II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 379

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Entstellungen und Verstümmelungen erkaufen wollte, Maßregeln,
Burgtheater, Volkstheater 1910/1911.
zu denen sich ja übrigens nicht jeder Autor verstünde, Schönherr
so wenig verstanden hätte wie Hauptmann oder Ibsen, falls man
„Ein Tag ist wiederum hinum,“ so hat im Kloster täglich
ihnen einen derartigen Vorschlag etwa übermittelt hätte. Was
unser gemeinsames Abendgebet begonnen, wenn der Pater Moritz
Laube einmal sagte, gilt immer noch: „Man kann heute kein
es uns vorzusprechen hatte. Aber mit freudiger Genugtuung sagte
Theater gedeihlich führen, wenn man nicht Tag und Nacht trachtet
es sich jeder von uns, wenn auch ein anderer der Präfekten die
und trachtet, wenn man sich nicht aussetzen will, wenn man das
Regie, will sagen den Dienst hatte, ein anderer, der nicht so ahnungs¬
Wagnis fürchtet. Nein. Man hat nur die Wahl: entweder jeden
voll oder vielmehr erinnerungsvoll wußte daß das jungen Burschen,
Monat einmal seinen Kopf daranzusetzen oder langweilig zu
die im Kloster eingeschlossen sind und büffeln müssen, das Wichtigste
werden, und in letzterem Falle allerdings später, aber elend zu
an jedem Tage ist, daß er „hinum“ ist. Und so sagt sich auch der
sterben. Nebenher und mit leidlichem Behagen kann man
Schauspieler mit erleichtertem Aufatmen „ein Jahr ist wiederum
heutigentags ein Theater nicht dirigieren.“ Und dabei war
hinum", wenn das Theaterjahr, die Saison, zu Ende ist. Nicht nur
noch gar nicht die Rede davon, was ein Drama durch seine
der Darsteller sagt es sich, sondern vielleicht auch so mancher
Ideen, gerade wenn eine gewisse „Gefahr“ mit ihm verbunden ist,
Kritiker. Das ist ja wohl der Grund davon, daß das Theater¬
für die Nation bedeuten kann, so daß just solch ein Drama jeden
leben bei all dem Lästigen und weniger Erfreulichen, das es oft
Mann, der das Leben seines Volkes mitlebt und dafür wirken
mit sich bringen mag, doch erfrischend und erquickend anmutet, weil
will, anlocken muß, an die Aufführung zu gehen, trotz der Gefahr,
es eben so vielfach an die Studienzeiten und an Studentisches
ja vielleicht eben wegen der Gefahr, die mit ihr verbunden ist. „Keine
gemahnt.
Kunst wirkt so unmittelbar, so populär, so stark, so rasch, so nach¬
Da haben wir gleich die „Ferien". In manch anderem Beruf
haltig auf eine Nation als die dramatische. Sie ist das mächtigste
hat man ja auch eine Zeit der Erholung, einen „Urlaub“. Ja, aber
Heer in Kriegs= und Friedenszeiten“ sagt ebenfalls wieder Laube.
was sind Urlaube und was sind Ferien! Ferien, Ferien, Ferien!
Zu wagen und zu kämpfen muß jeder Theaterdirektor bereit sein.
Das ist doch ganz etwas anderes als so ein Urlaub! Ich will
Wagt er zu viel und kämpft er zu gerne, wie das ja auch bei
gewiß gar nichts gegen Urlaube sagen, es wäre ja auch recht
manchem vorgekommen sein soll, so ist das gewiß ein Fehler.
schnöde von mir, weil ich (allerdings „gegen Karenz der Ge¬
Meidet er aber die Gefahr die ja mit jedem Kampfe naturgemäß
bühren“) einmal sogar einen einjährigen Urlaub gehabt habe; aber
verbunden ist — so ist das eben selbst eine Gefahr. Das war ja
dem Urlaub, so schön er ja auch ist, haftet doch immer noch ein
die Schwäche des feinfühligen und liebenswürdigen Wilbrandt,
gewisser Nachgeschmack von Bureauluft und Aktenstaub an, während
daß seiner konzilianten Natur jeder Kampf ein Greuel war. Er
Ferien — na, wer es nicht noch selig nachempfindet, was das
wollte Ruhe und Friede, nach unten und nach oben. Gibt es aber
sind, Ferien, der verdient nicht Urlaub und nicht Ferien. Freilich
das beim Theater?. Für den Direktor wenigstens kaum.
in unserem Theaterleben gibt es auch hinsichtlich der Ferien
Den größten und anhaltendsten Erfolg nach Schönherr er¬
„Lästiges und weniger Erfreuliches“. Da hat man Ferien ohne
zielte im Volkstheater ein anderer Oesterreicher, Artur Schnitzler
Gage, Ferien, die keine sind, die feindselig der „Spielzeit“ der
mitsseinem „Anatol“, einer Szenenreihe, die nicht nur amüsant
„Saison“, gegenübergestellt werden, Ferien, in denen sich der
und liebenswürdig ist, sondern durch die Würze vow Satire und
Schauspieler sein Brot suchen, um ein Engagement bitten und
Selbstpersiflage und durch einen Hauch von Melancholie, der über
betteln muß, wenn er nicht verhungern oder doch in Schulden,
dem Ganzen schwebt, noch einen besonderen Reiz erhält. Neben
Not und Elend oder in Verhältnisse geraten will, die ihn demo¬
diesen beiden großen Erfolgen, hintereinander, bald nach Beginn
ralisieren und deklassieren. Das gehört wohl zu den größten Mi߬
der Saison blieb eigentlich kein Raum mehr zur Ausnützung
ständen und Bitternissen unseres Theaterlebens, daß so manche
anderer Erfolge. Da ja schon Stücke, denen man großen Erfolg
Theater, die in den Wintermonaten gute Einnahmen machen, nur
und sichere Zugkraft zugetraut hatte, ganz versagt haben, nimmt
als Saisontheater geführt werden, andere wieder Mitglieder die
man eben „vorsichtsweise“ zu viele Stücke an, und so ist es dem
sie neu engagieren, zunächst nur auf die Zeit bis zu den Ferien
Volkstheater heuer geschehen, daß ihm seine eigenen Erfolge im
engagieren.
Wege standen. Freiuch, der Beifall, den ein dritter Oesterreicher,
Aber auch an den Bühnen, die dem richtigen Gedanken
Hans Müller (nicht zu verwechseln mit dem Berliner Hoffmann¬
praktischen Ausdruck geben, daß zu einem Jahr der Arbeit auch
Forscher gleichen Namens), mit einer Lohengriniade „Das Wunder
die nötige Zeit der Erholung gehört und daß mit der Zahlung der
des Beatus“ erzielte, war nicht so innerlich, daß er dem romanti¬
Arbeitszeu auch die Erholungszeit bezahlt werden muß (wie man
sierenden Versdrama übermäßiges Leben verheißen hätte, und das
ja auch dem Arbeiter nicht darum, weil er eine Mittagspause hat,
Wiener Stück eines vierten Oesterreichers, in dem dieser die Willkür¬
Löhnung, die zu einem Mittagsbrote reicht, vorenthalten darf),
herrschaft der christlichsozialen Partei persiflieren und bestimmte
auch an den Bühnen, wo dem so ist, ging nun das Jahr „hinum“.
Bezirksgrößen karikieren wollte, vermochte sich überhaupt nicht
Wenn wir einen kurzen Rückblick auf das Theaterjahr des Burg¬
über Wasser zu halten, denn von diesem Stoff enthielt es selbst zu
und des Volkstheaters werfen wollen, dürfen wir dieses Mal
viel. Wenn in dem ersten Falle wenigstens der Mut und die
wohl mit dem Deutschen Volkstheater beginnen. Was uns aber
Ritterlichkeit Anerkennung verdienen, mit denen man einem
mit besonderer Genugtuung erfüllen mag, ist, daß in beiden
heimischen Autor, dem erst vor kurzem anderwärts so übel mit¬
Theatern in künstlerischer und finanzieller Hinsicht heimische, öster¬
gespielt worden war, Gelegenheit zur Rehabilitation bot, so stehen
reichische Autoren voranstehen.
uns im zweiten Falle nicht so erfreuliche Gründe zur Entschuldi¬
Karl Schönherr, der heute zu den „angesehensten“ Drama¬
gung der Theaterleitung zur Verfügung, und auch im ersten
tikern (das Wort „angesehen“ in natürlicher und übertragener Be¬
dürfen wir nicht verschweigen, daß man am Schlusse der Vor¬
deutung genommen) gehört, hat seine Laufbahn als Dramatiker
stellung den eisernen Vorhang mit so befremdender Eile in den
bei dem Deutschen Volkstheater begonnen, dessen Direktor, es
Beifall hinein fallen ließ, als besorge man, Gelegenheit zu sich
war noch die Direktion Bukovics, nicht gesäumt hatte, Schön¬
erneuerndem Beifall zu geben, der ja dann wieder eine moralische
herrs dramatisches Erstlingswerk gleich anzunehmen und aufzu¬
oder gar juristische Zwangslage für die Art der Ansetzung der
führen, nachdem ein Feuilleton auf dessen Bedeutung und
Novität im Repertoire zu üben vermocht hätte.
dichterischen Wert aufmerksam gemacht hatte. Mit seinem Drama
Eine Zahl ganz sauber gearbeiteter französischer Stücke aber
„Glaube und Heimas“ wäre nun Schönherr wohl zuerst in die
(welches Lob natürlich auf Batailles „Törichte Jungfrau“ mit
„Burg“ gegangen, die ihm ja inzwischen so schöne Erfolge wie
ihren ganz unglaubwürdigen Figuren und ihrem Streben nach
„Sonnwendtag“ und „Erde“ gebracht und auch die „Bildschnitzer“
allerlei Effekten und Sensationen nicht zu beziehen ist), ging zwar
geradeso vom Volkstheater wie die „Karrnerleut“ aus der Josef¬
nicht erfolglos vorüber, doch ohne sich die dauernde Berücksichtigung
stadt übernommen hatte; ich verkenne ja nicht, daß die Aufführung
im Repertoire verschaffen zu können, die ihnen in einem für die
dieses die Frage der Glaubensstreitigkeiten streifenden Stückes
Direktion minder „günstigen“ Spieljahr gewiß zuteil geworden
gewisse Schwierigkeiten und Gefahren gehabt hätte. Aber Haupt¬
wäre. Der diesjährige „Shaw“ jedoch, „Mesalliance“ benamset
manns „Hannele" Ibsens „Kronprätendenten“ und gewiß noch
(kein Mensch verstand recht, warum), litt nicht nur unter dieser
viele andere Dramen konnten auch nicht ohne Schwierigkeiten und
Konstellation, sondern auch unter der Sprunghaftigkeit und Ge¬
Gefahren gegeben werden, wenn man nicht die glatte Bewilligung
der Aufführung und die Beseitigung des Gefahrenmomentes mitI suchtheit des Autors und der Schwatzhaftigkeit seiner Gestalten.