II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 412

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händlerswitwe, wo der Dialekt erklingt, wie
Klähr, welcher der junge Held Medardus ent¬
er aus der Erde der Weinberge und Acker rings
stammt, und der Familie Christophe Bernards,
um Wien aufsteigt, und dem im Stile Louis XVI.
des ehemaligen Herzogs von Valois. Die Familie
ausgezierten Salon, wo die Rede und Gegen¬
Klähr ist ehrenwertes Bürgertum. Vater Klähr,
rede im höfischen Menuettempo einherstolzierten.
der vor vier Jahren verstarb und seine Frau
Welche feine und noble Gestalt dieser blinde
Franziska und seine Kinder Medardus und
Herzog, der durch Deutschland von Ort zu
Agathe zurückließ, war Buchhändler, sein
Ort gezogen, bis er in Wien durch die Huld
Schwager Jakob Eschenbacher ist Sattlermeister
des Kaisers ein Asyl fand, wo er, umgeben
und ähnlich betrieben und betreiben wohl auch
von ehrlichen Treuen und berechnenden Glücks¬
die anderen Mitglieder der Familie Klähr, von
rittern, des Tages harrt, der ihn auf den Thron
denen man nichts hört, bürgerliche Gewerbe.
seiner Väter zurückführen soll! Durch das
Aus den Fenstern des Hauses, wo die Witwe
sonderbarste Geschick werden diese beiden
Klähr mit ihren Kindern wohnt, sieht man über
Familien mit einander verbunden, durch bizarre
die Basteien bis zu den Türmen der Vorstadt
und phantastische Abenteuer, die nicht launen¬
und in diesem Hause, wo im Untergeschoß die
hafter gedacht werden können. Romantisch ist
väterliche Buchhandlung aufgeschlagen ist, sind
die Geschichte von der Liebe François', Sohnes
gewiß die Klährs seit langem angesiedelt, als
des Herzogs von Valois, zu der Tochter der
Wiener vom Grund, die es zu Ansehen und
Buchhändlerswitwe Klähr und ihr gemeinsames
Wohlstand gebracht haben. Es sind keine ge¬
Sterben, romantisch die Liebe des jungen
wöhnlichen Leute. Selbst in dem ehrenfesten,
Medardus zur stolzen und schönen Tochter des
kerngesunden Sattlermeister Eschenbacher steckt
Herzogs von Valois. Das erste Motiv ist in
eine romantische Seele, und wenn er sich ans
der Literatur des deutschen Sturms und Drangs
Spinett setzt, erklingen unter seinen Fingern
eines der gebräuchlichsten, das zweite klingt
Militärmärsche und Siegesfanfaren. Und eine
an Stendhals „rouge et noir“ an, beide Motive
ähnliche Heldenseele lodert auch in der Witwe
sind tiefste Romantik, die einen besonderen
Klähr, der tapferen Mutter des jungen
Reiz dadurch erhält, daß sie mitten in die
Medardus. Wie hätte sie daran zweifeln können,
realistische Schilderung der Einnahme Wiens
daß aus ihrem Knaben, der auf dem Liebhaber¬
durch Napoleon im Jahre 1809 hineingestellt
theat#r so gerne die kühnen und gefährlichen
ist, womit traumhafte und tageswirkliche Ele¬
Rittersleute gespielt hat, einmal ein Held werden
mente durcheinander geschoben werden, eine
würde? Wirklich soh sie aus dem heranwach¬
kapriziöse Mischung, die nur ein technisch 5o
senden Knaben Einen werden, den es immer
sicherer Poet, wie Arthur Schnitzler mit so feiner
juckte, sein Leben einzusetzen, und nicht als
Hand herstellen konnte.
Muttersöhnchen hinter dem Ofen hocken wollte.
Hopoleon und die Wiener: das ist der große
Mochte Bruder Eschenbacher den Hitzigen einen
nistorische Hintergrund der Schnitzlerischen
„Wirrkopf“ schelten, der kaum geschaffen sei
Dichtung. Aber doch nur ein Hintergrund und
anderes zu erleben, als den Klang von Worten,
man täte Schnitzler wohl Unrecht, wenn man
sie kannte ihn besser; für sie war er ein junger
glaubte, ihn habe vorzugsweise das Historische
Held, der jetzt in der schmucken Uniform der
und Politische des Stoffes interessiert und er
Landwehrmänner vor ihr stand, als Napoleon
habe etwa ein „vaterländisches Schauspiel“
donauabwärts gegen Wien zog, und sosehr hingen
schreiben wollen. Der Kriegszug Napoleons
ihre bewundernden Blicke an dem Jüngling, der
sollte den romantischen Schicksalen seiner Hel¬
des Vaters Tod an Napoleon rächen sollte, daß
den: Medardus und Helene eine besondere
sie der blassen Wangen ihrer Tochter Agathe
Farbe und eine eigentümliche Stimmung geben,
kaum achtete. Auf derselben Liebhaberbühne,
er sollte, wie der Krieg im „Ruf des Lebens“
wo Medardus kühne Ritter gemimt hatte, hatte
eine Athmosphäre des Bänglichen und schaurig
Agathe die edeln Fräuleins gemacht und fast
Erwartungsvollen verbreiten, welche auch die
schien es als ob aus dem Spiel Wirklichkeit
merkwürdigsten Lebensschicksale glaubhaft
werden sollte, da sich François, der Sohn des
macht. Eine wilde und aufgeregte Zeit soll
ehemaligen Herzogs von Valois, in sie verliebte
geschildert werden, da auch bürgerliche Naturen
und allem Zorn der Familie zu trotz an dem
aus dem gewohnten Geleise herausgeworfen
Wiener Bürgersmädchen hing, das sich ihm in
werden in eine Welt des Abenteuerlichen, Seit¬
den Auen an der Donau gegeben hatte. So
samen und Phantastischen. Balladenhaft sollen
laufen bei Beginn des Stückes Fäden von dem
diese Kriegsschilderungen wirken; der dumpfe
alten, vor den Mauern Wiens gelegenen Schlö߬
Schall der Pferdehufe, die wechselnden Trom¬
chen zum Wienerhause an der Bastei, von den
meln, die gellenden Trompeten, die dumpfen
einfachen Bürgersleuten zu dem „Hofe“
Kanonenschüsse und alle anderen Laute, wo¬
Christophe Bernards, ehemaligen Herzogs von
durch sich der Krieg vernehmlich macht, sollen
Valois, von dem traulichen Gemach der Buch¬
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