen, politischen Situationen. Figuren und
Figürchen sind sicheren Auges gesehen, mit
kräftig gestaltender Hand gezeichnet. Wie oft
in so großen Dramen voll Völkergewimmels sind
die Kleinen besser und origineller gestaltet als
die Hauptträger. Die wurden hier vielfach recht
romanhaft. Interessant ist der blinde Herzog,
seiner bürgerlichen Beherztheit der Sattler¬
meister; am feinsten aber wohl die seltsam er¬
greifende, symbolische und doch ganz reale Figur
des „uralten Mannes“ der alle Jugend über¬
dauert und von der Welt nicht mehr viel
versteht.
Außerordentlich lebhaft sind die Volksszenen,
die Aufläufe, der Klatsch, das wirre Durchein¬
ander aufgeregter Kriegszeiten gegeben. Aber
wie will das dargestellt sein? Weit über
sechzig Schauspieler sind nötig, die Kriegs¬
statisterie, das Volksgewimmel nicht gerechnet.
— Das Geschichtspanorama ist mit Fleiß und
Kenntnis hingemalt. Und wie es den Dichter
mehr interessiert zu haben scheint, als die
Herzensgeschichte seines Helden, so wird das
historische Kulturbild aus dem Wien der Basteien
und des Glacis den dauernderen Wert behalten
gegenüber den romantischen Erlebnissen und
Alkovenabenteuern des Medardus ...
Norbert Falk.