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22. Denjunge Medandus
nännischen“ Stil ist „Der junge Medardus“ wahrhaftig nicht
ingelegt. Gewiß, in den Buchhandlungen gehi er reißend,
innen wenigen Tagen mußte die dritte Auflage veranstaltet
verden und in einer Buchhandlung geschah es einmal, daß, als
er Vorrat momentan ausgegangen war und für einen Stamm¬
unden ein Exemplar zur Stelle geschafft werden sollte,
vergeblich in die anderen Buchläden herumgeschickt wurde.
is war keines aufzutreiben. Sicher ist es auch, daß nach aller
Voraussicht ds Stück die Burgtheatersaison beherrschen und sie
iberdauern wird. Als ebenso wahrscheinlich aber ist anzunehmen,
daß um jedes andere dramatische Werk Schnitzlers, von
der auswärtigen
der „Liebelei“ angefangen, das „Geriß“
Theaterdirektoren ein größeres gewesen sein dürfte, als
wohl diesmal der Fall sein wird. Nicht aus¬
chließlich und allein wegen des ungewöhnlich exorbitanten
zenischen Apparats und Massenaufgebotes, dem selbst unter
den großen Bühnen wohl nur wenige genügen können, sondern
ebensosehr wegen des historischen Schauplatzes: Wien. Denn
wer nur einigermaßen Gelegenheit gehabt hat, mit dem dramatischen
„Markte“ in Berührung zu kommen und dessen Getriebe und
Bedingungen kennen zu lernen, dem braucht nicht erzählt zu
werden, welchen förmlichen Schrecken es den Theatergeschäfts¬
leuten für den auswärtigen Betrieb einjagt, wenn sie bei einem
ihnen übergebenen Stück zu lesen bekommen: „Die Handlung spielt
in Wien“. Das muß schon eine ganz besondere Sensation sein,
die „in Wien spielen“ darf. Vielleicht hat sich in den letzten
Jahren darin etwas gemildert, vielleicht ist die panische Wirkung
der Ortsbezeichnung „Wien“ eine gelindere geworden und manches,
durch eine besondere Fügung des Theatergeschickes begünstigte
„Wiener Stück“ hat die Runde über die deutschen und auch fremd¬
dann aber gewiß nicht, weil,
ländischen Bühnen gemacht
sondern trotzdem die Aktion auf Wiener Boden und zwischen
Wiener Mauern vorging.
Auf keinem Gebiete des Völkerverkehrs vielleicht sind die
Spuren der einstigen Abgeschlossenheit und Weltentfremdung,
worin Oesterreich und speziell Wien gehalten worden war, in so
beschämendem Maße zurückgeblieben, wie bei dem dramatischen
Heimatsausweise. Poris, ja Paris — welcher zivilisierte Mensch
ist da nicht zu Hause und fühlt sich da förmlich bodenständig und
hört und sieht das, was ihm die Szene als pariserisch vor¬
führt, mit völligem Heimatsinteresse an, erhöht noch durch
den prickelnden Reiz der Neugier, weil's ja doch ein bißchen die
Fremde ist, und zwar die lockende Fremde. Es ist dann, als
wenn man in der eigenen Vaterstadt auf Entdeckungsreisen aus¬
geht und in interessante Gassen und Gäßchen gerät, wo man
zeitlebens nicht gewesen und dennoch zu Hause ist. Und mit
London ist es so ziemlich das nämliche und mit Berlin auch, für
die deutschen Publikümer wenigstens, unbeschadet allem Partikularismus
und allem Stämmeunterschied — denn sonst hätte Berlin unmöglich in den
letzteu zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts die Theater¬
führung an sich reißen und der Stapelplatz des deutschen Schau¬
spiels nieden, für den Erfolg eines Stückes in erster und letzter
Linie den entscheidenden Ausschlag geben können. Ein Wiener
Erfolg galt seither — wie sich ein Wiener Autor ausgedrückt hat
— bloß als der „Präsentierteller“, auf dem die dramatische
Speise weitergereicht wird, womit noch nicht ausgemacht ist,
daß auch alles zugreift. Der Berliner Erfolg qualifizierte sich zum
zwingenden „Muß“ für die anderen Theater, während der Wiener
Erfol,, sich nur als ein artiges „Ist's gefällig?“ präsentierte. Und
nun gar Wien als der Schauplatz eines dramatischen Begebnisses,
noch dazu eines historischen. Da erschien die Misere unseres
Fremdenverkehrs in ihrer entmutigendsten Dürftigkeit. Wer soll
sich für Geschichten und Historien interessieren, die in Wien vor¬
gehen, außer wenn er selbst Wiener ist? Und auch da nicht
durchweg. Wie viele Wiener denken sich im Theater lieber nach
Paris hin und, wie man weiß, ist es ja in neuerer Zeit gerade
wiederholt vorgekommen, daß hiesige Autoren sich hinter französische
Pfeudonyme steckten, um einer Komödie mehr Lockreiz zu
geben, womit der Theateragent sicherlich einverstanden war.
Darum haben oder hatten die „vaterländischen Autoren“ — denn
eine erfreuliche Wendung ist unverkennbar im Anzug — eine
förmliche Angst vor „Wiener Stoffen“, weil „draußen“ nichte
damit zu machen sei und der „Umsatz“ ein sehr beschränkter
bleiden müsse. Der sponnendste, handlungsbewegieste „Wiener
Stoff“, der, nach allem Dafürhalten, als seiner Wirkung
unbedingt sicher hätte gelten müssen, schien alle Erfolgsgarantien
und alle Chancen des Betriebes und der Verbreitung einzubüßen.“
wurde. Als
22. Denjunge Medandus
nännischen“ Stil ist „Der junge Medardus“ wahrhaftig nicht
ingelegt. Gewiß, in den Buchhandlungen gehi er reißend,
innen wenigen Tagen mußte die dritte Auflage veranstaltet
verden und in einer Buchhandlung geschah es einmal, daß, als
er Vorrat momentan ausgegangen war und für einen Stamm¬
unden ein Exemplar zur Stelle geschafft werden sollte,
vergeblich in die anderen Buchläden herumgeschickt wurde.
is war keines aufzutreiben. Sicher ist es auch, daß nach aller
Voraussicht ds Stück die Burgtheatersaison beherrschen und sie
iberdauern wird. Als ebenso wahrscheinlich aber ist anzunehmen,
daß um jedes andere dramatische Werk Schnitzlers, von
der auswärtigen
der „Liebelei“ angefangen, das „Geriß“
Theaterdirektoren ein größeres gewesen sein dürfte, als
wohl diesmal der Fall sein wird. Nicht aus¬
chließlich und allein wegen des ungewöhnlich exorbitanten
zenischen Apparats und Massenaufgebotes, dem selbst unter
den großen Bühnen wohl nur wenige genügen können, sondern
ebensosehr wegen des historischen Schauplatzes: Wien. Denn
wer nur einigermaßen Gelegenheit gehabt hat, mit dem dramatischen
„Markte“ in Berührung zu kommen und dessen Getriebe und
Bedingungen kennen zu lernen, dem braucht nicht erzählt zu
werden, welchen förmlichen Schrecken es den Theatergeschäfts¬
leuten für den auswärtigen Betrieb einjagt, wenn sie bei einem
ihnen übergebenen Stück zu lesen bekommen: „Die Handlung spielt
in Wien“. Das muß schon eine ganz besondere Sensation sein,
die „in Wien spielen“ darf. Vielleicht hat sich in den letzten
Jahren darin etwas gemildert, vielleicht ist die panische Wirkung
der Ortsbezeichnung „Wien“ eine gelindere geworden und manches,
durch eine besondere Fügung des Theatergeschickes begünstigte
„Wiener Stück“ hat die Runde über die deutschen und auch fremd¬
dann aber gewiß nicht, weil,
ländischen Bühnen gemacht
sondern trotzdem die Aktion auf Wiener Boden und zwischen
Wiener Mauern vorging.
Auf keinem Gebiete des Völkerverkehrs vielleicht sind die
Spuren der einstigen Abgeschlossenheit und Weltentfremdung,
worin Oesterreich und speziell Wien gehalten worden war, in so
beschämendem Maße zurückgeblieben, wie bei dem dramatischen
Heimatsausweise. Poris, ja Paris — welcher zivilisierte Mensch
ist da nicht zu Hause und fühlt sich da förmlich bodenständig und
hört und sieht das, was ihm die Szene als pariserisch vor¬
führt, mit völligem Heimatsinteresse an, erhöht noch durch
den prickelnden Reiz der Neugier, weil's ja doch ein bißchen die
Fremde ist, und zwar die lockende Fremde. Es ist dann, als
wenn man in der eigenen Vaterstadt auf Entdeckungsreisen aus¬
geht und in interessante Gassen und Gäßchen gerät, wo man
zeitlebens nicht gewesen und dennoch zu Hause ist. Und mit
London ist es so ziemlich das nämliche und mit Berlin auch, für
die deutschen Publikümer wenigstens, unbeschadet allem Partikularismus
und allem Stämmeunterschied — denn sonst hätte Berlin unmöglich in den
letzteu zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts die Theater¬
führung an sich reißen und der Stapelplatz des deutschen Schau¬
spiels nieden, für den Erfolg eines Stückes in erster und letzter
Linie den entscheidenden Ausschlag geben können. Ein Wiener
Erfolg galt seither — wie sich ein Wiener Autor ausgedrückt hat
— bloß als der „Präsentierteller“, auf dem die dramatische
Speise weitergereicht wird, womit noch nicht ausgemacht ist,
daß auch alles zugreift. Der Berliner Erfolg qualifizierte sich zum
zwingenden „Muß“ für die anderen Theater, während der Wiener
Erfol,, sich nur als ein artiges „Ist's gefällig?“ präsentierte. Und
nun gar Wien als der Schauplatz eines dramatischen Begebnisses,
noch dazu eines historischen. Da erschien die Misere unseres
Fremdenverkehrs in ihrer entmutigendsten Dürftigkeit. Wer soll
sich für Geschichten und Historien interessieren, die in Wien vor¬
gehen, außer wenn er selbst Wiener ist? Und auch da nicht
durchweg. Wie viele Wiener denken sich im Theater lieber nach
Paris hin und, wie man weiß, ist es ja in neuerer Zeit gerade
wiederholt vorgekommen, daß hiesige Autoren sich hinter französische
Pfeudonyme steckten, um einer Komödie mehr Lockreiz zu
geben, womit der Theateragent sicherlich einverstanden war.
Darum haben oder hatten die „vaterländischen Autoren“ — denn
eine erfreuliche Wendung ist unverkennbar im Anzug — eine
förmliche Angst vor „Wiener Stoffen“, weil „draußen“ nichte
damit zu machen sei und der „Umsatz“ ein sehr beschränkter
bleiden müsse. Der sponnendste, handlungsbewegieste „Wiener
Stoff“, der, nach allem Dafürhalten, als seiner Wirkung
unbedingt sicher hätte gelten müssen, schien alle Erfolgsgarantien
und alle Chancen des Betriebes und der Verbreitung einzubüßen.“
wurde. Als