II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 46

vor Helenen gewesen, kann dieser darauf beharren, Helene habe
Napoleon gerettet, denn wäre sie Medardus nicht in den Weg ge¬
kommen, so hätte er versucht, den Kaiser zu töten. Da nun Medar¬
dus sich weigert, das Versprechen zu geben, daß er Napoleon nicht
mehr nach dem Leben trachten werde, selbst nachdem er gehört, der
Friede sei unterzeichnet, weil er ja (als Vertreter der Ueberzeugung
des Dichters) „weiß, daß nicht eher Ruh' auf Erden sein wird,
als bis Bonaparte aus der Welt verschwindet“, so wird er zum
Tode geführt; und zum Schlusse des Stückes hören wir die Salve
krachen, die ihn zum Tode befördert, „dieses Krieges letzten und
seltsamsten Helden“, wie der Dichter den General Rapp ihn
nennen läßt.
Ausstattung, Regie, Einzelleistungen und Zusammenspiel ver¬
dienen volle Anerkennung. Die Darstellung insbesondere zeigte, welch
ausgezeichnete Bestände das Burgtheater noch besitzt und wie gut es
gelungen, Ergänzungen zu schaffen, wo sie am dringendsten not taten.
Ganz ausgezeichnet waren Frau Bleibtreu als Buch¬
händlerswitwe Klähr und Herr Balajthy als Sattlermeister
Eschenbacher, beide voll schlichter Einfachheit und Natürlichkeit. Wie
aus der ehemaligen Dialektschauspielerin Bleibtreu eine Künstlerin
semporwuchs, die auch in Aufgaben voll bestand, die man einst
gewohnt gewesen war, nur die Wolter lösen zu sehen, so reift
in Balajthy etwas heran, was an einen andern Unersetzlichen mahnt.
Herr Hartmann wirkte ergreifend als Herzog von Valois, mit
dem seine Anhänger unter Führung seiner Tochter die Komödie des
Prätendententums noch weiter führen, nachdem das Spiel längst
alle Aussicht verloren hat und nur mehr die damit verbundene
Gefahr übrig geblieben ist und die kindliche Liebe, um derintwillen
es aufrecht erhalten wird. Glänzende Leistungen boten auch Heir
Reimers als General Rapp, Herr Devrient als Marquis
von Valois und Herr Korff als Denunziant Wachshuber, eine
Gestalt, wunderbar vom Dichter gezeichnet, aroßartig von Herrn
Korff gespielt, der hiemit jedenfalls (und hoffentlich dauernd) auf
jenes erste Feld gerückt ist, das ihm gehört — nur daß es eben
nicht das Feld der gemütvollen Liebhaber ist.
Mit einer ähnlichen Nutzanwendung ist auch Herr Treßler
zu nennen, der die Rolle des Geschäftsleiters Etzelt schlicht und
ehrlich mit schönster Wirkung spielte und heute schon unbestritten
als Künstler ersten Ranges dastünde, wenn er nicht, hie und da
wenigstens, als Bösewicht verblüffen oder als Komiker zwerchfell¬
erschütternde Wirkungen ausüben wollte und hiebei des Guten und
Bösen zu viel täte.
Eine prächtige Erscheinung war Fräulein Wohlgemuth
als Prinzessin Helene. Aber in diesem für die Zuschauer gewiß sehr
erfreulichen Vorzug erschöpfte sich nicht ihr Verdienst. Ihr gelang es
vorzüalich, der Gestalt jene Verschlossenheit und Undurchdringlichkeit
zu geben, die hier geradezu ein Erfordernis für die Darstellung ist.
Mit kluger Zurückhaltung wäre sie ja gewiß auch der Versuchung,
die man ihr aber schließlich doch teilweise aus dem Wege geräumt hatte,
ganz ausgewichen, mit der Komödienszene im Park jene Heiterkeits¬
ausbrüche zu wecken, zu denen der Dichter hier, im Buche wenigstens,
seiner Laune die Zügel schießen lassend, gleichsam die Verlockung in
die Luft gestreut hatte, die aber freilich den Erfolg des Abends zu
gefährden vermöchten, wenn die Darstellerin mehr an ihre Wirkung
in der einen Szene, als an den Eindruck des ganzen Stückes dächte.
Den Titelhelden gab Herr Gerasch. Gewiß eine ganz an¬
ständige Leistung. Aber nirgends schlug eine starke Individualität
durch. Zum mindesten hat Herr Gerasch noch keine innere Fühlung
mit dem Publikum des Burgtheaters gewonnen. In der Schlußszene
aber erweckte er etwas wie die Erwartung, daß er diese Fühlung
vielleicht doch noch finden werde. Aber deutlicher zu sprechen müßte
er sich angewöhnen.
Noch viele wären zu nennen, mindestens einige aber seien ausdrücklich“
hervorgehoben. Fräulein Hönigsvald als Herzogin, Fräulein
Wagner als Hübschlerin Elise, Fräulein Mell als das Berger¬
Annerl, dessen ruhia=warme Liebe zu Medardus sie gut zum Aus¬
druck brachte; Herr Thimig als Kerkermeister, Herr Heine als¬
Dr. Assalagny, Herr Zeska als Renault, Herr Gimnig als
Major Trembly, Herr Loewe als Desolteux. Und auch Herr
Frank, der einfach, aber wirkungsvoll den jungen Herzog spielte,
welcher allerdings im ersten Akte schon aus dem Stücke scheidet,
nur daß er oft zu leise war und bei dem Ausruf „Agathe“ wieder
einmal in unwillkürliche Bewegungskomik verfiel. Und dann darf man
nicht vergessen den „eleganten Herrn“ und seine Frau von Herrn Müller
und Fräulein Gerzhofer und dann — aber wen dürfte man alles
nicht vergessen! Jedenfalls wenigstens nicht die prächtigen Vertreter der
vier prächtigen Typen aus dem alten Bürgertum, die da Schnitzler
hingestellt und die er so köstliche und so feine Sachen sagen läßt.
Nämlich Herrn Heller als Drechslermeister Berger, Herrn Moser
als Föderl, Herrn Straßni als „Uralter Herr“ und Herrn Arndt als
Arzt Büdinger, den Dichter und Darsteller mit so erschütternder
Ironie über die „Launen von dem „da droben klagen lassen,
nach dessen evigem Ratschluß er die Krankheit, die er an einem
von sieben Geschwistern heilte, seinem eigenen einzigen Kind nach
Hause bringen und es an ihr verlieren mußte.
Die Dichtung übte tiefe Wirkung und lebhafter Beifall zeichnete
den Dichter und die Darsteller aus. Am stärksten war er nach der
Friedhoffzeue, der Szene auf der Bastei, der Liebesszene und den
Szenen am Glacis und im Gefängnis.
Ein Glück für Schnitzler, daß Napoleon und seine Macht in
der Zeit von 1809 bis heute doch schon dahingegangen sind. Sonst
wäre mir für Schnitzlers Leben ernstlich bange — falls ihm nicht
etwa durch die revoltierende Vorführung der empörenden Brutalität
des Napolkonischen Despotismus in dem Bild „Am Glacis“ doch
gelungen wäre, mit seiner Dichtung zur erfolgreichen Ausführung der
Tat aufzureizen, die er selber Medardus und Helenen nur planen
ließ. Das Zeug zu solch „dramatischer Historie“ hätte er ja.
Max Burckhard.
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