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22. Denjungedandus
„OB8:
I. österr. v
konzessieuirt
Bureau
für Zeitungsnachrichtas
Wien, 1.
Konkordiaplatz #
Hlust
#.##. N Knod en-Zeitung, Wien
Theater und Kunst.
Burgtheater.
Schuitlers fünfstündiger „junger Medardus“.
Artur Schnitzler hat die österreichische Literatur um
ein kostbares Werk bereichert, um einen dramatisierten, vater¬
ländischen Geschichtsroman aus Alt=Wiens schrecklichster Zeit.
Dramatische Historie nennt der Dichter die schier endlose, bunte
Szenenreihe, die uns geschichtliche Anekdoten, Alt=Wiener
Studien und erschütternde Schicksalstragödien vermitteln.
des Dramas. Ein junger Fanatiker, den nach dem Ausspruche
seines Freundes Etzelt die Natur zum Helden bestimmte und
die Folge der Dinge zum Narren gemacht hat. Der junge, edle,
begeisterte Medardus fühlt sich als auserwählter Rächer. Er
will die Macht Napoleons, der in Schönbrunn eingezogen ist,
brechen, er fühlt sich als Rachewerkzeug Deutschlands. Doch
all seine Unternehmungen schlagen fehl, der Fanatiker aber
mit seinen ohnmächtigen Rachegefühlen weicht nicht von seinem
eingeschlagenen Feldzug ab, der ihm schließlich auch noch den
Kopf kostet. Agathe, Medardus Schwester, wurde die Geliebte!
box 26/5
des Prinzen von Valois, des blinden, kranken, wahnbefangenen
Prätendenten, des Herzogs von Valois, der immer nur von
der Krone Frankreichs traumt. Da die jungen Leute einander
nicht gehören konnten, sind sie gemeinschaftlich in die Donau
gegangen. Man bringt die angeschwemmten Leichen in dem
Augenblicke, in welchem sich Medardus als Freiwilliger an¬
werben lassen möchte. Medardus will nicht mehr in den Krieg,
er hat jetzt eine andere Aufgabe zu erfüllen, er hat den Tod
der Schwester an dem hochmütigen aristokratischen Geschlechte
zu rächen. Helene von Valois, die herrische, stolze Schwester
des jungen Selbstmörders, will er entehren. Am frischen Grabe
der Schwester begegnet er Helene zum erstenmal. Er insultiert
sie und muß vor den Degen des Marauis von Valois, ihres
Bräutigams. Er wird verwundet, aber bald gelangt er an das
Ziel seiner Wünsche, in Helenens Schlafgemach. Die ihm ge¬
gönnten Liebesfreuden ertöten langsam seine Rachelust. Als
begeisterter Verteidiger Wiens erscheint er nun auf den Basteien.
Seinen braven Onkel Eschenbacher, der von dem gemütlich¬
schurkischen Wachshuber denunziert wurde, haben die Fran¬
zosen erschossen. Das Unglück schreitet inzwischen in der Familie
schnell weiter. Medardus plant Napoleons Ermordung. Helene
von Valois ist die Geliebte des Franzosen=Kaisers geworden.
Medardus begegnet ihr auf der Schönbrunner Schloßtreppe. Er
stoßt ihr hier den Dalch in die Brust. Im Gefängnis stellt es
sich heraus, daß Helene Bonaparte töten wollte. Medardus soll
als Retter des Kaisers die Freiheit erhalten, wenn er sein
Wort gibt, nie mehr nach dem Leben Napoleons zu trachten.
Trotz der Bitten der Mutter und des besten Freundes kann er
sich zu diesem Versprechen nicht verstehen. Er muß daher vor
die Flinten der französischen Soldaten, aber ein ehrenvolles
Begräbnis hat diesem sonderbaren Schwärmer Napoleon doch
noch großmütig bewilligt.
Das wäre in tnappster Form die Wiedergabe der
dramatischen Erzählung. Aber diese Inhaltsangabe vermag nicht
im Entferntesten die Schönheiten dieser großangelegten, dich¬
terischen Kulturbilder von der Wiener Franzosenbelagerung
zu schildern. Vom dritten Akte ab drängen sich die nerven¬
peitschenden, allzu romanhaften Bilder, die nicht mehr auf
volle Aufnahmsfähigkeit des Publikums rechnen können. Die
Sprache zeigt eigentlich nicht die Schnitzlerische Freiheit und
philosophische Nachdenklichkeit, aber sie ist doch schön und gedanken¬
reich und allen Notwendigkeiten dieses Stückes gut angepaßt.
Außerordentlich gut geschaut sind alle Figuren des Stückes,
wundervoll ist die Szene belebt und fesselnd, wie interessant
sind manche durch Poesie verklärten Szenen, die historische
Treue strenge wahrten.
Es ist wohl nicht anzunehmen, daß irgend eine zweite
Bühne die vom Burgtheater geleistete künstlerische Arbeit so
bald erreichen kann. Entzückend sind einige Lefler'schen Bilder,
besonders die altwienerischen, und die Regiearbeit hat nicht
durchwegs, aber vorwiegend Sorgfältiges geleistet. Ein Massen¬
aufgebot von 78 Schauspielern war zur Bewältigung aller
Rollen notwendig. Gerasch spielte den rachedurstigen Fana¬
tiker mit dem Feuer Ferdinands, mit der Leidenschaftlichkeit
des Don Carlos und der melancholischen Nachdenklichkeit Ham¬
lets. In vorderste Reihe rückte Fräulein Wohlgemuth als
Helene, die Dame „mit den hochmütig mörderischen Fingern“.
Hartmann als blinder, kranker Träumer, schuf eine
rührende Gestalt. Korff gab den schuftigen Delikatessen¬
händler Wachshuber sehr charakteristisch, Treßler den philo¬
sophischen Freund von Medardus als feine Charakterstudie.
Eine Heldenmutter von bewundernswerter Kraft war Frau
Bleibtren in der Rolle der historischen Franziska Klähr.
Das junge, in den Tod gehende Liebespaar wurde von dem
Ehepaar Frank=Medelsky ausgezeichnet gemimt. Von
en wienerischen Porträts interessierten: der wackere Sattler¬
meister Eschenbacher des Herrn Balajthy, der ganz echte,
g’schaftlhuberische Berger des Herrn Heller, der ewig ge¬
ängstigte Föderl des Herrn Moser, die blutrünstige Frau
Grinzinger der Frau Senders, zwei verschieden geartete
Nädchen, Anna und Elisabeth, die Damen Mell und Wag¬
ner, die Medardus heimlich und unglücklich lieben, und der
uralte 93jährige Herr (Herr Straßny), der alle Gene¬
rationen mit einem beneidenswerten Gleichmut überlebt.
Außerdem seien noch die ritterlichen Gestalten der Herren
Reimer's (General Rapp), Devrient (Marquis von
Valois) und Löwe (Desolteux), hervorgehoben; Fräulein
Hönigswald als schwermütige Herzogin, Fräulein Hof¬
teufel als reizendes Kammerkätzchen, Herr Heine und
Herr Arndt in Rollen zweier ungleich gearteter Aerzte, und
noch ein Dutzend anderer Künstler haben verdienstlich mit¬
gewirkt. Das Publikum folgte bis zum dritten Akte mit inten¬
sibem Interesse und mitunter mit Begeisterung den Vorgängen
und bereitete dem heimischen Poeten Schnitzler viele Ehrungen.
Nach den Basteiszenen, welche bedenklich an die Nerven rütteln,
wurde die Teilnahme schwächer, aber der Sieg war bereits nach
dem zweiteiligen Vorspiel und den ersten zwei Akten ge¬
wonnen.
22. Denjungedandus
„OB8:
I. österr. v
konzessieuirt
Bureau
für Zeitungsnachrichtas
Wien, 1.
Konkordiaplatz #
Hlust
#.##. N Knod en-Zeitung, Wien
Theater und Kunst.
Burgtheater.
Schuitlers fünfstündiger „junger Medardus“.
Artur Schnitzler hat die österreichische Literatur um
ein kostbares Werk bereichert, um einen dramatisierten, vater¬
ländischen Geschichtsroman aus Alt=Wiens schrecklichster Zeit.
Dramatische Historie nennt der Dichter die schier endlose, bunte
Szenenreihe, die uns geschichtliche Anekdoten, Alt=Wiener
Studien und erschütternde Schicksalstragödien vermitteln.
des Dramas. Ein junger Fanatiker, den nach dem Ausspruche
seines Freundes Etzelt die Natur zum Helden bestimmte und
die Folge der Dinge zum Narren gemacht hat. Der junge, edle,
begeisterte Medardus fühlt sich als auserwählter Rächer. Er
will die Macht Napoleons, der in Schönbrunn eingezogen ist,
brechen, er fühlt sich als Rachewerkzeug Deutschlands. Doch
all seine Unternehmungen schlagen fehl, der Fanatiker aber
mit seinen ohnmächtigen Rachegefühlen weicht nicht von seinem
eingeschlagenen Feldzug ab, der ihm schließlich auch noch den
Kopf kostet. Agathe, Medardus Schwester, wurde die Geliebte!
box 26/5
des Prinzen von Valois, des blinden, kranken, wahnbefangenen
Prätendenten, des Herzogs von Valois, der immer nur von
der Krone Frankreichs traumt. Da die jungen Leute einander
nicht gehören konnten, sind sie gemeinschaftlich in die Donau
gegangen. Man bringt die angeschwemmten Leichen in dem
Augenblicke, in welchem sich Medardus als Freiwilliger an¬
werben lassen möchte. Medardus will nicht mehr in den Krieg,
er hat jetzt eine andere Aufgabe zu erfüllen, er hat den Tod
der Schwester an dem hochmütigen aristokratischen Geschlechte
zu rächen. Helene von Valois, die herrische, stolze Schwester
des jungen Selbstmörders, will er entehren. Am frischen Grabe
der Schwester begegnet er Helene zum erstenmal. Er insultiert
sie und muß vor den Degen des Marauis von Valois, ihres
Bräutigams. Er wird verwundet, aber bald gelangt er an das
Ziel seiner Wünsche, in Helenens Schlafgemach. Die ihm ge¬
gönnten Liebesfreuden ertöten langsam seine Rachelust. Als
begeisterter Verteidiger Wiens erscheint er nun auf den Basteien.
Seinen braven Onkel Eschenbacher, der von dem gemütlich¬
schurkischen Wachshuber denunziert wurde, haben die Fran¬
zosen erschossen. Das Unglück schreitet inzwischen in der Familie
schnell weiter. Medardus plant Napoleons Ermordung. Helene
von Valois ist die Geliebte des Franzosen=Kaisers geworden.
Medardus begegnet ihr auf der Schönbrunner Schloßtreppe. Er
stoßt ihr hier den Dalch in die Brust. Im Gefängnis stellt es
sich heraus, daß Helene Bonaparte töten wollte. Medardus soll
als Retter des Kaisers die Freiheit erhalten, wenn er sein
Wort gibt, nie mehr nach dem Leben Napoleons zu trachten.
Trotz der Bitten der Mutter und des besten Freundes kann er
sich zu diesem Versprechen nicht verstehen. Er muß daher vor
die Flinten der französischen Soldaten, aber ein ehrenvolles
Begräbnis hat diesem sonderbaren Schwärmer Napoleon doch
noch großmütig bewilligt.
Das wäre in tnappster Form die Wiedergabe der
dramatischen Erzählung. Aber diese Inhaltsangabe vermag nicht
im Entferntesten die Schönheiten dieser großangelegten, dich¬
terischen Kulturbilder von der Wiener Franzosenbelagerung
zu schildern. Vom dritten Akte ab drängen sich die nerven¬
peitschenden, allzu romanhaften Bilder, die nicht mehr auf
volle Aufnahmsfähigkeit des Publikums rechnen können. Die
Sprache zeigt eigentlich nicht die Schnitzlerische Freiheit und
philosophische Nachdenklichkeit, aber sie ist doch schön und gedanken¬
reich und allen Notwendigkeiten dieses Stückes gut angepaßt.
Außerordentlich gut geschaut sind alle Figuren des Stückes,
wundervoll ist die Szene belebt und fesselnd, wie interessant
sind manche durch Poesie verklärten Szenen, die historische
Treue strenge wahrten.
Es ist wohl nicht anzunehmen, daß irgend eine zweite
Bühne die vom Burgtheater geleistete künstlerische Arbeit so
bald erreichen kann. Entzückend sind einige Lefler'schen Bilder,
besonders die altwienerischen, und die Regiearbeit hat nicht
durchwegs, aber vorwiegend Sorgfältiges geleistet. Ein Massen¬
aufgebot von 78 Schauspielern war zur Bewältigung aller
Rollen notwendig. Gerasch spielte den rachedurstigen Fana¬
tiker mit dem Feuer Ferdinands, mit der Leidenschaftlichkeit
des Don Carlos und der melancholischen Nachdenklichkeit Ham¬
lets. In vorderste Reihe rückte Fräulein Wohlgemuth als
Helene, die Dame „mit den hochmütig mörderischen Fingern“.
Hartmann als blinder, kranker Träumer, schuf eine
rührende Gestalt. Korff gab den schuftigen Delikatessen¬
händler Wachshuber sehr charakteristisch, Treßler den philo¬
sophischen Freund von Medardus als feine Charakterstudie.
Eine Heldenmutter von bewundernswerter Kraft war Frau
Bleibtren in der Rolle der historischen Franziska Klähr.
Das junge, in den Tod gehende Liebespaar wurde von dem
Ehepaar Frank=Medelsky ausgezeichnet gemimt. Von
en wienerischen Porträts interessierten: der wackere Sattler¬
meister Eschenbacher des Herrn Balajthy, der ganz echte,
g’schaftlhuberische Berger des Herrn Heller, der ewig ge¬
ängstigte Föderl des Herrn Moser, die blutrünstige Frau
Grinzinger der Frau Senders, zwei verschieden geartete
Nädchen, Anna und Elisabeth, die Damen Mell und Wag¬
ner, die Medardus heimlich und unglücklich lieben, und der
uralte 93jährige Herr (Herr Straßny), der alle Gene¬
rationen mit einem beneidenswerten Gleichmut überlebt.
Außerdem seien noch die ritterlichen Gestalten der Herren
Reimer's (General Rapp), Devrient (Marquis von
Valois) und Löwe (Desolteux), hervorgehoben; Fräulein
Hönigswald als schwermütige Herzogin, Fräulein Hof¬
teufel als reizendes Kammerkätzchen, Herr Heine und
Herr Arndt in Rollen zweier ungleich gearteter Aerzte, und
noch ein Dutzend anderer Künstler haben verdienstlich mit¬
gewirkt. Das Publikum folgte bis zum dritten Akte mit inten¬
sibem Interesse und mitunter mit Begeisterung den Vorgängen
und bereitete dem heimischen Poeten Schnitzler viele Ehrungen.
Nach den Basteiszenen, welche bedenklich an die Nerven rütteln,
wurde die Teilnahme schwächer, aber der Sieg war bereits nach
dem zweiteiligen Vorspiel und den ersten zwei Akten ge¬
wonnen.