II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 398

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22. bejungdardus
wir die vier Schichten des Schnitzlerschen Riesen.
innen nach außen.
das psychologische Drama: Der junge Medardus hegt
Willen. Aber auf dem Weg vom Entschluß zur Tat
er Wille regelmäßig verfälscht. Wird abgelenkt von
Medardus will fürs Vaterland ins Feld ziehen.
hm die Donau seine tote Schwester vor die Füße. Er
ster rächen. Da kommt ihm die Liebe überquer. Er
be leben. Da tritt die Notwendigkeit, Held, Rächer,
n, an seine Seele heran. Er will Held, Rächer, Be¬
stiehlt ihm neuerdings das Gespenst der Liebe alle
en Nerven, lenkt den schon gezückten Dolch ab von
glichen Ziel. Er will die tragische Konsequenz ziehen
kroisch sterben. Da hemmt eine Caprice des Schicksals
e Tat, für die er büßen will, erweist sich als eine zu¬
te Tat, und die Gnade des großmütigen Gegners macht
bereitschaft des Medardus illusorisch. Jetzt mag aber
nicht mehr um das wohlverdiente Herven=Schicksal
Er hat es satt, sich sein Heldentum neuerdings per¬
issen, besteht auf dem, nun einmal rite erworbenen,
Man füsiliert ihn, da er nicht sein Wort verpfänden
Kordpläne gegen den Kaiser Napoleon auszugeben. In
Medardus=Schicksals läge es, daß man nun, nach des
entod, davon erführe, Napoleon sei einen Tag früher
ern ermordet worden, und der ganze Auswand an
überflüssig gewesen.
ist einer, der fortwährend um seinen ungeheuern
ch geprellt wird. In der Luft gewissermaßen fängt
Hand die Kugeln aus des Medardus Büchse ab und gibt
es Ziel. Daß er kein Kompromiß schließen kann, ist
Scheinbar ist er schwankend und haltlos. Aber nur
r das, was er eben ist, ganz und ausschließlich sein
ächer oder nur Liebender oder nur Befreier oder
großen Gedankens. Das jeweilige Ziel hypnotisiert
in Unbedingter, ein schrankenlos Hingebender, ein
Untertan dem Gefühl oder dem Gedanken, die gerade
Hirn beherrschen. Seine Partnerin, die schöne Prin¬
,ist schon aus anderm Stoff. Ist stärker. Auch
tellt die Liebe. Aber die Prinzessin geht mitten durch
nz hingegeben und doch ganz Herrin ihrer selbst. Ja,
gar aus den Fesseln, die das Schicksal ihr anlegen
der Ausführung großer Pläne zu hindern, sie schmiedet
eln Wafsen, die jenen Plänen die Realisierung er¬
Der Medardus ist ein elastischer Held, dessen Wille
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von Hindernissen, an die er stößt, gebrochen und anders gerichtet
wird. Die Prinzessin ist eine unbiegsame Eroberer=Natur, die zu
ihrem Ziele vorschreitet, nicht achtend, ob sie durch einen großen
Jammer oder durch ein großes Glück hindurch muß. Auch sie ist
ganz und unbedingt das, was sie ist; aber dies ihr „Sein' läßt sich
auf die Forderungen, auf die Logik der Stunde einstellen. Sie
empfängi den Geliebten und ist nur Liebende. Am andern Tage
jedoch findet er die Türe verschlossen und die Hunde losgekoppelt.
(Weil sie jetzt wieder nur Ehrgeizige, den Thron Frankreichs er¬
Sie stirbt nicht schuldlos, denn sie
strebende Prätendentin ist.)
spielte mit der Liebe; gab sich dem Medardus und versagte sich ihm,
je wie es in die Rechnung des Moments hineinpaßte. Das warf
seine Seele aus dem Gleichgewicht und ließ seinen taumelnden Willen
ihre Pläne so logisch=absurd durchkreuzen.
Man sieht, der psychologische Kern des neuen Schnitzlerschen
Dramas ist nicht uninteressant geschnitten und gefurcht. Weniger
bemerkenswert scheint die ihn zunächst umhüllende Schichte des
Schauspiels: die balladeske Dichtung von Helden, Tod und Liebe.
Zweierlei Pathos fließt ineinander: das Pathos des alten Dumas
und das Pathos des jungen Schiller. Das ergibt ein unklares
rhetorisches Brackwasser, dem wenig spiegelnde Kraft zu eigen. Am
Hof des exilierten Herzogs von Valois herrscht eine spitzig=romantische
Grandezza des Tuns und Redens, ein abgekürztes, heldisches Ver¬
fahren, dessen sich die Drei Musketiere nicht zu schämen hätten.
Im Rhythmus eines tragischen Mennetts verkehrt man miteinander.
Was für Dialoge! „Töten Sie diesen Jüngling, Marquis, und ich bin
die Ihre!“ Als Medardus abends im Garten erscheint, sagt die
Prinzessin zur Zofe: „Führ ihn in dein Schlafzimmer“, und als
die sich weigert: „So führ ihn in das meine.“ Welch romantische
Verkürzung der Schicksalslinien!
Die Rede des jungen Medardus hingegen hat oft so starken
deklamatorischen Schwung, daß sie in einen Wortrausch hineingewirbelt
wird, dem die Verantwortung für Maß und Ziel des Gesagten
abhanden gekommen scheint. An der Leiche der Schwester sagt
Medardus dem tröstenden Freund (ungefähr): „Du hast leicht trösten.
Du hast sie nur geliebt, aber ich bin — der Bruder.“ Nun, die
Steigerung ist nicht zwingend. Angesichts der Leiche spricht er ferner
(ungefähr): „Hätte ich dich in einem verrufenen Haus gesunden,
mit geschminkten Wangen — der Anblick wäre Seligkeit gewesen neben
diesem.“ Ich habe die feste Ueberzeugung, Medardus hätte, wär' ihm
die Schwester im verrufenen Hause begegnet, deklamiert: „Hätt' ich dich
als Wasserleiche tot vor mir liegen gesehen — der Anblick wäre
Seligkeit gewesen neben diesem." Der Jüngling Medardus wird
wohlrednerisch auf seines Erlebens Wende= und Höhepunkten. Er
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