22. Denjunge Nedandus
schwung ein. tapferen Bürgersohn Medardus fehlt zum Helden nur eines:
französischen er dürfte kein Wiener sein. Anderswo geboren, hätte er
ist, noch tot
sich selbst oder hätte ihn das Geschick auf den richtigen Platz
schneller und
gestellt. Aber er ist Wiener, und so fehlt ihm der starke
Sinnlose Wille. Erst ist er kriegsbereit. Doch zum Liebesmahl werden
brennt, das
zwei Selbstmörder gebracht, die der Strom eben bei jenem
len aus Ver¬
Donanwirtshaus ans Land gespült hat. Es ist die Schwester
worden sein,
des Medardus und ihr Geliebter, der Prinz von Valois,
anno 1805
die gemeinsam starben, weil die Valois, Prätendenten von
Ist es nicht
Frankreichs Krone, die Mésalliance des Erbprinzen nicht er¬
n Zeit wird
laubten. Umsonst sagt dem Medardus sein bester Freund:
ht zum Ent¬
„Mitstürzen in die Vernichtung oder erhobenen Hauptes
etwas zur
weitergehen — es gibt keine andere Antwort auf das Un¬
77
ten Platz...
abänderliche.“ Medardus bleibt in Wien, rückt dem Feind
nicht mitentgegen. Vaterland, Ruhm und Heldenrum sind
ngen ist, in
ihm leerer Schall geworden. Er will nur Rache. Beim Be¬
g zu machen.
gräbnis des Selbstmörderpaares lernt er des Prinzen Schwe¬
i Landwehr¬
ster kennen, die, verlobt mit einem Vetter, nach ihres Bruders
irtshaus in
Tod die Nächste ist zu Frankreichs Krone. Medardus ent¬
s ist voller
flammt mit kühnem Ansturm der Prinzessin Liebe; er macht
esungen und
sie zu seiner Geliebten, um ihre Schande den Valois und der
htvoll ange¬
ganzen Welt ins Gesicht zu schreien. Allein zum andern Mal
bleiot sein Wille nicht auf der erkorenen Linie. Er unterliegt
sterreich soll
ere, an die
selbzst der Leidenschaft zur Prinzessin und wird Wachs in
den Hallen,
ihrer Hand. Aber er möchte sich befreien, sehnt sich nach einer
großen Tat. Napoléon ist schuld an seines Vaters und seines
Oheims Tod. Medardus beschließt, den Tyrannen zu töten.
steien, hohen
Kaum hat er den Plan gefaßt, da fordert die Prinzessin die
Vorstädten
gleiche Tat von ihm. Soll er ihrem künftigen Gatten und ihr
vilvolk treibt
den Weg zum Thron bereiten? Er wird es nicht tun!
eien herum,
Da wird die Prinzessin plötzlich zu Napoléon eingeladen un
ein französi¬
in der Stadt raunt man, sie sei des Kaisers Geliebte. Me¬
chs geöffnete
dardus löst sich innerlich von ihr los und eilt nach Schön¬
ren, hernach
brunn, Napoléon doch zu töten. An der Rampe, wo Me¬
inrergrundes
dardus inmitten des Volkes lauert, kommt auch unter andern
hende laufen
Dinergästen Napoléons die Prinzessin an ihm vorüber. Und
rn will, auf
abermals läßt er sich von außen her bestimmen: er stößt der
d Uebergabe
Geliebten den Dolch in die Brust. Medardus sitzt im Ge¬
lein elegantes
fängnis; und dort erst gelingt es ihm, den Wiener in sich
hauspiel an¬
zu überwinden. Es hat sich herausgestellt, daß die Prinzessin
e der Stadt.
selbst bei jenem Diner Napoléon morden wollte. Unbewußt
die Wiener,
ist Medardus der Retter des Kaisers geworden, der ihm da¬
nnt, drängen
für dankbar Leben und Freiheit schenken will. Medardus
renden Na¬
aber bekennt seine wahre Attentatsabsicht und nimmt Leben
en Soldaten
und Freiheit von Napoléon selbst für das bloße Versprechen,
darauf aber
en und tags
Er schwört vielmehr, er werde Napoléon töten, wo und wann
stellung der
er ihn erreichen könne. So muß er also die tödliche Ge¬
: es ist ganz
wehrsalve des Hochverräters empfangen und sterben, im äuße¬
ie Zeit und
ren Leben ganz erfolglos, ein Opfer seines Wienertums, das
er aber innerlich doch überwunden hat, ein stiller Held.
Schicksal des
tapp „dieses
Dem jungen! Es ist nicht wahrscheinlich, daß sich — Reinhardt
box 26/5
vielleicht ausgenommen — eine andere deutsche Bühne dieser
dramatischen Historie annehmen kann und wird, als das
Burgtheater. Und schön und mutig ist es, daß die Burg,
die früher Schnitzlers treueste Freundin war, bis sie ihm
für Jahre entfremdet ward, gerade bei einem so gefahrvollen
Wagnis, wie es „Der junge Medardus“ bedeutet, wie¬
der zur alten Tradition zurückkehrt. Fünfundfünfzig männ¬
liche und neunzehn weibliche Spieler zählt der Theaterzettel
auf, und siebzehn Mal wechseln die Schauplätze der Historie,
unter denen die Straßenkreuzung mit dem Zeughaus, die
Burgbastei mit dem Burgtor und der Schanze und den
Türmen der Vorstädte, die zwei Friedhofsbilder und dann
der Schönbrunner Schloßhof mit dem Schloß, der Terrasse
und den zwei Freitreppen. in technischer wie in dekorativer
Hinsicht harte Nüsse sind. Thimig als Regisseur, Direktor
Berger als Oberregisseur, Schnitzler als Mitregis¬
arbeitet; die Schauspieler taten emsig und feurig mit.
Kainz als Medardus! Wer das erlebt hütte!
Gerasch als Medardus war ganz gut, aber doch nicht
ausreichend. Neben ihm ragte aus der Unzahl der Mitwir¬
kenden vor allen seine Partnerin, Fräulein Wohlgemut
als Prinzessin Valois hervor, die nach diesem Tag zu den
ersten deutschen Schauspielerinnen gezählt werden muß. Ihr
ist es zuzuschreiben, daß die Liebestragödie die Tragödie
Wiens in den Hintergrund schob und daß der lauteste Jubel
des beifallreichen Abends nicht nach den bescheiden gedämpf¬
ten Aufruhr= und Kampfszenen auf der Bastei — was hätte
Reinhardt da herausgeholt! — sondern nach der Liebesszene
aufbrauste. Die Regie der intimen stillen Szenen gab viel
Stimmungsvolles, woran Dichter und Direktor Anteil hatten.
Von den Darstellern waren Hartmann als greiser Präten¬
dent, Treßler als junger und Balajthy als älterer ur¬
wienerischer Mann bedeutend, und dann Frau Bleibtreu
als Heldenfrau. Ein großer und gewiß auch dauernder Er¬
folg lohnte Mut und Mühe des Burgtheaters.
Dr. Wilhelm von Wymetal.
schwung ein. tapferen Bürgersohn Medardus fehlt zum Helden nur eines:
französischen er dürfte kein Wiener sein. Anderswo geboren, hätte er
ist, noch tot
sich selbst oder hätte ihn das Geschick auf den richtigen Platz
schneller und
gestellt. Aber er ist Wiener, und so fehlt ihm der starke
Sinnlose Wille. Erst ist er kriegsbereit. Doch zum Liebesmahl werden
brennt, das
zwei Selbstmörder gebracht, die der Strom eben bei jenem
len aus Ver¬
Donanwirtshaus ans Land gespült hat. Es ist die Schwester
worden sein,
des Medardus und ihr Geliebter, der Prinz von Valois,
anno 1805
die gemeinsam starben, weil die Valois, Prätendenten von
Ist es nicht
Frankreichs Krone, die Mésalliance des Erbprinzen nicht er¬
n Zeit wird
laubten. Umsonst sagt dem Medardus sein bester Freund:
ht zum Ent¬
„Mitstürzen in die Vernichtung oder erhobenen Hauptes
etwas zur
weitergehen — es gibt keine andere Antwort auf das Un¬
77
ten Platz...
abänderliche.“ Medardus bleibt in Wien, rückt dem Feind
nicht mitentgegen. Vaterland, Ruhm und Heldenrum sind
ngen ist, in
ihm leerer Schall geworden. Er will nur Rache. Beim Be¬
g zu machen.
gräbnis des Selbstmörderpaares lernt er des Prinzen Schwe¬
i Landwehr¬
ster kennen, die, verlobt mit einem Vetter, nach ihres Bruders
irtshaus in
Tod die Nächste ist zu Frankreichs Krone. Medardus ent¬
s ist voller
flammt mit kühnem Ansturm der Prinzessin Liebe; er macht
esungen und
sie zu seiner Geliebten, um ihre Schande den Valois und der
htvoll ange¬
ganzen Welt ins Gesicht zu schreien. Allein zum andern Mal
bleiot sein Wille nicht auf der erkorenen Linie. Er unterliegt
sterreich soll
ere, an die
selbzst der Leidenschaft zur Prinzessin und wird Wachs in
den Hallen,
ihrer Hand. Aber er möchte sich befreien, sehnt sich nach einer
großen Tat. Napoléon ist schuld an seines Vaters und seines
Oheims Tod. Medardus beschließt, den Tyrannen zu töten.
steien, hohen
Kaum hat er den Plan gefaßt, da fordert die Prinzessin die
Vorstädten
gleiche Tat von ihm. Soll er ihrem künftigen Gatten und ihr
vilvolk treibt
den Weg zum Thron bereiten? Er wird es nicht tun!
eien herum,
Da wird die Prinzessin plötzlich zu Napoléon eingeladen un
ein französi¬
in der Stadt raunt man, sie sei des Kaisers Geliebte. Me¬
chs geöffnete
dardus löst sich innerlich von ihr los und eilt nach Schön¬
ren, hernach
brunn, Napoléon doch zu töten. An der Rampe, wo Me¬
inrergrundes
dardus inmitten des Volkes lauert, kommt auch unter andern
hende laufen
Dinergästen Napoléons die Prinzessin an ihm vorüber. Und
rn will, auf
abermals läßt er sich von außen her bestimmen: er stößt der
d Uebergabe
Geliebten den Dolch in die Brust. Medardus sitzt im Ge¬
lein elegantes
fängnis; und dort erst gelingt es ihm, den Wiener in sich
hauspiel an¬
zu überwinden. Es hat sich herausgestellt, daß die Prinzessin
e der Stadt.
selbst bei jenem Diner Napoléon morden wollte. Unbewußt
die Wiener,
ist Medardus der Retter des Kaisers geworden, der ihm da¬
nnt, drängen
für dankbar Leben und Freiheit schenken will. Medardus
renden Na¬
aber bekennt seine wahre Attentatsabsicht und nimmt Leben
en Soldaten
und Freiheit von Napoléon selbst für das bloße Versprechen,
darauf aber
en und tags
Er schwört vielmehr, er werde Napoléon töten, wo und wann
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er ihn erreichen könne. So muß er also die tödliche Ge¬
: es ist ganz
wehrsalve des Hochverräters empfangen und sterben, im äuße¬
ie Zeit und
ren Leben ganz erfolglos, ein Opfer seines Wienertums, das
er aber innerlich doch überwunden hat, ein stiller Held.
Schicksal des
tapp „dieses
Dem jungen! Es ist nicht wahrscheinlich, daß sich — Reinhardt
box 26/5
vielleicht ausgenommen — eine andere deutsche Bühne dieser
dramatischen Historie annehmen kann und wird, als das
Burgtheater. Und schön und mutig ist es, daß die Burg,
die früher Schnitzlers treueste Freundin war, bis sie ihm
für Jahre entfremdet ward, gerade bei einem so gefahrvollen
Wagnis, wie es „Der junge Medardus“ bedeutet, wie¬
der zur alten Tradition zurückkehrt. Fünfundfünfzig männ¬
liche und neunzehn weibliche Spieler zählt der Theaterzettel
auf, und siebzehn Mal wechseln die Schauplätze der Historie,
unter denen die Straßenkreuzung mit dem Zeughaus, die
Burgbastei mit dem Burgtor und der Schanze und den
Türmen der Vorstädte, die zwei Friedhofsbilder und dann
der Schönbrunner Schloßhof mit dem Schloß, der Terrasse
und den zwei Freitreppen. in technischer wie in dekorativer
Hinsicht harte Nüsse sind. Thimig als Regisseur, Direktor
Berger als Oberregisseur, Schnitzler als Mitregis¬
arbeitet; die Schauspieler taten emsig und feurig mit.
Kainz als Medardus! Wer das erlebt hütte!
Gerasch als Medardus war ganz gut, aber doch nicht
ausreichend. Neben ihm ragte aus der Unzahl der Mitwir¬
kenden vor allen seine Partnerin, Fräulein Wohlgemut
als Prinzessin Valois hervor, die nach diesem Tag zu den
ersten deutschen Schauspielerinnen gezählt werden muß. Ihr
ist es zuzuschreiben, daß die Liebestragödie die Tragödie
Wiens in den Hintergrund schob und daß der lauteste Jubel
des beifallreichen Abends nicht nach den bescheiden gedämpf¬
ten Aufruhr= und Kampfszenen auf der Bastei — was hätte
Reinhardt da herausgeholt! — sondern nach der Liebesszene
aufbrauste. Die Regie der intimen stillen Szenen gab viel
Stimmungsvolles, woran Dichter und Direktor Anteil hatten.
Von den Darstellern waren Hartmann als greiser Präten¬
dent, Treßler als junger und Balajthy als älterer ur¬
wienerischer Mann bedeutend, und dann Frau Bleibtreu
als Heldenfrau. Ein großer und gewiß auch dauernder Er¬
folg lohnte Mut und Mühe des Burgtheaters.
Dr. Wilhelm von Wymetal.