II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 55

ihrem verwundeten Beleidiger Blumen uversendet. Da
wenn
ie es mir danken,
wird nun seine Rachegier auf eine neue Spur gewiesen:
Stapß erwiderte:
„Ich
er will die Prinzessin zu seiner Geliebten machen und
1!“ Dieser Vorfall und
ihre Schmach in alle Welt hinausposaunen. Aber
tilermeisters Eschenbacher,
diesen teuflischen Plan hatte Medardus nicht bloß der
el Klährs auftreten läßt,
Haß eingegeben, sondern auch — die Liebe. Dies die
chen Ereignisse, auf denen
große tragische Schuld des jungen Medardus, die ihn
schen Historie Schnitzlers
denn auch an der Erfüllung jener zweiten größeren Sen¬
bstverständlich bei aller
dung hindert, zu der er sich berufen fühlt, als sein
in der Zeichnung des
Onkel Eschenbacher von den Franzosen füsiliert wird. Er
des — neben der Wahr¬
trachtet Navolorn nach dem Leben, aber er weiß, daß
für die Dichtung übrig.
ihm sein Werk mißlingen wird. Hat ihm doch seine fürst¬
ardus wird nämlich innig
liche Geliebte den Gedanken einzugeben versucht, den er
Valois und dessen Familie
vorher schon selbst in seinem zermarterten Hirn herum¬
zog träumt in seinem
gewälzt . Erst als er Grund zur Annahme zu haben
weiter, um dessen Willen
glaubt, daß Helene die Geliebte des Kaisers geworden,
n müssen. Einzelne Mit¬
rasst er sich auf, um seiner Sendung gerecht zu werden.
enige Getreue träumen
Aber — wie sagt doch Etzelt! — Gott wollte ihn zum
als würden sie ihn mit¬
Helden schaffen, der Lauf der Dinge machte einen
zog seiner schönen Lebens¬
Narren aus ihm“ — er ersticht nur Helene, die selbst mit
da nicht mittut, ist der
dem Vorsatz nach Schönbrunn gekommen war, ein
em die Liebe der Wiener
Attentat auf den Kaiser zu verüben. Was weiter folgt
iner Schwester des jungen
ist die Geschichte des Naumburger Predigersohnes Friedrich
alle Ansprüche auf die
Starß.
leben hier setzt die Tra¬
bindung angesichts
des
Dies in knappen Zügen die Handlung, die nur zu
Familie natürlich nicht
häfig bald hinter den Wolken des Pulverdampfes ver¬
kiebenden, gemeinsam
zu
schwindet, bald im Wust geschichtlicher Anekdoten zu er¬
t, da Medardus, der am fücken scheint. Straffere Szenenführung und beherzter
Verzicht auf allerlei Episoden und Episodenfiguren hätten
im vorhinein auf billige Efsekte verzichtet, andererseits sich
zweifellos wesentlich dazu beigetragen, den künstlerischen
an die Lösung von Problemen nicht herandrängen
Wert des Werkes zu heben. Man muß hier auf
mug, an denen schon so viele gescheitert. So ward
das banale Wort zurückgreifen: Weniger wäre mehr
aus der dramatischen Historie, die trotz aller Lügen, die
gewesen. Es wäre mehr gewesen, weil das mit echt
darin enthalten sind, durchaus wahr ist, eine
dichterischer Psychologie durchgeführte Drama des Medardus
Art Napoleon=Drama ohne Napoleon, was immerhin
plastischer hervortreten würde, während es so zeitweise
besser ist, als wenn wir wieder einmal Napoleon zu
durch die Revue „Wien 1809“ stark zurückgedrängt wird.
Gesicht bekommen hätten, aber kein Napoleon=Drama.
Dem interessanten Problem, wie sich der kleine Wiener
Auch darin offenbart sich der Zug ins Große, der in
den großen Napoleon vorstellte, das selbstverständlich
diesem Werke vorherrscht, trotzdem darin Vieles so klein
nicht außer Acht gelassen werden durfte, wird
geraten scheint.
denn doch ein viel zu weiter Raum zugesprochen,
Das Burgtheater hat so viel Liebe, so viel edelste
und je mehr sich die Tragödie vertieft, um so mehr geht
Kunst und so unglaublich viel Arbeit der Darstellung
die ironisierende Kleinmalerei in die Breite. Man sieht
gewidmet, daß man von der Aufführung nur in Worten
gewiß recht gern Herrn Berger über die Bühne trippeln,
rückhaltloser Anerkennung sprechen kann. Unter allen, die
aber zum Schluß wird man den gelinden Aerger nicht
da mitarbeiteten, um die „dramatische Historie“ auf die
los; daß man ihm gar so viel Aufmerksamkeit
Bühne zu stellen, gibt es keinen, der weniger ge¬
geschenkt hat. Da wird man wohl schon viel leichter
boten hätte, als er eben leisten kann. Diesmal
mit dem „uralten Herrn“ fertig, der übrigens bei der
muß man sagen: hier wäre mehr weniger gewesen.
Lektüre gar nicht stört und erst auf dem Theater auch zu
Von den schauspielerischen Leistungen müssen ganz
einer jener Figuren wird, die eifrig daran mitarbeiten,
besonders
jene der Trägerinnen der weiblichen
das Drama in eine Reihe von Episoden umzuwerten.
Hauptrollen hervorgehoben werden. Die klassische Natür¬
Daß ihn dies trotzdem nicht gelingt, das beweist eben,
lichkeit, mit der Frau Römpler=Bleibtreu
daß der Dichter den Blick aufs Ganze trotz aller
zuerst die jubelnde Zuversicht, dann den resigniert=ver¬
Lockungen des Details nicht verloren hat. Den Blick aufs
klärten Schmerz und schließlich die uferlose Verzweiflung
Ganze und den Zug ins Große.
des Mutterherzens zum Ausdruck brachte, wirkte so über¬
Noch ein Moment muß besonders unterstrichen
zeugend, daß man zeitweise vollkommen vergaß, hier
werden, wenn der Versuch einer Einschätzung der dichteri¬
werde das schwere Leid der Buchhändlerswitwe
schen Qualitäten dieses Dramas unternommen wird. Auf
Franziska Klähr verkörpert; was man da sieht und
dem großen historischen Hintergrunde der napoleonischen
wovor man in mitleidsvoller Ehrfurcht das Haupt
K.
Epopöe spielt sich die dramatische Historie ab, in der,
9
neigt, ist schlechtweg: die Mutter. Fräulein Wohl¬
trotz aller Zerfahrenheit, mancherlei Ansätze zu einem
gemuth bewegte sich in jener Szene, da sie denG
historischen Drama in großem Stil zu finden sind. „Er“
Ausbruch der Rachsucht ihres Liebhabers abwehrt, der
die
wird nicht auf die Bühne zitiert. Nur einmal jagen, fern
schol. nahe daran war, vor dem versammelten Hof des
n
im Hintergrund der Bühne (in der Aufführung
Prätendenien und vor dem Adjutanten des Kaisers
des Burgtheaters ist diese Szene gestrichen), einige
Helenens Schmach in die Welt hinauszuschreien, auf
Reiter im Galopp über die Bastei vorüber: der
stolzer Höhe edelster Schauspielkunst. Herr Gerasch
Kaiser und die Garden
.. Immer wieder wird von
gab sich mit großem Erfolg die ehrlichste Mühe, diesmal
„Ihm“ gesprochen, fast in jeder Szene huscht sein großer
seinen Hang zum Deklamatorischen ganz zu überwinden.
Schatten über die Bühne, aber selbst dort, wo des
Bei alledem ließ er manchen Zuschauer recht kalt. Aber
Kaisers Machtwort entscheidend in das Schicksal des
daran war wohl er selbst weniger schuld als der
Helden des Dramas eingreift, vernehmen wir es nur aus
Dichter... Die Aufführung trug alle Merkmale einer soge¬
dem Munde des Adjutanten. Darin wird man wohl
nannten Sensationspremiere, die nicht enttäuscht. Sie
weniger einen theatralischen Trick erblicken dürfen als
brachte einen starken Erfolg dem Dichter, einen noch
den Beweis künstlerischer Vornehmheit, die einerseits stärkeren den Darstellern.
e. g.2