II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 329

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22. Derjunge-Bedardus

Schein, das sinnvolle Spiel mit Menschenart und
Lueger, der unsere Stadt mit seinem breiten Klange ganz
Menschenschicksal hat für ihn den Reiz verloren; dem
erfüllte, heute dreht sich die gemeinsame Sorge um
Feuitleton.
Wiener wurde sein Theater gleichgültig.
Fleischpreise, Mietshöhe und die Angst vor neuen

Nur ganz wenige sind noch da, in deren Wesen sich
Steuern. Strenger als sonst wo spürt man jetzt im
diese Stadt ausgedrückt findet, deren Art, zu gehen,
Capua der Geister den „Ernst des Lebens“. Teilnahme
Wiener Brief.
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zu sprechen, zu gestikulieren, die Leute in ihren Salon¬
und Sorge haben sich anderen Dingen zugewendet. Sie
Der Beifall ist verklungen...
manieren und Straßengewohnheiten nachahmen. Und
müssen heute an das Hemd denken, ehe sie an den bun¬
diese Götter der Theaterwelt stammen samt ihrem Ruhm
ten Rock, an das prunkhaft schimmernde Geschmeide den¬
Wien, Anfang Jänner.
aus früheren Menschenaltern. Der einzige Girardi hat
ken dürfen. Die wirtschaftliche Misere in den Kontors
flange einer über die Wiener Schaubühne schrieb,
noch die Volkstümlichkeit, nach ihm ist sie keinem mehr
und in den Küchen, die ist die Ursache, daß das Inter¬
er die Empfänglichkeit des Publikums in dieser
zugefallen. Und früher, es ist noch gar nicht lange her,
esse sich nach anderen Richtungen gedreht hat. Und
Zuerst war das der Staatsrat von Sonnenfels,
hatte die Odilon eine ganze Stadt bezaubert, hatte die
was wir längst schon wußten, wird wiederum bestätigt:
all am Anfang des neuzeitlichen Österreich steht,
verführerische Anmut dieser Spielerin den Männern
Kunst ist ein Luxus, den sich nur ein geordneter Haus¬
Finanzwissenschaft und in der Finanzwirtschaft,
durch die Träume gespukt, den Frauen das Blut in
stand gestatten darf. So lange es am Nötigen knapp
l- und Theaterwesen. Dann war es Schreyvogel,
Neid und Nachahmungslust beunruhigt. Daneben gab
wird, kann das Entbehrliche nicht Bedürfnis werden.
aube, dann Dingelstedt und schließlich Ludwig
es noch ein Dutzend anderer Vorbilder: Sonnenthal war
Und weil es allerwärts schon so lange stagniert, ist
Alle sind darin einig: in der Donaustadt lebt
das Muster für modische Kleidung, der junge Reimers
die Sehnsucht nach Befreiung so übergroß geworden,
le Schaubühnenpublikum. Und in allen Schau¬
erschien unbefriedigter Backsischsehnsucht als Inbegriff
daß ihr jede Erfüllung belanglos scheint. Der Reifall ist
hrten, Schauspielertagebüchern und Memoiren:
aller ritterlichen Befreiungsmöglichkeit, die Hartmann
verklungen. Selbst das wirklich Große tut keine Wir¬
vieder dieselbe Anerkennung vor dem Mitgehen
galt anderen als Exempel, wie man in stiller Hausfrauen¬
kung mehr. Eine rechte, frohe, nachhaltige Begeiste¬
er Schaubühnenbesucher. Und wenn einer diese
art einen sanften Glanz von Güte und häuslicher Wärme
rung bringt der Wiener nicht mehr auf
erließ, dann war es ihm stets, wie Albrecht
um sich breitet. Noch ging der Herr von Bauernfeld
Fast gleichzeitig sind in Berlin und Wien zwei
als er aus Italien nordwärts zog: „Wie wird's
durch die Straßen Wiens, und keinen gab es, der den
Bühnenereignisse vorgefallen, die die Teilnahme aller
ch der Sonne frieren!“ Und dieser Gedanke von
seltsamen Exaltationen des berühmten Spazierstöckchens
künstlerisch Interessierten aufs innigste gewannen. Max
hterregbarkeit, dem glühenden Bühnenenthusias¬
nicht ein bißchen nachgesehen hätte. Das war noch
Reinhardt hat im Zirkus Schumann den alten Oedipus
r jauchzenden Begeisterung der Wiener, diese
eine Zeit, in der den Wienern die Welt mit Kulissen
neu zu beleben versucht, und die Wiener Burgbühne hat
al betonte, lobend erwähnte und anerkannte
verhängt war. Eine Burgtheater=Premiere galt als
das Riesenwerk Arthur Schnitzlers zur Darstellung ge¬
lligkeit ist mit der Zeit zum Schlagwort er¬
Ereignis; man mußte dabei gewesen sein, wenn man
bracht. Undesvemt Mäs den Berichten=der Berliner
ist herkömmliche Überlieferung geworden, die
dazugehören wollte. In den Salons, in den Kaffee¬
Blätter glauben darf und sein eigenes Witerlebnis in
mer wieder unbedenklich nachgesprochen wird.
häusern, auf der Straße, in den Hörsälen der Uni¬
der Donaustadt daneben hält, dann muß man sagen:
rkommen ist Schlamperei, wie es Gustav Mah¬
versität, überali wurde dieses Ereignis besprochen, kri¬
auch der Theaterenthusiasmus hat sich von Wien nach
al ausgedrückt hat. Der Beifall ist verklungen.
tisiert, enthusiastisch gefeiert.
der großen Stadt an der Spree zugewendet. Aus der
einst vielleicht heute nicht mehr nachprüfbare
Heute erscheint uns solch eine Schilderung wie eine
Entfernung von zwölf Eilzugsstunden läßt sich das ja
t gewesen ist, hat sich mit der Zeit in verwir¬
Anekdoto aus der guten alten Zeit, wie ein Bericht
nicht so zuverlässig beurteilen. Allein den Eindruck hat
füge verwandelt. Der Theaternarr, dem Rudolf
von etwas längst Gewesenem, das mit unserer Gegen¬
es jedenfalls bei uns erweckt, daß das Wagnis Rein¬
roch vor ein paar Johren in einem Essayband
wart nichts mehr gemeinsam hat. Was heute noch
hardts für ein paar Tage oder Wochen in den Mittel¬
nderes Kapitel gewidmet hat, ist zur histori¬
das Interesse von Hunderttausenden zugleich auf sich
punkt der allgemeinen Teilnahme gerückt ist. Die Zei¬
gur geworden. Auch vor der Schaubühne zeigt
zwingt, das sind nur Ereignisse der Politik und des
tungen ließen es sich an den üblichen Berichten nicht ge¬
ner keine Begeisterungskraft mehr. Der schöne] Wirtschaftslebens. Bis vor kurzem war es der Name nug sein, mit denen die liebe Gewohnheit jede Neu¬