II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 421

M.
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22. Der junge Bedardus
Golte 5
eingreifen. Zuerst versicherte sie sich, daß Herr Jarno bereit war, Hofbühne zeitlebens kein Feind des Privatscherzes auf der Bühne
seine Zusage einzuhalten, dann machte sie Herrn Thimig auf die war und darin in Kainz einen stets bereiter Partner fand. Herr
Abmachung aufmerksam, und Direktor Jarno mußte nun sein Thimig, dem man ja eine starke Hand nack ahmt, mag sich nun
Versprechen nochmals offiziell und feierlich zugestehen, daß er die einmal vom Parkett aus ansehen, wohin diese Neigung führen
„goldene Geliebte“ freilasse. Damit heimste er nicht nur den kann, wenn sie zum System wird, und er wird zweifellos wissen,
was er zu tun hat.
Dank des Fräuleins Marberg, sondern auch des Herrn Thimig
Die Vornehmheit eines Theaters läßt sich nicht bloß an
ein und hatte außerdem die Genugtnung, einem Hoftheater einen
dem literarischen Wert der Stücke oder an dem Stammpublikum
großen Dienst erwiesen zu haben.
Das Josefstädter Theater hat übrigens für das französische
erkennen. Einen vortrefflichen Maßstab für den Rang einer Bühne
bietet auch die Kost, die die Direktion ihren Schauspielern vor¬
Stück einen Ersatz gefunden, mit dem es zufrieden sein dürfte. Molnars
Werk „Liliom“ wird auf dieser Bühne zum erstenmal in Wien zur Dar¬
setzt, wenn sie auf der Bühne essen müssen. Sparsame Direktoren
stellung gelangen. Auch dieses Stück fand nicht direkt den Weg lassen Speisenimitatiouen auffahren und leere Flaschen kredenzen,
während Bühnenleiter, die ihr Renommee wahren wollen oder etwas
in die Josefstadt. Da Direktor Weisse mit den Molnarschen
Stücken „Der Teufel" und „Der Gardeoffizier“ Erfolge erzielt
auf naturgetreue Darstellung halten, regelrechte Diners oder
Soupers auftischen. Direktor Weisses Deutsches Volkstheater gehört
hatte, erwarb er seinerzeit auch des Dichters neueste Arbeit, das
entschieden zu den vornehmen Bühnen. Dort wird nur in natura
Schauspiel „Liliom", für das Deutsche Volkstheater, noch bevor
die deutsche Uebersetzung vorlag. Als er sich aber das Stück
gespeist. Diese Einrichtung kam in der letzten Zeit Herrn Edthofer
näher besah, stiegen ihm merkwürdige Bedenken auf. Im
zugute. So oft Hans Müllers Einakterzyklus gespielt wurde, war
er der Sorge um sein Nachtmahl enthoben. Im letzten
Mittelpunkt der Handlung steht nämlich ein „Hendelfänger“
ein Strolch und Müßiggänger, der natürlich nicht in Frack Stückchen „Die Garage“ fiel ihm die dankbare Aufgabe zu, sich
und Lackschuhen auftritt, und die Gesellschaftskreise, in
während der ganzen Dauer des Spiels einem ausgiebigen Souper
denen dieser Gentleman verkehrt, kleiden sich ebenfalls
zu widmen und nur von Zeit zu Zeit einige Bemerkungen hin¬
nicht nach der neuesten Mode. Direktor Weisse schauderte es bei
zuwerfen. All die feinen Sachen, die da Herr Edthofer sich
dem Gedanken, schlecht gekleidete Figuren auf die Bühne seines
schmecken lassen durfte, erregten schon lange den Neid der Mit¬
Theaters zu stellen. Um diesen Anblick solange als möglich zu
spielenden, des Fräuleins Balten und der Herren Lackner und
vermeiden, schob er die Premiere des Stückes immer wieder
Kramer. So verschworen sie sich denn zu einem Anschlag auf
hinaus. Wenn man ihn an das Werk erinnerte, wehrte er mit
Edthofers Eßlust, mit dessen Ausführung Herr Kramer als
Regisseur nicht lange zögerte. Als Herr Edthofer sich wieder eines
den Worten ab: „In meinem Theater müssen gut angezogene
Abends mit Behagen zum Tisch setzte und lüstern der Nachtmahl¬
Leute auf der Bühne stehen!" Es kam ihm zustatten, daß die
vom Verleger versprochene Uebersetzung des Stückes nicht recht¬
freuden harrte, wurde eine Schüssel auf den Tisch geschoben, bei
deren Anblick Herr Edthofer am liebsten davongelaufen wäre.
zeitig vorlag. Schließlich ward Heren Molnar die Sache doch zu
Vor ihm stand ein echtes Gulasch, in dessen Sauee ein
langweilig, er zog das Stück zurück und befreite Herrn Weiffe
von seinem schweren Alpdruck. Die schlecht angezogenen Gesellen
Knödel von respektabler Größe prangte. Aber es gab kein
werden demnächst weiter draußen in dem ehemaligen Vorort
Entweichen. Wenn er sich nicht eines schweren Verstoßes schuldig
machen wollte, mußte er in den Knödel beißen. Mit Todes¬
Josefstadt sich dem Publikum präsentieren.
Das Burgtheater hatte übrigens anläßlich der Molnarschen
verachtung begann er Gullasch und Knödel zu speisen, aber jeder
Premiere Gelegenheit, politisches Taktgefühl zu beweisen. In dem Bissen wuchs ihm im Munde, so daß er kaum die ihm durch die
Stücke des ungarischen Dichters „Das Märchen vom Wolf“ erzählt Solle vorgeschriebenen Worte zu sprechen vermochte. Die anderen
der Liebhaber der Frau Dr. Kelemen, wie er vergeblich versucht
Darsteller konnten jedoch auch nur mit äußerster Anstrengung ihre
habe, Karriere zu machen. Er sei weder der große Feldherr ge¬
Rollen durchführen, denn sie erwehrten sich nur mit Mühe des
worden, wie er es sich erträumt hatte, noch der hervorragende
Lachens, wenn Edthofer bei jedem Bissen Grimassen schnitt, die
Diplomat, noch der bedeutende Künstler, noch auch ein Lakai. Als
immer komischer wurden, je länger das Spiel währte. Die in¬
m
er zur Assentierung reif gewesen, sei er von Paris in die Heimat
zwischen kalt gewordene Sauce machte die Speise natürlich noch
gefahren im Gegensatz zu den Serben, die sich stets auf ihrer
weniger schmackhaft und bereitete dem armen Edthofer Höllen¬
Botschaft zur Assentierung melden. Die Angebetete wendet darauf
qualen. Erst das Fallen des Vorhanges beendete sein Martyrium.
ein, die Serben hätten doch keine Botschaft, sondern nur eine
An dieses Souper wird er länger denken als an die üppigen
Gesandtschaft. Diese Bemerkung erregte sofort ängstliches
Soupers, die ihm die Direktion in den früheren Vorstellungen gab.
Kopfschütteln — aber nicht im Publikum, denn dieses hörte am
Abend der Premiere gar nicht mehr das Wort von den Serben.
An die Stelle unserer heißblütigen Nachbarn hatte man die uns
befreundeten Rumänen eingeschaltet. Vorsicht war entschieden
angezeigt. Wenn die großmachtlüsternen Serben gehört hätten,
daß man ihnen in Wien nicht bloß das Recht auf den adriatischen
Hafen, sondern auch auf die Bezeichnung ihrer diplomatischen Ver¬
tretungen als Botschaft bestreite — der Krieg wäre unvermeidlich
gewesen. Die friedliebenden Völker Oesterreichs werden der Burg¬
theaterleitung Dank dafür wissen.
Die modernste Inszenierungskunst schwankt zwischen dem
„intimen Raume“ und dem „Theater der Fünftausend“. Beiden
Formen des Theaterraumes muß sich die Schauspielkunst an¬
passen. Der Schauspieler muß sich im kleinen Raume dessen
bewußt sein, daß ihm das Publikum schärfer auf die Finger sieht
als sonst, während im Riesenraum die Körperlichkeit des Dar¬
stellers dem Publikum fast völlig entrückt ist. Interessant ist es
nun, daß es sich sehr häufig auch in Theatern von ganz
normaler Größe ereignet, daß Schauspieler das Empfinden dafür
Ahe