II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 225

box 26/5
22. Der junge Medandus
Schnitzler zum erstenmal über Wiener Bretter. So
sehr ist das Burgtheater, ist Wien ins Hintertreffen ge¬
rückt. Nun aber erwartet man ja eine sogenannte neue
Aera, erwartet sie allerdings nicht ohne Mißtrauen nach
den hilflosen Anfängen des Freiherrn v. Berger. Da war
die Aufführung von Schnitzlers dramatischer Historie „Der
junge Medardus“ eine Tat. Sie war auch eine Not¬
wendigkeit, die nicht versäumt werden durfte. Repräsenta¬
tive Bühnen haben eben ihre Verpflichtungen. „Der junge
Medardus“ ist ein österreichisches Stück, ist so durch seine
ganze Atmosphäre an Wien gebunden, daß man seine Wir¬
kungen früher nicht anderswo ausprobieren durfte, als
hier.
Schnitzler ist leider auf dem Wege weitergeschritten, den
er im „Ruf des Lebens“ betrat. Um dramatisch und. kraft¬
voll zu wirken, häuft er gewalttätige Szenen. Begräbnisse,
Duelle, Morde und kriegerisches Toben drängen sich be¬
täubend aneinander. Man ist im Wien des Jahres 1809,
in dem Napoleon die Stadt belagerte und nahm. Medar¬
dus ist der junge Sohn einer Buchhändlerswitwe, der als Frei¬
williger gegen die Franzosen ziehen will, ein stürmischer
MUA
OESE!
Held, aber nur ein Held von Hamlets Natur. Seine
Schwester Agathe ward vom Prinzen von Valois geliebt
Löeters.b.
und verführt. Der Prinz fühnte sein Vergehen, indem er
konze. u10#
mit dem Mädchen in den Fluten der Donau unterging.
Burge
Beim Begräbnis des Paares begegnet Medardus der Prin¬
für Z6ite
zessin von Valois auf dem Friedhof, und treibt sie, von
Schmerz und Rache durchwühlt, vom Grabe weg, auf den
Kenkerdung
sie Blumen niederlegen wollte. Den Schimpf, den er ihr
angetan, soll er in einem Duell mit ihrem Vetter, dem
Marquis von Valois, büßen. Medardus wird im Zwei¬
kampf verwundet. Und während er mit der Wunde nieder¬
S#retersburgel Zeilung
liegt, erhält er von der Prinzessin die für das Grab be¬
stimmten Blumen. Da wacht in ihm der verteufelte Ge¬
danke auf, die Prinzessin, von der er jetzt weiß, daß seine
männliche Tapferkeit und brausende Jugend ihr Herz jäh
betört haben, obwohl sie dem Marquis verlobt ist, zu ent¬
ehren und dann der öffentlichen Schande preiszugeben. So
glaubt er seine Schwester am besten zu rächen. Denn dieser
Jlingling wird sich nicht klar darüber, daß des Prinzen
30 11. 1970
Tod längst jede Rache ausschließt, und die Valois ebenso
trauern wie seine Mutter und er. Seine Leidenschaftlich¬
keit, die von keinem festen Willen gelenkt wird, jagt ihn in
sein Unglück. In der Umarmung der Prinzessin erlischt
sein Zorn und schlägt in Verliebtheit um. Sie nimmt ihn
nur leicht wie einen frivoten Zeitvertreib, in ihm lodern die
Flammen. Seine Mission als Vaterlandsretter hat er ver¬
„Der junge, Medardus“.
gessen, ist ganz seinem ungebändigten Herzen untertan.
Wien, 25. November.
Da rüttelt ihn die Hinrichtung seines Oheims auf. Der
Sattlermeister Eschenbacher ist dieser Oheim, von dem die
Es war eine Sensaiionspremiere. Was für die Wiener
Geschichte erzählt, daß er in seinem Hofe zwei Kanonen
etwas Gewöhnliches jund Selbstperständliches sein müßte:
vergraben hatte (im Stück sind es nur zwei verbotene Land¬
daß einer ihrer feinsten und angesehensten Dichter im Burg¬
karien). Medardus nimmt sich eine erlösende Tat für das
theater eine Uraufführung erlebt, wird ihnen zur Senja¬
tion. Seit Jahren ging kein neues Stück von Arthur! Vaterland vor: er will Napoleon ermorden.] Dies ist auch
der Plan der Prinzessin,
reichs retten will. Im
doch unrein, und Medard
Eine neue Judith, begib
um ihn in einer Liebesn#
sie des Kaisers Geliebte
ihrem Wege nieder. I
Gnade finden, denn er
durch seine eigene Blut
nimmt diese Gnade nicht
absicht auf den Kaiser, un
An diesem Reichtum
anderprallen, um eine se
hungsvollere Ausbreitung
Die Figuren sind ja äußer
lönungen hingestellt, die
Interieurs, aus den Ved
und Donaulände steigen,
geistvoll den Dialog färben
Arthur Schnitzlers. Doch
entstanden, die einander j#
durch alle Einzeltypen int
die Geschlossenheit, die zu
die Psychologie zu ermögli
mer in Schnitzlers Stücke
Tod beisammen, durchdrin
sind ein recht perverser,
Liebe spielt die große Rol
das Publikum vermißt in
gewinnt für Medardus, den
schaftlichen, nicht die Sym
wenn er ein etwas wenig
Jüngling wäre, und die ih
Mit dem Aufgebot sein
das Burgtheater Schnitzle
reichen Bilder auf der D
noch glänzende Apparat
Mischung von Hisiorie und
sam in den Regiekünsten,
liche Farbe durch tempera
lein Wohlgemuth war
lessin, und so blieb der Bei
sich ja auch freute, Schnitzle#
rufen zu können.