II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 234

berichte über Grauttührungen
Sere

und Neuerwerbungen
K
von B. Fischer, Verlag (Theaterabteilung), Berlin Eel, Bülowstr. an
Besember 1911
Bericht Nr. 41
Arthur Schnitzler:
der junge medaraus
Dramatische historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen.
zum ersten male aufgeführt am 21. November 1910.
am K. K. hofburgtheater in Wien.
Die Premiere des Jungen medaraus war das Cheaterereignis
dieser Saison. Das Stück errang einen großen Erfolg.
Armen vergißt er alles, was er sich vorgenommen hatte. Und da
Auf Wiener Boden spielt diese Historie, die Zeit ist 1809.
Helene ihn so schwach und gefügig sieht, fordert sie, daßer Napoleontöte.
Napoleon ist in Sicht, er läßt schon die Stadt belagern und ergreift
Medardus hatte immer diese Absicht. Aber da Helene es von
von Schönbrunn Besitz. In allen jungen Herzen erwacht die
ihm verlangt, möchte er den Plan am liebsten fallen lassen, weil
Kampfeslust, man will dem französischen Tyrannen Trotz bieten.
er nicht als gedungener Mörder erscheinen will. Im Schönbrunner
Da ist besonders einer, der es ernst meint: der junge Medardus
Schloßhof drängt sich alles, Napoleon zu sehen. Auch Medardus
Klähr, der Sohn einer Buchhändlerswitwe, die schon Gatten, Tochter
ist zur Stelle und es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß er den Dolch
und Bruder auf tragische Weise verloren hat. Medardus nimmt
doch gegen Napoleon führt. Noch ehe er aber mit sich einig wird,
Abschied von Mutter und Schwester Agathe, die schon lange ein
sieht er Helene den kaiserlichen Gemächern zueilen und in auf¬
Prinz von Valois umgirrt, und geht zu seinen Kameraden in eine
Wirtsstube an der Donau, um von dort aus ins Feld zu ziehen. wall nder Eifersucht tötet er sie. Er wird eingesperrt, aber schon
Gerade, da er aus dem Wirtshaus fortgehen will, bringt man zwei nahl ihm die Befreiung, da man ihn in der Annahme, daß Helene
Leichen: Agathe und den Prinzen Franz von Valois. Medardus Napoleon erdolchen wollte, für den Lebensretter des Kaisers hält.
schwört den Valois Rache. Er geht nicht mehr in den Kampf: Er bestreitet dies und gesteht unumwunden, daß er die Absicht
er muß erst die Ehre seiner Schwester retten. Das ist das Vorspiel. hatte, den Kaiser zu töten. Daraufhin wird er erschossen.
Es gibt viele schöne Szenen in dieser fünfaktigen Historie,
Im ersten Akt sehen wir Medardus am Grabe Agathes. Da
und aus dem Ganzen heraus sieht Medardus, eine der wunder¬
erscheint auch Helene, die Schwester des toten Prinzen, die es
lichsten und idealsten Gestalten, die Schnitzler schuf. Auf den
niemals verstehen konnte, wie ein Mensch von blauem Blute eine
Neigung zu einem schlichten Bürgermädchen fassen konnte. Sie Basteien, im Schönbrunner Schloß und in der Wohnung der
legt auf das Grab des Bruders Blumen nieder. Medardus weist Mutter des jungen Medardus, da weht uns überall eine Luft
sie mit scharfen Worten von dem Grabe. Sie fühlt sich durch sein entgegen, so wienerisch und so frisch, daß wir uns nach dem Alt¬
Hamburger Correspondent.
herrisches Benehmen beleidigt. Diese Szene hat ihren Vetter, den Wien der Franzosenzeit sehnen.
Marquis von Valois, herangelockt und so ruft sie ihm gebieterisch
Das Wertvolle an diesem Werk: seine Buntheit des Lebendigen,
zu: „Töten Sie den jungen Menschen, der da eben wegging, und
ich bin die Ihre.“ So kommt es zwischen Medardus und dem seine Fülle der Gestalten. Die Kunst, Verknüpfungen des Schick¬
Marquis zu einem Zweikampf, der mit beider Verwundung endet. sals zu zeigen. Die dichterische Kraft, die alle Szenen ganz leise
Helene tut jetzt etwas, was wir, wie vieles an ihr, nicht recht von der Wirklichkeit abrückt, und sie doch in jedem Wort, in jedem
begreisen können. Dieselben Blumen, die sie auf das Grab ihres Augenblick mit einem bestrickenden Zauber des Notwendigen und
Bruders niederlegen wollte, schickt sie nun Medardus, der sich beeilt, Natürlichen aufleuchten läßt. Die Atmosphäre, die österreichisch
Dann noch die
ihr dafür Dank zu sagen. Zwar marschieren gerade die Franzosen ist, wie etwa Haydus „Gott erhalte ....
gegen die Stadt, aber Medardus hat jetzt wichtigere Sachen zu Weisheit, die immer und immer wieder auf die schicksalsstarke Ver¬
erledigen. Er kommt zu Helene und erfährt, daß sie sich soeben teilung der Rollen in der großen Weltkomödie hinweist.
Eine Aufführung von einer wundervollen Gleichmäßigkeit, von
mit ihrem Vetter verlobt habe. Nichtsdestoweniger läßt sie Medardus
in ihr Schlafgemach ein und wie einstens ihr Bruder seine Schwester, einer ungewöhnlichen Höhe des Gelingens.
Sie dauerte fünf Stunden. Aber das Publikum schien es
so bringt er jetzt Helene zu Falle. Zwar unternahm er dieses
Abenteuer in der Absicht, Helen später bloßzustellen, aber in ihren kaum zu merken, so stark und anhaltend ist die Wirkung, die von