II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 93

22. Denu
6
Madandl
Dr. Zeit
Konkordiaßlats
25 NUN 1910
Neues Wiener Tajdlart
Burgtheater. Ein großartigeres Spektakel hot es
im Burgtheater gewiß noch niemals gegeben als gestern
abend. In hellen Scharen strömte „ganz Wien“ herbei, um
das wochenlang vorher angetündigte und besprochene
Wunder anzustannen. Das Haus war bis auf das letzte
Plätzchen besetzt und bot ein Schauspiel im Schauspiele
dar. Schon der Theaterzettel mit seinen achizig namentlich
bezeichneten Personen bedeutete eine Sehenswürdigken —
man konnte sich durch die eingehende Lektüre der vielen
unbekannten Namen in den Zwischenakten zum Mnemoniker
ausbilden. Ach, und es kamen so viele nette Zwischenakte
vor! Der Vorhang senkt sich nur, um wieder in die Höhe
zu gehen, die Gardine wurde nur aufgezogen, um sich
wieder zu schließen. Und jedesmal erschien ein neues
wunderschönes, bald erheiterndes und belustigendes, er¬
greifendes und erschütterndes, historisch beglaubigtes Stadt¬
und Landschaftsbild mit Staffage, das eigentlich keines
Tommentars weiter bedarf, weil es sich selbst erklärt —, der
Jundervollste Orbis pictus, den man wünschen mag.
elehrend und unterhaltend für jung und alt. Ein
Ihantast konnte glauben, er säße in der Camera obscurn.
ines spekulotiven Schwarzkünstkes von 1809, der just an
erselben Stelle, wo das heutige Burgtheater steht, das
samalige Wien im Spiegelkasten einfing. Ja, wir haben es
soch bequemer als die biederen Schreubler, Berger, Bradl,
Hrinzinger, Föderl, Stiefler und Wachshuber, die sich von
der Bastei aus die Belagerung anschauten, und lausen nicht
inmal Gefahr, wie die kleine Gretel, die Enkelin des ver¬
jeßlichen uralten Herrn, Hofrat v. Chronos, von einem
Granatsplitter getroffen zu werden, obwohl die Franzosen
nit ih. verdammten Kanonen direkt ins Parkett hinein¬
euern. Wir zucken endlich kaum mit der Wimper, eher mit
de# Achsel, wenn der gute Onkel und ehrsame Sattler¬
meister Jakob Eschenbacher, und um einiges später sein
hoffnungsvoller Neffe, der vielgeliebte junge Medardus, um
die Ecke gebracht und hinter der Mauer füsikiert werden.
Noch lieber klatschen wir Bravo, rufen mit dem Regisseur
Thimig den Maler Lefler, dann die Damen
Römpler, Medelsky, Wohlgemuth, Hof¬
teusel. Mell, Hönigsvald, Schmittlein,
Wilbrandt, die Herren Gerasch, Balajthy,
Treßler, Frank, Sommer, Baumgartner,
Danegger, Seydelmann, Korfs, Paulsen,
Pittschau, Walter, Muratori, Arndt, Hart¬
mann, Devrient, Loewe, Basch, Zeila,
Prechtler, Heine, Reimers, Gimnig Heller — um
nur einige von den Achtzig zu nennen —, zuletzt aber auch
Artor Schnitzler heraus, mit dem wir später noch ein
ernstes Wort reden wollen. Der seine Seelenmaler Schnitzler
nämlich ist der Dichter der groben „dramatischen Historie“,
die „Der junge Medardus“ heißt. Die freundliche Auf¬
nahme seines Werkes äußerte sich in Beifall und Hervor¬
rufen nach jedem Akt, besonders lebhaft nach dem ersten
und dritten.
M. K.
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„OBSERVER“
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Ost. Volks Zaitung. Wien
(Klmbe Ausgabe)
# POV 1910
Theater und Kunst.
Burgtheater. Die mie Spannung erwartete erste
Aufführung der historischen Tragödie „Der junge
Medardus“ von Artur Schnialex erzielte gestern
ein tiefgehendes Interesse von Seite des Publikuns.
Obwohl durch das Drama kein einheitlicher Zug geht und
das dämonische Haß= und Liebessviel des Helden und
seiner Partnerin das Publikum manchmal stutzig machte,
erzielten Stück und Darstellung doch einen Erfolg, der sich
besonders stürmisch in der ersten Hälfte des Dramas
äußerte. Im Anfang dankte der Regisseur Herr Thimig
für die freundliche Aufnahme, später wurde Schnitzle.
selbst durch zahlreiche Hervorrufe ausgezeichnet. Am
stärksten wirkte die Friedhofszene, dann die Liebesszene
im Garten des Herzogs von Valois, die hechdramatische
Szene, in der Eschenbacher zum Tode geführt wird, serner
die Basteiszene und das dramatise bewegte Bild vor
dem Schönbrunner Schlosse. Es gab auch tote Punkte
und retardierende Momente, an denen wohl auch der
häusige Szeuenwechsel Schuld trug. Die Schlußszene
im Kerker ist zwar mit großer dramatischer Kraft geführt;
doch das Zuviel, die grausame Seelenmarter der Mutter
und die in dieser Situation unbegreifliche Selbst¬
zerstörungswut des Helden, weckten vielsach Bedenken.
Der Beifall war auch am Ende des Stückes noch ein
sehr starker. Das Stück endete erst gegen ½12 Uhr.
Ueber seine Lkalitäten, sowie über die Darstellung
sprechen wienn anderer Slle. — Der Vorstellung wohnten
Erzherzegf Franz Ferdinand mit Gemahlin
und Erzherzog Karl Stephan bei.
V. Ch.