II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 332

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22. Dejungdardus
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Jugend sowie dessen Werdenung ließ der Redner
eine knappe Besprechung der einzelnen Werke fol¬
gen. Hieran schloß sich die ausführliche Inhalts¬
angabe des historischen Dramas „Der junge Medar¬
dus“. Deutlich und klar sahen wir die Handlung
vor unseren Augen erstehen. Agathe Klähr, ein Bür¬
germädchen, wird von François von Valois geliebt
und da er als Sohn eines emigrierten französischen
Kronprätendenten das Mädchen nicht heiraten kann
Iso sucht das Liebespaar mit dem ungeborenen Kinde
den Tod in den Wellen der Donau. Der junge Me¬
dardus, Agathens Bruder, der im Begriffe war
Soldat zu werden (das Stück spielt im Jahre 1809)
hat nun nur den einen Gedanken, Agathe zu rä¬
chen. Am Grabe der beiden Selbstmörder trifft er
mit Helene von Valois (François' Schwester) zu¬
sammen; der anfängliche Haß der beiden verwan¬
delt sich in flammende Liebe. Helene, die Medar¬
dus in wilder Glut umfangen hielt, ist die Braut
des Kronprätendenten; bei der Trauung will Me¬
dardus sich rächen, indem er Helenes Schande
preisgeben will, wird aber durch ihren suggestiven
Blick daran gehindert. Die Prätendentenfamilie wird
indes“von Navoleon zum Zeichen der Unterwerfung
nach Schönbrunn befohlen; Gerüchte tauchen auf.
daß Helene die Geliebte Napoleons geworden sei;
von Eifersucht getrieben, faßt Medardus den Ent¬
schluß, Napoleon zu töten. Im Schlosse begegnet
er Helene, die er nach kurzer Zwiesprache ersticht.
Aus einem bei ihr gefundenen Brief geht indes
hervor, daß sie selbst Napoleons Tod herbeiführen
wollte, um auf Frankreichs Thron zu gelangen. Hie¬
durch wird #ewiesen, daß sie zu Napoleon in keinem
sträflichen Verhältnisse gestanden sei. Der Kaiser,
der in Medardus seinen Retter sieht, will ihm die
Strafe für die Ermordung Helenens erlassen. Me¬
dardus verschmäht die Schonung und erzwingt die
Verurteilung. Während draußen die Glocken den
Frieden einläuten, wird Medardus erschossen. In
diesem ebenso spannenden als interessanten Drama
bestechen uns wieder alle an Schnitzler oft gewür¬
digten Vorzüge, die sich auf die Sprache, den Auf¬
bau, die Charakterisierungsgabe usw. beziehen.
Herr Antal besprach nun die einzelnen handeln¬
den Personen des Stückes und gibt der Anschau¬
ung Ausdruck, daß die eigentliche Hauptperson des
Ganzen der auf der Bühne überhaupt nicht erschei¬
nende Napoleon sei, der die Personen des Dramas
wie Marionetten in der Hand hält und an unsichtba¬
ren Fäden leitet. Medardus Klähr ist keine Helden¬
gestalt im wahren Sinne des Wortes; Antal nennt
ihn „konsequent in der Inkonsequenz“, denn er tut
stets das Gegenteil von dem, was er sich vorgenom¬
men hat. Dagegen ist Helene von Valois die Heldin
des ehernen Willens, der mit offenem Blick auf sein
Ziel losgeht. Prächtig gezeichnet ist Frau Klähr
(die Mutter des Medardus) und deren Bruder Ja¬
kob Eschenbacher. Das Stück, in dem 78 handelnde
Personen vorkonnnen, kann naturgemäß nur an
einer Bühne, die über ein riesiges Personal ver¬
fügt, zur Darstellung gebracht werden. Direktor
Schlenther hatte nicht den Mut zur Aufführung.
während Baron Berger, Schnitzlers' Wort: „Der
Wille macht alles!“ bewahrheitend, sich mit dem
„Jungen Medardus“ in grandioser Weise einge
führt hat. Der Redner besprach weiters die einzel
nen Leistungen am Wiener Hofburgtheater, so ins¬
besondere die der Frau Römpler=Bleibtreu (Mutter
Klähr), Fräulein Wohlgemuth (Helene), Herrn Ge¬
rasch (Medardus), Herrn Balajthy (Eschenbacher)
usw., und schließt mit der Hoffnung, daß Baron
Berger das Burgtheater wieder zur ersten Bühne
des Kontinents erheben werde. — Herrn Antal
wurde für seine Ausführungen, denen der Stempel
des innigen Vertrautseins mit Schnitzlers Wesen
und Werken aufgedrückt war, langanhaltender lau¬
ter Beifall zuteil, nd wir können der Leikung des
Deutsch=akademischen Lesevereines für die Bekannt¬
schaft mit dem Redner den aufrichtigsten Dank zol¬
len.
p.
reBünstle