II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 232

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22. Derjungedardus
Klose & Seidel
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war, sich während der Parade im Schloßhof von Schönbrunn dem
Leben.
Franzosenkaiser zu nähern, ihn zu fragen, ob der Friede geschlossen
Kunst, Wissenschaft und
werde oder nicht, und ihm im Falle einer abschlägigen Antwort einen
X [Das Urbild des „jungen Medardus“.] Artur Schnitzler
=Dolch ins Herz zu stoßen. Er kaufte sich ein großes Küchenmesser, das
hat in seinem neuesten, soeben vom Wiener Burgtheäter ausgeführren
er an der Spitze doppelseitig schleifen ließ, und erforschte die Gelegen¬
Drama die Vorgänge des Jahres 1809, soweit sie sich in Wien ab¬
heit. Am 12. Oktober mittags fand er sich sauber gekleidet und mit der
gespfelt haben, zum Vorwurf genommen und dabei auch nicht die Tat¬
französischen Kokarde am modischen französischen Chapeau=Claque, zur
sache zu verwerten vergessen, daß in diesem Jahre auf den furchtbaren
Parade im Schönbrunner Schloßhof ein und stellte sich am Ende der
Franzosenkaiser im Schloßhof von Schönbrunn ein Mordanschlag ver¬
großen Freitreppe neben einige verwundete Offiziere und drei ver¬
sucht worden ist. Freilich hat er, wie überhaupt alle Ereignisse des für
wundete badische Soldaten. Napoleon hatte die Parade abgenommen
Österreich so verhängnisvollen Jahres, auch dieses mit unbegrenzter
und sprach mit Offizieren der Jäger zu Pferde, als sich Staps bis auf
dichterischer Freiheit behandelt. Sein junger Medardus, dem er die
zwei Schritte zu ihm herandrängte. Napoleon bemerkte ihn jedoch nicht.
Rolle des Tyrannenmörders übertragen hat, entspricht dem historischen
Marschall Berthier indessen versperrte ihm den Weg; er hielt ihn für
Urbisd, ganz und gar nicht. Ganz abgesehen davon, daß Schnitzler
einen Bittsteller, weil er die den Messergriff umklammernde Hand in der
seinen Helden zu einem Vollblutwiener gemacht hat, hat er ihn auch,
Brusttasche des Überrocks stecken hatte, als ob er eine Bittschrift heraus¬
wie das bei diesem literarischen Vertreter der skeptischen Ironie kaum
ziehen wollte. Da Staps trotzdem vordringen wollte, rief Berthier
anders zu erwarten war, als einen wankelmütigen, zerfahrenen Jüngling
General Rapp. Dieser übergab den Jüngling den Gendarmen. Bei
hingestellt, der von dem patriotischen Opfermut, der die damalige Jugend
seiner Untersuchung fand man das Messer bei ihm, in einer aus Papier
und so auch den historischen Attentäter von Schönbrunn erfüllte, keinen
gefertigten, mit Bindfaden verschnürten Scheide. Der Verhaftete ver¬
Funken in sich hat und lediglich als ein Phrasenheld erscheint, ohne die
langte beim Verhör, dem Kaiser selbst vorgeführt zu werden, um ihm
Fähigkeit, seine Gedanken durch einen eisernen Willen in die Tat um¬
sein Geheimnis mitzuteilen. Man willfahrte ihm. Die Unterredung
zusetzen. Der historische Attentäter von Schönbrunn hieß Friedrich
mit Napoleon dauerte eine halbe Stunde. Staps sagte dem Kaiser
Siaps und war am 14. März 1792 als Sohn eines evangelischen
gerade heraus, daß er ihn habe töten wollen. „Würden Sie es mir
Pfarrers in Naumburg geboren, zur Zeit des Mordanschlags also ein
danken,wenn ich Sie begnadigte?“ fragte ihn schließlich der Kaiser, als
Jüngling von 17 Jahren. Bevor er nach Wien reiste, um seine Tat aus¬
er sich davon überzeugt hatte, daß er es mit einem geistig ganz normalen,
zuführen, war er in der Nankinfabrik von Rothstein, Lentin & Co. zu
allerdings noch sehr jugendlichen Menschen zu tun hatte. „Ich würde
Erfurt zur Erlernung des kaufmännischen Betriebs in der Lehre. Aus
Sie dennoch zu töten versuchen“, war die unerschütterliche, vollkommen
den Akten des Kriegsgerichts, die sich im Pariser Nationalarchiv befinden,
ruhige Antwort. Er erklärte, seinen Plan ganz kaltblütig angelegt zu
hat man jetzt eine Charakteristik des Jünglings und seiner Tat ge¬
haben, den Tod herbeizusehnen und für den beabsichtigten Mord eine
wonnen, die gegenüber den Darstellungen bei Las Cases, Napoleons
Belohnung vom höchsten Wesen zu erwarten, weil er die Welt von einem
Genossen auf Sankt Helena, und in den Memoiren des Herzogs von
Manne hätte befreien wollen, der die Hauptursache des Kriegs wäre.
Rovigo Anspruch auf größere historische Zuverlässigkeit erheben kann.
Das Todesurteil des Kriegsgerichts wurde in der Morgenfrühe des
Danach hatte Friedrich Staps ein stilles, bescheidenes Wesen. Seine
16. Oktobers durch Erschießen vollstreckt. So sah das Urbild des jungen
Intelligenz war nicht groß. Aber von der Mutter hatte er eine
Medardus aus. Man kann wohl sagen, daß ihm Artur Schnitzler so
schwärmerische Veranlagung geerbt, die durch streng religiöse Erziehung
gut wie nichts entlehnt hat. Vor allem fehlt seinem Medardus die
vielleicht noch gesteigert worden war. Visionäre Traumerscheinungen
finstere, unerschütterliche Entschlossenheit zur Tat. Auch das Visionäre in
waren bei ihm nichts Seltenes. Als Napoleon im Oktober 1808 in Erfurt
der Natur des Jünglings, das man heute vielleicht für krankhaft halten
die Huldigung von vier Königen und 34 Fürsten und Prinzen aus
würde, hat er sich entgehen lassen, obgleich es sich, wie das Beispiel der
Deutschland entgegennahm, sah ihn auch Friedrich Staps. Angeblich
Schillerschen Johanna von Orleans zeigt, zu großartigen dramatischen
soll er damals zu denen gehört haben, die dem Imperator am begeistertsten
Wirkungen verwerten ließ. Aber gerade dieses Visionäre, dieses
huldigten. Diese Begeisterung ließe sich aus seiner Schwärmernatur
Elementarische stieß den Ironiker Schnitzler offenbar ab. So ist also
ganz gut erklären. Es wäre denkbar, daß der erst Sechzehnjährige, ge¬
dieses Drama von Schönbrunn, wie auch das größere des Jahres 1809,
blendet durch die Fürstenhuldigung vor dem französischen Emporkömm¬
dem Schnitzler noch weniger gerecht geworden ist, trotz dem „jungeg¬
ling und dessen gleisnerische Versprechungen, bei seiner mehr
Medardus“ noch ungeschrieben.
schwärmerisch naiven als kritisch prüfenden Geistesrichtung in Napoleon
□ I Ein Notschrei über die e
den Befreier und Erneuerer Deutschlands gesehen hätte, wie er ja tat¬

sächlich bereits mit dem Rumpelwerk der alten Reichsverfassung und dem
Zaunkönigtum der Reichsunmittelbaren und der Kirchenfürsten zum
Segen des ganzen aufgeräumt hatte. Natürlicher allerdings wäre es,
wenn man den jungen Staps schon damals als Napoleonhasser be¬
glaubigt fände, denn er mußte doch als Naumburger Pastorssohn die
Katastrophe von Jena und Auerstädt zwei Jahre vorher, wenn auch erst
14jährig, sozusagen am eigenen Leibe gespürt haben. Die Behauptung
von der ursprünglichen Begeisterung des Jünglings für den korsischen
Croberer erscheint daher mindestens bezweifelbar. Wie dem nun sei, mit
dem Ausbruch des Kriegs im Jahre 1809 wurde es dem Jüngling jeden¬
falls klar, daß Napoleons Ziel wäre, sich zum Herrn von Europa zu
machen, und der unglückliche Verlauf des Feldzugs überzeugte ihn außer¬
dem von der Unbesiegbarkeit des Korsen. Alsbald stand es bei ihm
fest: es gab nur ein Mittel, die Welt von dieser Teufelsgeißel zu be¬
freien, den Dolch. Obwohl ihn Freunde, denen er seine Gedanken an¬
vertraute, für einen Narren und für beinahe verrückt erklärten, wuchs
in ihm die Überzeugung, zu der Befreiungstat berufen zu sein, nur noch
mehr, da ihn Visionen darin bestärkten. So sah er sich im Traum zum
Helden von Deutschland bestimmt, und in dem Abschiedsbrief an seine
Eltern erzählte er, Gott sei ihm in seiner Majestät erschienen und habe
ihm mit donnerähnlichen Worten zugerufen: „Gehe hin und tue, was du
dir vorgenommen hast. Heimlich, da er bei seinen Freunden keine
Förderung fand, betrieb er nun die Ausführung seines Plans. Er
verschaffte sich einen Paß, Geld und einen Wagen und verließ am
24. September Erfurt. Am 7. Oktober langte er in Wien an. In den
Kaffeehäusern studierte er mit Hilfe der Zeitungen die Zeitvorgänge und
gewann daraus die Überzeugung, daß wenig Aussicht auf baldigen
Friedensschluß wäre, Sein Entschluß festigte sich daher. Sein. Plan