II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 137

22. Denjunge Medandus
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und die Moiren greifen nach blaugemusterten Sack¬
Helene gewinnt unser Interesse, wenn sie dem wurde 1809 standrechtlich erschossen, n
tüchern. Dem Dichter selbst mag etwas bange um
Bruder Agathens feindselig begegnet und sich doch beim
Kanonenläufe vergraben hatte. Die beid
das Heldentum seines Medardus geworden sein: er
ersten Blick in ihn verliebt. Die Teilnahme wächst,
botenen Schrämbelschen Landkarten, in die
neckt ihn zuweilen mit ironischen Streiflichtern.
wenn sie, in ihrem königlichen Mädchen= und Ahnen¬
Kanonen hier so handsam verwandeln
Dann fühlt sich auch der Zuschauer tragisch gefrotzelt,
stolz von dem rachsüchtigen Medardus beleidigt, den
ließen sich wohl leichter beiseite bringen, und
und es bereitet ihm eine sehr mäßige Genugtuung, zu
ihr zugefügten Schimpf mit dem Degen eines Kavaliers
mehrt nur das tragikomische Pech, das die
sehen, wie grausam die Dummheit starrsinniger
ahnden läßt, dem sie später aus politischen Gründen
Klähr mit Napoleon hat, daß der Onkel
Eltern an den Kindern heimgesucht wird. Neigt
die Hand zum Ehebund reicht, unter der aufschiebenden
meister, dem die Landkarten gar nicht ge
Mutter Klähr nicht bedenklich zur komischen Alten,
Bedingung, der Marquis müsse ihr erst aus Frankreich
ihretwegen aus der Welt geschafft wird. D
wenn sie allein kein Auge für den Zustand der Tochter
die Beweise dafür bringen, daß ihr künftiger Sohn die des Braven bedeutet nur ein psychologische
hat, um dessentwillen Agathe mit ihrem französischen
Krone tragen werde. Aber unsre Sympathie kühlt sich und Zuchtmittel, um den abgestumpften Vor
Prinzen in die Donau geht? Gab es wirklich keinen
ab, wenn sich Berechnung in die Leidenschaft mischt,
zum Tyrannenmörder verdorbenen Medard
andern Ausweg aus der bedrängten Lage, und hat
wenn die Prinzessin, was der schürenden Muttersorge
schärfen.
der Witwe Klähr nicht gelang, aus dynastischem Ehrgeiz
Prinzessin Helene gar so unrecht, ihren kopflosen
Als der Wiener Hamlet der Franzosenze
durchsetzen und den Geliebten zum Mörder Napoleons
Bruder zu verachten, der Agathe zu einem Spazier¬
lich so weit ist, wie sein geschichtlich nachgen
entflammen, wenn sie ihn als Mittel zum Zweck mi߬
gang über die Basteien abholte und mit ihr die Reise
Vetter, der siebzehnjährige Friedrich Stap
ins Jenseits antrat?
brauchen will — mit dem Marquis von Valois in der
Naumburg an der Saale, nämlich im Schloßho
Reserve. Medardus gewinnt unser Interesse, wenn er,
Das Schicksal und Napoleon wollten es so.
Schönbrunn, wo Napoleon am 12. Oktober 18
der frischen Stichwunde seiner Brust nicht achtend,
Dennoch möchte Schnitzler, mit Rücksicht auf die un¬
Truppenrevue abhielt, und, den Dolch im Ge
durch den leuchtenden Frühlingsabend davonstürmt,
ausrottbaren Gewohnheiten eines hochzuverehrenden
den Kaiser erwartet, durchkreuzt die Liebe ihn
über die Parkmauer setzt und der Prinzessin für die
Theaterpublikums, dem zweiten zum Tode verurteilten
mals, zum letztenmal, Plan und Weg. Er sieht
Blumen dankt, die sie ihm durch ihre Zofe geschickt hat.
Paar eine persönliche Schuld aufladen, und dies
die äußere Freitreppe zum Schlosse hinauf
Und er verliert unsre Sympathie sofort, wenn er nach
gelang ihm nur mittels eines ebenso primitiven wie
Auch sie hat einen Dolch im Gewande un
sonderbaren psychologischen Verfahrens voll un= der ersten Liebesnacht, die er in den Armen Helenes
Napoleon töten. Das Gerücht nennt sie die G
genossen, seinem Freunde Etzelt erklärt: „Die Diener
ergründlicher Rätsel Leibes und der Seele. Er
des Kaisers, Freundes= und Volkesstimme trägt
ruf' ich zusammen und die Mägde und schrei' es durch
schüttelt Haß und Liebe so lange kräftig durcheinander,
das Ohr des lauernden Familienrächers. Rase
den Flur und lasse den Herzog rufen und die Herzogin
bis sie sich einen Moment lang zu verbinden scheinen,
Eifersucht vertritt er der Prinzessin den Pa
und zerre die Prinzessin aus dem zerwühlten Bett,
um im nächsten Augenblick wieder auseinander zu
ersticht sie. Im Gefängnis erfährt der sichtli
nackt über die Treppe . . . es ist abgemacht, daß ich
fliegen, und wiederholt diese Prozedur je nach Gefallen
ruhigte den wahren Sachverhalt, nachdem er üb
heute nacht wiederkommen und morgen und übermorgen
Mord der Prinzessin bereits mit jener verblüf
und Bedarf. Medardus und Helene lieben sich aus
sie ist schön, Etzelt, sehr schön, die Prinzessin,
Leichtigkeit und Gewandtheit hinweggegangen
Haß und hassen sich aus Liebe. Sonst wären sie beide
warum soll man nicht ein paar wunderbare Nächte
welche die meisten überraschenden Wendungen
nicht umzubringen und könnten weder leben noch
haben? ...“
Historie kennzeichnet, und gerät erst außer sie
sterben. Das Grab ist die Wiege ihres Liebeslebens.
So spricht und denkt kein Gentleman. Das ist
ihm der General Rapp mit dem Dank und de
Aus der Grube, in welche François und Agathe ver¬
die Gesinnung eines gemeinen Schlingels, und ein
gnadigung des Kaisers seinen Glückwunsch über
senkt wurden, steigt Eros als lächelnder Abgesandter
solcher verdiente mit derselben Hundspeitsche be¬
Das wird endlich dem jungen Medardus doch zu
des finstern Thanatos empor und schlägt die Herzen
handelt zu werden wie der niederträchtige Denunziant
für den Tyrannen die unschuldige Geliebte a
der Widerstrebenden in Fesseln, um sie dem Gebieter
Wachshuber, der den bravsten Kerl der ganzen
bloßes Gerede hin getötet zu haben und sich zu
hinzuopfern. Gewiß kein übler Gedanke! Aber er
Historie, den Jakob Eschenbacher, aus schäbiger
fürchterlichen Untat auch noch gratulieren un
müßte behutsam gehegt und treulich gepflegt werden,
Geld=, Hab= und Gewinnsucht und schmutzigem Neide
möglich mit dem Kreuz der Ehrenlegion beh
wenn er die erhofften Früchte bringen soll.
verrät. Eschenbacher, eine historische Persönlichkeit, lassen — nein, das verträgt kein deutscher P