box 26
22. Der junge Medandus
Betrachten wir die vier Schichten des Schnitzlerschen Riesen¬
spektakels von innen nach außen.
Den Kern, das psychologische Drama: Der junge Medardus hegt
einen großen Willen. Aber auf dem Weg vom Entschluß zur Tat
wird ihm dieser Wille regelmäßig verfälscht. Wird abgelenkt von
seiner Richtung. Medardus will fürs Vaterland ins Feld ziehen.
Da schwemmt ihm die Donau seine tote Schwester vor die Füße. Er
will die Schwester rächen. Do kommt ihm die Liebe überquer. Er
will seiner Liebe leben. Da tritt die Notwendigkeit, Held, Nächer,
Befreier zu sein, an seine Seele heran. Er will Held, Rächer, Be¬
freier sein, da stiehlt ihm neuerdings das Gespenst der Liebe alle
Energie aus den Nerven, lenkt den schon gezückten Dolch ab von
seinem ursprünglichen Ziel. Er will die tragische Konsequenz ziehen
aus all dem, heroisch sterben. Da hemmt eine Caprice des Schicksals
seinen Weg: die Tat, für die er büßen will, erweist sich als eine zu¬
fällig lobenswerte Tat, und die Gnade des großmütigen Gegners macht
die edle Todesbereitschaft des Medardus illusorisch. Jetzt mag aber
der Jüngling nicht mehr um das wohlverdiente Herven=Schicksal
betrogen sein. Er hat es satt, sich sein Heldentum neuerdings per¬
vertieren zu lassen, besteht auf dem, nun einmal rite erworbenen,
großen Abgang. Man süsiliert ihn, da er nicht sein Wort verpfänden
will, weitere Mordpläne gegen den Kaiser Napoleon aufzugeben. In
der Linie des Medordus=Schicksals läge es, daß man nun, nach des
Jünglings Heidentod, davon erführe, Napoleon sei einen Tag früher
von einem andern ermordet worden, und der ganze Auswand an
Charaktergröße überflüssig gewesen.
Medardus ist einer, der fortwährend um seinen ungeheuern
Energieverbrauch geprellt wird. In der Luft gewissermaßen fängt
des Schicksals Hand die Kugeln aus des Medardus Büchse ab und gibt
ihnen ein andres Ziel. Daß er kein Kompromiß schließen kann, ist
seine Tragik. Scheinbar ist er schwankend und haltlos. Aber nur
deshalb, weil er das, was er eben ist, ganz und ausschließlich sein
muß. Nur Rächer oder nur Liebender oder nur Befreier oder
Märtyrer eines großen Gedankens. Das jeweilige Ziel hypnotisiert
ihn. Er ist ein Unbedingter, ein schrankenlos Hingebender, ein
leidenschaftlicher Untertan dem Gefühl oder dem Gedanken, die gerade
sein Herz und Hirn beherrschen. Seine Partnerin, die schöne Prin¬
zessin von Valois, ist schon aus anderm Stoff. Ist stärker. Auch
ihren Weg verstellt die Liebe. Aber die Prinzessin geht mitten durch
sie hindurch, ganz hingegeben und doch ganz Herrin ihrer selbst. Ja,
sie schmiedet sogar aus den Fesseln, die das Schicksal ihr anlegen
will, um sie an der Ausführung großer Pläne zu hindern, sie schmiedet
aus diesen Fesseln Waffen, die jenen Plänen die Realisierung er¬
zwingen sollen. Der Medardus ist ein eiastischer Held, dessen Wille
1264
von Hindernissen, an die er stößt, gebroche
wird. Die Prinzessin ist eine unbiegsame
ihrem Ziele vorschreitet, nicht achtend, ob
Jammer oder durch ein großes Glück hindug
ganz und unbedingt das, was sie ist; aber d
auf die Forderungen, auf die Logik der
empfängt den Geliebten und ist nur Liebend
jedoch findet er die Türe verschlossen und
(Weil sie jetzt wieder nur Ehrgeizige, den
Sie stirbt ni
strebende Prätendentin ist.)
spielte mit der Liebe; gab sich dem Medardus
je wie es in die Rechnung des Moments h
seine Seele aus dem Gleichgewicht und ließ se
ihre Pläne so logisch=absurd durchkreuzen.
Man sieht, der psychologische Kern des
Dramas ist nicht uninteressant geschnitten 1
bemerkenswert scheint die ihn zunächst u
Schauspiels: die balladeske Dichtung von H
Zweierlei Pathos fließt ineinander: das Pat
und das Pathos des jungen Schiller.
rhetorisches Brackwasser, dem wenig spiegelnd
Hof des exilierten Herzogs von Valois herrscht
Grandezza des Tuns und Redens, ein abgen
fahren, dessen sich die Drei Musketiere nich
Im Rhythmus eines tragischen Menuetts ver#
Was für Dialege! „Töten Sie diesen Jüngling
die Ihre!“ Als Medardus abends im Gay
Prinzessin zur Zose: „Führ ihn in dein
die sich weigert: „So führ ihn in das mein
Verkürzung der Schicksalslinien!
Die Rede des jungen Medardus hingeg
deklamatorischen Schwung, daß sie in einen Wor
wird, dem die Verantwortung für Maß 1
abhanden gekommen scheint. An der Leich
Medardus dem tröstenden Freund (ungefähr):
Du hast sie nur geliebt, aber ich bin —
Steigerung ist nicht zwingend. Angesichts der
(ungefähr): „Hätte ich dich in einem verruf
mit geschminkten Wangen — der Anblick wäre
diesem.“ Ich habe die feste Ueberzeugung, Me
die Schwester im verrufenen Hause begegnet, del
als Wasserleiche tot vor mir liegen gesehen
Seligkeit gewesen neben diesem.“ Der Jün
wehlrednerisch auf seines Erlebens Wende¬
22. Der junge Medandus
Betrachten wir die vier Schichten des Schnitzlerschen Riesen¬
spektakels von innen nach außen.
Den Kern, das psychologische Drama: Der junge Medardus hegt
einen großen Willen. Aber auf dem Weg vom Entschluß zur Tat
wird ihm dieser Wille regelmäßig verfälscht. Wird abgelenkt von
seiner Richtung. Medardus will fürs Vaterland ins Feld ziehen.
Da schwemmt ihm die Donau seine tote Schwester vor die Füße. Er
will die Schwester rächen. Do kommt ihm die Liebe überquer. Er
will seiner Liebe leben. Da tritt die Notwendigkeit, Held, Nächer,
Befreier zu sein, an seine Seele heran. Er will Held, Rächer, Be¬
freier sein, da stiehlt ihm neuerdings das Gespenst der Liebe alle
Energie aus den Nerven, lenkt den schon gezückten Dolch ab von
seinem ursprünglichen Ziel. Er will die tragische Konsequenz ziehen
aus all dem, heroisch sterben. Da hemmt eine Caprice des Schicksals
seinen Weg: die Tat, für die er büßen will, erweist sich als eine zu¬
fällig lobenswerte Tat, und die Gnade des großmütigen Gegners macht
die edle Todesbereitschaft des Medardus illusorisch. Jetzt mag aber
der Jüngling nicht mehr um das wohlverdiente Herven=Schicksal
betrogen sein. Er hat es satt, sich sein Heldentum neuerdings per¬
vertieren zu lassen, besteht auf dem, nun einmal rite erworbenen,
großen Abgang. Man süsiliert ihn, da er nicht sein Wort verpfänden
will, weitere Mordpläne gegen den Kaiser Napoleon aufzugeben. In
der Linie des Medordus=Schicksals läge es, daß man nun, nach des
Jünglings Heidentod, davon erführe, Napoleon sei einen Tag früher
von einem andern ermordet worden, und der ganze Auswand an
Charaktergröße überflüssig gewesen.
Medardus ist einer, der fortwährend um seinen ungeheuern
Energieverbrauch geprellt wird. In der Luft gewissermaßen fängt
des Schicksals Hand die Kugeln aus des Medardus Büchse ab und gibt
ihnen ein andres Ziel. Daß er kein Kompromiß schließen kann, ist
seine Tragik. Scheinbar ist er schwankend und haltlos. Aber nur
deshalb, weil er das, was er eben ist, ganz und ausschließlich sein
muß. Nur Rächer oder nur Liebender oder nur Befreier oder
Märtyrer eines großen Gedankens. Das jeweilige Ziel hypnotisiert
ihn. Er ist ein Unbedingter, ein schrankenlos Hingebender, ein
leidenschaftlicher Untertan dem Gefühl oder dem Gedanken, die gerade
sein Herz und Hirn beherrschen. Seine Partnerin, die schöne Prin¬
zessin von Valois, ist schon aus anderm Stoff. Ist stärker. Auch
ihren Weg verstellt die Liebe. Aber die Prinzessin geht mitten durch
sie hindurch, ganz hingegeben und doch ganz Herrin ihrer selbst. Ja,
sie schmiedet sogar aus den Fesseln, die das Schicksal ihr anlegen
will, um sie an der Ausführung großer Pläne zu hindern, sie schmiedet
aus diesen Fesseln Waffen, die jenen Plänen die Realisierung er¬
zwingen sollen. Der Medardus ist ein eiastischer Held, dessen Wille
1264
von Hindernissen, an die er stößt, gebroche
wird. Die Prinzessin ist eine unbiegsame
ihrem Ziele vorschreitet, nicht achtend, ob
Jammer oder durch ein großes Glück hindug
ganz und unbedingt das, was sie ist; aber d
auf die Forderungen, auf die Logik der
empfängt den Geliebten und ist nur Liebend
jedoch findet er die Türe verschlossen und
(Weil sie jetzt wieder nur Ehrgeizige, den
Sie stirbt ni
strebende Prätendentin ist.)
spielte mit der Liebe; gab sich dem Medardus
je wie es in die Rechnung des Moments h
seine Seele aus dem Gleichgewicht und ließ se
ihre Pläne so logisch=absurd durchkreuzen.
Man sieht, der psychologische Kern des
Dramas ist nicht uninteressant geschnitten 1
bemerkenswert scheint die ihn zunächst u
Schauspiels: die balladeske Dichtung von H
Zweierlei Pathos fließt ineinander: das Pat
und das Pathos des jungen Schiller.
rhetorisches Brackwasser, dem wenig spiegelnd
Hof des exilierten Herzogs von Valois herrscht
Grandezza des Tuns und Redens, ein abgen
fahren, dessen sich die Drei Musketiere nich
Im Rhythmus eines tragischen Menuetts ver#
Was für Dialege! „Töten Sie diesen Jüngling
die Ihre!“ Als Medardus abends im Gay
Prinzessin zur Zose: „Führ ihn in dein
die sich weigert: „So führ ihn in das mein
Verkürzung der Schicksalslinien!
Die Rede des jungen Medardus hingeg
deklamatorischen Schwung, daß sie in einen Wor
wird, dem die Verantwortung für Maß 1
abhanden gekommen scheint. An der Leich
Medardus dem tröstenden Freund (ungefähr):
Du hast sie nur geliebt, aber ich bin —
Steigerung ist nicht zwingend. Angesichts der
(ungefähr): „Hätte ich dich in einem verruf
mit geschminkten Wangen — der Anblick wäre
diesem.“ Ich habe die feste Ueberzeugung, Me
die Schwester im verrufenen Hause begegnet, del
als Wasserleiche tot vor mir liegen gesehen
Seligkeit gewesen neben diesem.“ Der Jün
wehlrednerisch auf seines Erlebens Wende¬