II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 226

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22. Der junge Nedandus
der Plan der Prinzessin, die den Valois den Thron Frank¬
Schnitzler zum erstenmal über Wiener Bretter. So
reichs retten will. Im Solde der Valois wäre die Tat je¬
sehr ist das Burgtheater, ist Wien ins Hintertreffen ge¬
doch unrein, und Medardus läßt seine kühne Absicht fahren.
rückt. Nun aber erwartet man ja eine sogenannte neue
Eine neue Judith, begibt sich die Prinzessin zu Napoleon,
Aera, erwartet sie allerdings nicht ohne Mißtrauen nach
um ihn in einer Liebesnacht zu töten. Medardus hört, daß
den hilflosen Anfängen des Freiherrn v. Berger. Da war
sie des Kaisers Geliebte geworden sei, und sticht sie auf
die Aufführung von Schnitzlers dramatischer Historie „Der
ihrem Wege nieder. Ins Gefängnis geschleppt, soll er
junge Medardus“ eine Tat. Sie war auch eine Not¬
Gnade finden, denn er hat den Mordpian der Prinzessin
wendigkeit, die nicht versäumt werden durfte. Repräsenta¬
durch seine eigene Bluttat verhindert. Medardus aber
tive Bühnen haben eben ihre Verpflichtungen. „Der junge
nimmt diese Gnade nicht an, beschuldigt sich selbst der Mord¬
Medardus“ ist ein österreichisches Stück, ist so durch seine
absicht auf den Kaiser, und so wird er schließlich gerichtet.
ganze Atmosphäre an Wien gebunden, daß man seine Wir¬
An diesem Reichtum der Vorgänge, die zu hart aufein¬
kungen früher nicht anderswo ausprobieren durfte, als
anderprallen, um eine seelische Vertiefung und eine bezie¬
hier.
hungsvollere Ausbreitung zu gestatten, krankt das Stück.
Schnitzler ist leider auf dem Wege weitergeschritten, den
Die Figuxen sind ja äußerst lebendig und mit sublimen Ab¬
er im „Ruf des Lebens“ betrat. Um dramatisch und kraft¬
lönungen hingestellt, die Stimmungen, die aus den altwiener
voll zu wirken, häuft er gewalttätige Szenen. Begräbnisse,
Interieurs, aus den Vedutten von Basteien, Schönbrunn
Duelle, Morde und kriegerisches Toben drängen sich be¬
und Donaulände steigen, die Details, die feinnervig und
täubend aneinander. Man ist im Wien des Jahres 1809,
geistvoll den Dialog färben, bezeugen die künstlerische Hand
in dem Napoleon die Stadt belagerte und nahm. Medar¬
Arthur Schnitzlers. Doch sind nur kaleidoskopisch Bilder
dus ist der junge Sohn einer Buchhändlerswitwe, der als Frei¬
entstanden, die einander jagen und nur kulturhistorisch und
williger gegen die Franzosen ziehen will, ein stürmischer
durch alle Einzeltypen interessant sind; es fehlt dieser Fülle
Held, aber nur ein Held von Hamlets Natur. Seine
die Geschlossenheit, die zusammenraffende, starke, nur durch
Schwester Agathe ward vom Prinzen von Valois geliebt
die Psychologie zu ermöglichende innere Einheit. Wie im¬
und verführt. Der Prinz fühnte sein Vergehen, indem er
mer in Schnitzlers Stücken, wohnen auch hier Erotik und
mit dem Mädchen in den Fluten der Donau unterging.
Tod beisammen, durchdringen einander, mischen sich und
Beim Begräbnis des Paares begegnet Medardus der Prin¬
sind ein recht perverser, hochgetriebener Rausch. Nicht
zessin von Valois auf dem Friedhof, und treibt sie, von
Liebe spielt die große Rolle, sondern eben die Erotik, und
Schmerz und Rache durchwühlt, vom Grabe weg, auf den
das Publikum vermißt instinktiv eine ideale Tendenz. Es
sie Blumen niederlegen wollte. Den Schimpf, den er ihr
gewinut für Medardus, den Sinnlich=flackernden und Leiden¬
angetan, soll er in einem Duell mit ihrem Vetter, dem
schaftlichen, nicht die Sympathie, die ihm zufliegen würde,
Marquis von Valois, büßen. Medardus wird im Zwei¬
wenn er ein etwas weniger neurasthenischer und edlerer
kampf verwundet. Und während er mit der Wunde nieder¬
Jüngling wäre, und die ihm der Dichter wünscht.
liegt, erhält er von der Prinzessin die für das Grab be¬
Mit dem Aufgebot seines ganzen Ensembles inszenierte
Hung
stimmten Blumen. Da wacht in ihm der verteufelte Ge¬
das Burgtheater Schnitzlers Drama und ließ die zahl¬
danke auf, die Prinzessin, von der er jetzt weiß, daß seine
reichen Bilder auf der Drehbühne wechseln. Der immer
männliche Tapferkeit und brausende Jugend ihr Herz jäh
noch glänzende Apparat funktionierte vortrefflich, die
betört haben, obwohl sie dem Marquis verlobt ist, zu ent¬
Mischung von Historie und Phantasie spiegelte sich wunder¬
ehren und dann der öffentlichen Schande preiszugeben. So
sam in den Regiekünsten, Herr Gerasch ersetzte persön¬
glaubt er seine Schwester am besten zu rächen. Denn dieser
liche Farbe durch temperamentvolle Jugendlichkeit, Fräu¬
Jlingling wird sich nicht klar darüber, daß des Prinzen
lein Wohlgemuth war eine ganz delikate, noble Prin¬
Tod längst jede Rache ausschließt, und die Valois ebenso
zessin, und so blieb der Beifall immerhin nicht aus, da man
trauern wie seine Mutter und er. Seine Leidenschaftlich¬
sich ja auch freute, Schnitzler wieder einmal vor diese Rampe
keit, die von keinem festen Willen gelenkt wird, jagt ihn in
rufen zu können.
sein Unglück. In der Umarmung der Prinzessin erlischt
sein Zorn und schlägt in Verliebtheit um. Sie nimmt ihn
nur leicht wie einen frivoten Zeitvertreib, in ihm lodern die
Flammen. Seine Mission als Vaterlandsretter hat er ver¬
gessen, ist ganz seinem ungebändigten Herzen untertan.
hrdus“.
Da rüttelt ihn die Hinrichtung seines Oheims auf. Der
en, 25. Nopember.
Sattlermeister Eschenbacher ist dieser Oheim, von dem die
Was für die Wiener“
Geschichte erzählt, daß er in seinem Hofe zwei Kanonen
ständliches sein müßte:
vergraben hatte (im Stück sind es nur zwei verbotene Land¬
nsten Dichter im Burg¬
karten). Medardus nimmt sich eine erlösende Tat für das
woird ihnen zur Sense¬
Vaterkand vor: er will Napoleon ermorden.] Dies ist auch
nes Stück von Arthur