folgendes Schreiben:
Sehr geehrter Herr Redattenf!
Als eifrige Leserin Ihros geschätzten Blattes=bomerke
ich sehr wohl, mit wescher Unabhängigleit und Entschlossen¬
heit Sieeder=Mißwirtschaft an den beiden Hofbühnen zu
Leibe gehen. Mertwürdig! Das Publikum hilft sich und
meidet die Hoftheater in ganz demonstrativer Weise. Ich
bin noch Abonnentin; wenn ich da zu gewöhnlichen Re¬
pertoire=Vorstellungen in meine Loge trete, so erschrecke
ich oft vor der Leere, die mir aus dem Parkett wie von
den Galerien entgegengähnt. Die Zivilliste kann große
Lasten auf sich nehmen, aber daß sie das Geld für so viele
Mittelmäßigkeiten, wie sie die Herren von Weingart¬
Iner und Baron Berger unaufhörlich engagieren, mit
vollen Händen zum Fenster hinauswirft, erscheint mir ver¬
wunderlich. Sie können mir erwidern, daß ich das gleiche
mit meinen Abonnements tue, aber ich bin eine alte Dame
und in den Hoftheatern aufgewachsen. Ich helfe mir ohne¬
hin soviel ich kann und suche oft an meinen Abonnements¬
abenden das Volkstheater mit seiner Abwechslung und
seinen vortrefflichen Darstellungen sowie die Kleine Wiener
Bühne auf, wo man auch interessante geistvolle Sachen
sieht und die Regiekunst anstannen muß. Sogar zu der
Operette habe ich mich entschlossen, an die ich früher gar
nicht dachte. Nur ist das keine Hilfe, jede dieser Bühnen
bringt im Jahre eine Novität und ihre Kasse ist versorgt.
So bin ich in der Hauptsache doch auf die Hofthea¬
ter angewiesen, und da ergeht es mir herzlich schlecht. Zum
Dolmetsch meiner Eindrücke in der Hofoper haben Sie sich
selbst wiederholt gemacht, lassen Sie mich Ihnen Etwas
vom Burgtheater erzählen. Herr Baron Berger haust
dort wie der reine Sanherib. Selbst in den längst ver¬
gessenen Zeiten der unseligen Direktion Wolf war das
Nepertoire nicht so öde und feer, so grenzenlos einförmig
und langweilig' wie in der neuesten Acra. Shakespeare ist
so gut wie ausgemerzt, Laube und Dingelstedt haben von
ihm gelebt, Wilbrandt und Burckhard ihn nicht ver¬
gessen. Baron Berger hat ihn förmlich gestrichen. Von
Schiller wird „Maria Stuart“ am öftesten gegeben.
Lessing schläft, wenn nicht gerade einmal die „Minna“ aus
denselben Gründen wie „Maria Stuart“ oder die „Monna
Banna“, auf die Bühne gestellt werden muß. Gespielt wer¬
den die durchgefaltenen Novitäten dem Publikum zum Trotz
und die aufgewärmten neuszenierten Stücke, in welchen
meist Frl. Hofteufel eine Glanzrolle zu spielen hat, die
sie aber auch nicht annähernd so wie Helene Hartmann
oder Stella Hohenfels hervorbringt, von Frl. Bo߬
1er und Frl. Baudius nicht zu reden, die mich ent¬
zückten — so alt bin ich nämlich schon. Aber Frl. Hof¬
steufel erfreut sich der besonderen Gunst des Baron Ber¬
ger, und da hat das zahlende Publikum nichts weiter
dreinzureden. Bis die Geschichte nicht etwa so ausgeht,
wie die Protektions=Affaire Marcel=Weingartner.
Wir Armen müssen recht oft den „Krieg im Frieden“ und
dergleichen hören. Dagegen wurde für den reichbegabten
Herrn Heine außer dem abgehetzten „Flachsmann“ noch
keine namhafte neue Rolle ausfindig gemacht und die
Hoffnung des Burgtheaters, Herr Balajthy, leistet fast
ausschließlich „Fuhrmann Henschel“=Dienste. Grenzenlos
eintönig ist das Repertoire, das wir armen Abonnen¬
teu auszuhalten. Jüngst wurde endlich „Der junge
Medardus“ gebracht. Das Stück ist eigentlich von
Schnitzler, aber in der Vor= und Nach=Reklame steht Ba¬
ron Berger, er weiß das schon so einzurichten. Und diese
Reklame wird eigentlich auch schon im Zirkus=Stile be¬
trieben. Das hat nicht einmal Baron Dingelstedt so
getrieben, obwohl von ihm das Diktum stammt: „Sie
wissen gar nicht, wieviel Lob ich vertragen kann.“
Und die Entartung auf künstlerischem Gebiete geht
ungerügt hin, wird von der vorgesetzten Theater=Be¬
hörde geduldet. Ich habe einmal ein Gespräch über sie
in der Nachbarloge gehört, darf es aber diskreter Weise
hier nicht wiederholen. Nur das Wort „unfähig“ darf ich
zitieren, weil es so oft und so laut wiederholt wurde,
daß es drunten im Parkett unter mir gehört wurde und
E. von —
die Leute in die Loge hinaufschauten.
Telepbes 12.607.
„SDSERTER
1. Beterr. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitunge-Ansschnitte
Wien, I., Conoor(laplatz 4.
Vertretun n
In Berlin, Basel, Budapest, Chice 5, Cleveland, Christiante.
Gent, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolts,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peten¬
burg, Toronto.
(Osehenangabe ehre Gsu##z
Ausschultt aus:
Wiener Bild
vom: 14. 12
Else Wohlgemulh als Prinzessin Helene von Balois in
„Der junge Medardus“ (Hof-Burgtheater).