II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 47

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22. Der junge Medandus
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hapen Ein derartiger Fall erregt im Bezirke Hernals! Landesverbandes für Fremdenverkehr kaiserl. Rat due Gesellschaft den Rekurs an den Stadtrat. Derselbe
Wictes Aufsehen. Unter dem ausbrücklichen HinweisBeschörner und der Prasident des Exeluliokomitees hat nun den=Returs abgewiesen.
tisierte Historie, in der sich Fortsetzungsroman und] Liebschaft willen eine Krone hingegeben. Medardus
Psychologie als Verlobte empfehlen!
erhebt sich und fordert höhnisch die Entfernung der
„Der junge Medardus.“
Der Kritiker. Das Drama beginnt im

Blumen, die er sonst zu zertreten droht. Sie sollen in
Dramatische Historie von Artur Schnitzler. Hause der Buchhändlerswitwe Franziska Klähr. Es
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den hochmütigen mörderischen Fingern“ einer Valois
Einer allein kann die vielverschlungene Hund¬
ist ein Schicksalshaus. Ihr Mann starb an einer
verwelken. In diesem heißdramatischen Augenblicke
lung dieses figurenreichen Dramas kaum wieder¬
Lungenentzündung, die er sich bei einem militärischen
erscheint der Vetter der Prinzessin, Bertrand
Paradedienst zu Ehren Napoleons geholt. Ihr Bruder
erzählen. Einer allein kann die blendenden Vorzüge
Marquis von Valois. Herausforderung zum Duell.
und ihr Sohn werden auf Befehl Napoleons erschossen
nicht preisen und die auffallenden Schwächen nicht
Medardus wird zur Stelle sein. Helene von Valois
und ihre Tochter geht aus unglücklicher Liebe und in
tadeln. Einer allein kann der Armee von Darstellern,
zum Marquis: „Töten Sie den jungen Menschen, der
schwangerem Zustande in die Donau, was ausnahms¬
die das Burgtheater mobilisierte, unmöglich gerecht
da eben fortging, und ich will die Ihre sein!" Drei
werden. Ich habe mir deshalb einen Hilfskritiker
weise nicht Napoleon, sondern ein Valois ver¬
Stunden später erhält Bertrand einen Degenstich in
schuldet hat.
aufgenommen. Wenn einem von uns der Atem aus¬
den Arm und Medardus einen nahe beim Herzen. Die
Der Hilfskritiker. Sie greifen ja den
geht, setzt der andere die Arbeit fort. Es beginnt
Prinzessin hat diesen Ausgang nicht erwartet. Oder
Ereignissen vor.
Der Kritiker.
Ein großer Erfolg.
doch? Sie schickt die Blumen, die das Grab des
Artur Schnitzler wurde
Der Kritiker. Weil es gleich gesagt werden
Akt¬
nach allen
Bruders hätten schmücken sollen, an den Wiener Stu¬
schlüssen stürmisch gerufen. Erst um ½12 Uhr
muß, daß der Verlust von Gatten, Bruder, Tochter
denten mit dem flammenden Blick und der einwand¬
war die Sensationspremière des Burgtheaters
und Sohn selbst im Jahre 1809 ein bisserl viel ist für
freien Haltung. Medardus ist von dem duftigen Gruß
zu Ende. Das Werk hat in der Buchausgabe
eine einzige Wiener Bürgersfrau. Freilich erträgt sie höchlich überrascht. Er verläßt trotz seiner Wunde
290 engebedruckte Seiten und besteht aus einem Vor¬
alles mit einer Standhaftigkeit, als ob sie die Mutter
heinlich die Krankenstube, um der Blumenspenderin
spiel und fünf Akten, die zusammen siebzehn Bilder
der Gracchen wäre. Mit dem Heroismus einer
zu danken. Umsonst hatte ihm kurz vorher die spar¬
Spartanierin stachelt sie ihren Sohn Medardus zu
geben. Der Regisseur mußte dem Drama zwei Bilder
tanische Mutter aus der innern Stadt den zarten Wink
und unzählige Sätze aus dem Leibe reißen, um es
einer Tat für das Vaterland auf, und ist von so
gegeben: „Die Franzosen marschieren heran, und
in den Rahmen einer Bühnenaufführung zu zwängen
hohem Stolze erfüllt, daß sie die Hand ihrer
ich habe einen Sohn, der indes ein Mann ge¬
Trotzdem erstreckte sich die Spieldauer auf volle fünf
Tochter einem Prinzen von Valois verweigert,
worden ist.“ Umsonst! Der hoffnungsvolle Sohn er¬
Stunden! Das haben wir uns bisher nur von
wenn nicht seine Eltern für ihn persönlich als
klettert bereits die Gartenmauer des Schlosses Valois
Shakespeare, Goethe und Schiller gefallen lassen. Ja,
Brautwerber in das Bürgerhaus kommen. Der
und fällt erschöpft der Prinzessin zu Füßen, die sich
haben denn die allein das Privilegium? So sagte
Vater des Prinzen ist ein vom Dichter frei
gerade mit ihrem Vetter verlobt hat. Das hindert sie
sich vielleicht Artur Schnitzler, und er dichtete in die
erfundener Prätendent auf die Krone Frankreichs, da
nicht, den Eindringling in ihrem Schlafgemach zu
Höhe und in die Tiefe, aber auch in die Breite. Er
die Valois, wie man weiß, schon Ende des sechzehnten
verbergen, wo ihr königlicher Hochmut pünklich zu
fing gewissermaßen den großen Wind ein, der nach
Jahrhunderts ausgestorben waren. Manhat dem alten
Falle kommt. Medardus, der sich eingeredet hatte,
der Versicherung des Volksmundes Anno Neun
Manne ein Asyl in Wien gewährt, woer in einem ein¬
das Abenteuer nur zu dem Zwecke zu unternehmen,
gegangen ist. Die zweite Franzoseninvasion in Wien
samen Schlößchen die Tage des Usurpators zählt. Der
die Dame vor dem versammelten Hofe bloßzustellen,
bildet den Grundstoff der Dichtung, deren grelle
Herzog ohne Land, ein blinder Mann, wird von der
vergißt in ihren Armen alle Vorsätze. Ich bewundere
Vielfarbigkeit Manchem den Ausspruch entlocken
Zuversicht aufrechterhalten, daß die Stunde kommen
seine kraftstrotzende Männlichkeit, denn nicht alle
dürfte: Das Alles ist mir zu bunt! Pracht¬
muß, in der sein Sohn als rechtmäßiger König in
Theaterhelden sind so stark.
volle Wirklichkeitsbilder, wie sie nur ein
Frankreich einziehen wird. Der Prinz aber denkt nur
Der Kritiker: Die Stärke des Helden ist
echter
Kenner der Volksseele zuwege bringt,
an seine Liebe. Die Wiener Luft hat ihn verweichlicht
in diesem Falle seine dramatische Schwäche. Das
werden von romanhaften Liebesabenteuern ab¬
und da er die Braut nicht heimführen darf, so
wußte der Autor, der diesbezüglich den Onkel Eschenbacher
führt
gelöst und einzelne glücklich geschaffene Charakter¬
einen jener beliebten
sagen läßt: „So ein junger Mann hat eine wunder¬
figuren zu Grunde vertieft. Man bekommt mehr
Dippelselbstmorde aus, die bis auf den heutigen
bare Lebenskraft in sich. Vormittags begräbt er seine
Geschichten als Geschichte zu hören, wiewohl die
Tag ihren hohen theatralischen Wert behalten haben.
Schwester, erledigt zum Nachtisch eine ritterliche An¬
napoleonische Willkürherrschaft sehr anschaulich
Die Leichen der Liebesleute werden aus dem Wasser
gelegenheit und hat trotz Gram und Wunden noch
geschildert und das Kolorit der Zeit wunderbar
gefischt und in ein Wirtshaus der Praterau gebracht,
Laune übrig für ein zärtlich Abenteuer.“ Die Regie
getroffen ist. In den Episoden schäumt und siedet eine
wo gerade Medardus und eine Schar junger Stu¬
tat gut daran, diese Worte zu streichen; das
große dichterische Kraft, während die Hauptbegeben¬
denten Abschied von der Heimat feiern, um gegen die
Publikum hätte sonst die feine Ironie des Autors ver¬
heiten zu einem langen Ro ian ausgesponnen sind,
Franzosen zu ziehen. Medardus erkennt seine
gröbert in den eigenen Vertrieb übernommen. Uebrigens
den der Zwischenvorhang iederholt mit einem un¬
Schwester, erhebt Wehe= und Racheklagen von
ist es gar nicht so ausgemacht, daß schon in
sichtbaren „Fortsetzung folgt" unterbricht.
karlmoorischer Ueppigkeit und erklärt, in Wien zu
der ersten Nacht die neuerliche Verschmelzung
Der Hilfskritiker. Mir war bei dieser
bleiben, denn es könnte sein, daß er hier noch was zu
des Königshauses Valois mit dem Bürgerhause
Romanfülle zu Mute, als ginge mir die Mühlbach
tun hätte. Sein Haß gegen Napoleon wird
Klähr nach dem Beispiele des
früheren
im Kopfe herum. Aber nicht nur an die schreibselige
Der Hilfskritiker: — von dem Hasse gegen
Liebespaares stattgefunden habe, denn wozu gäbe
Luise, die ihren Gänsekiel so oft für den Griffel der
die Valois abgelöst. Auf dem Friedhofe finden wir
sonst die Prinzessin den Auftrag, in der folgenden
Klio ausgegeben, mußte ich denken, auch an Dumas,
Medardus wieder, wo das Bürgermädchen und der
Nacht die Hunde im Garten loszulassen? Mau
den Vater, dessen Phantasiereichtum meiner grünen
Prinz von Valois in einem gemeinsamen Grabe ruhen.
kennt sich in dieser Helene überhaupt nicht aus.
Tage Freudenspender gewesen. Nun verfiel auch der
Er trifft hier mit Helene von Valois, der Schwester
Wenn man glaubt, sie habe an Stelle des Herzens
feine Wiener Seelenanalytiker dem Ewig=Stofflichen,
des Prinzen, zusammen, die dem Toten ein paar arm¬
einen ganzen Kältekongreß im Leibe, überrascht sie
mußte ihm verfallen, denn er hat eine staunenswerte
seligs Blumen weiht. Die stolze Dame hat keine einen bald darauf mit einer Glut der Liebe und
Originalphantasie. Die Folge davon war die drama= Träne für ihren törichten Bruder, der um einer des Hasses, die ihr kein Mensch zugetraut hätte.