II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 394

22. Derjunge Medardus
riegerisch=unsentimentaler und schwelgerisch¬
wirkt als appetitreizender Kontrast; ebenso
der bürgerlichen und der hocharistokratischen
pansiven, nach außen schlagenden und der
nnen brennenden Temperamente. Höchst
schicklichkeit, mit der das Drama abwechselnd
cksale der Allgemeinheit in den Mittelpunkt
9o der Dichter unbedeutend wird, tritt irgend
ulung, die Szene füllend, in den Vorder¬
nde, förmlich schmetternde Kostüme und die
Jahrhundertanfangs, prangend in zartesten
euen das Auge. Auch das Ohr kommt nicht
stanonen, mit Flinten, mit Revolvern. Man
ranätlein explodieren zierlich, und zwischen
hi eine höchst naturalistische kleine Pause.
Redardus hat das Burgtheater wirklich sein
Aus der Fülle der Gestalten bewahrt man
edlen Thronprätendenten, Valajthys treff¬
er, der Frau Bleibtreu starke, unzaghafte
Medelsky rührendes Agathchen, Straßnis
Herrn, Heines meisterhaft kühlen und klugen,
Treßlers empfindungstiesen, in Ton und
1 Freund des Medardus (für mein Empfin¬
hglückte, zu Recht hinkende Figur), Arndts
lein Hoftenfels leichtfüßige, immer wie von
Unsug verliebte Zose.
Gerasch und Fräulein Wolgemuth. Ich
eiden ein bischen unrecht getan. Flamme,
könnte, war nie Herrn Geraschs Sache.
doch ein sehr schönes Tempo, hat Schwung
hmal, wie auf der schönbrunner Treppe,
in dem man aus seinen Erregungen das
revoltierenden Herzens zu hören meint.
bnierend durch den Adel ihrer Erscheinung,
üiberschätzt. Noblesse, Kühle, Unnahbarkeit,
ertrefflich gut. Wo es auf mehr ankommt,
r innern, nur gedrosselten, nicht verlöschten
13 den Tiesen dieser spiegelglatten Prinzes¬
rechten Lichter und Klänge. Ob Fräulein
edeutende Künstlerin ist, wird sich noch er¬
dardus merkte man nur, daß sie über die
m Bedeutung zu markieren.
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Von Schnitzler
Anatol
chizehn Jahre lang hat man irgend einem dramatischen Nah¬
rungsmittel, von Schnitzler oder sonstwem, den einen oder
Aden andern Anatol=Akt voraufgeschickt, um den Appetit zu
reizen, oder hinterhergeschickt, um die Verdauung zu befördern. Kein
guter Gedanke, plötzlich eine ganze Theatermahlzeit mit dem Anatol¬
Zyklus zu bestreiten. Zum Schluß war einem so flau, daß man viel
für ein Stück Kommißbrot gegeben hätte. Dabei ist unverständlich,
daß Brahm sich diesen Verlauf nicht selbst, daß Schnitzler ihn nicht vor¬
hergesagt hat. Auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder, was
er mag, wenn es auch nur die entfernteste Aussicht auf Erfolg hat.
Daß also von einem Dichter dieses Ranges, einem Autor dieses Markt¬
werts eine Serie heiterer kleiner Stücke, die seit einem halben Menschen¬
alter vorliegt, niemals im Zusammenhang gespielt worden ist: dieser
Tatbestand allein und die Einsicht in die Berechtigung dieses Tatbestandes
hätte alte Praktiker von dem Experiment abhalten sollen. Erfreulicher¬
weise hatte das Experiment nicht sieben, sondern wenigstens blos fünf
Teile. Davon ist der vierte Teil ganz, der zweite halb mißglückt, ist
der erste Teil leidlich, der fünfte genügend und der dritte völlig geglückt.
Diesen dritten Teil — das „Abschiedssouper“ — haben ungefähr sämt¬
liche deutschen Bühnen gespielt. Um zu beweisen, daß sie weise daran
getan haben, brauchte das Lessingtheater wirklich keinen besondern
Abend zu veranstalten.
Was im Lause dieses Abends immer mehr ermattet und verdrießt,
ist die Einförmigkeit seines Inhalts. Anatol wird fünfmal von der¬
selben Seite gezeigt. Wenn er weiter keine Seite hat? Eben darum
reichte es aus, ihn einmal von dieser Seite zu zeigen. Er ist ein
homme à lemmes, der vielen Frauen unwiderstehlich ist, und dem alle
Frauen unwiderstehlich sind. Was heute schon nicht mehr das ganze
Leben der Frau ausmacht, macht noch das ganze Leben dieses Männ¬
chens aus. Schnitzler selbst ist längst über den Typus hinausgewachsen.
Die Ehelente in seinem „Zwischenspiel' sind Erotiker bis über die
Ohren: zugleich sind sie geniale Musiker, die Frau nicht minder als
der Mann. Anatol aber verrät mit keiner Silbe, ob er ein“ menschen¬
öhnliche Existenz führt, geteilt zwischen die verschiedensten Interessen,
eine Existenz, in der die Liebe ihren Platz hat und nicht alles beherrscht.
Er kennt nur einen Gesprächsgegenstand: die Liebe. Himmel und
Erde bewegen sich für ihn nur um einen Pol: die Liebe. Er ist sich nur
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