Arthur Schnikler
Mrteschanspiel.
„Der junge Medardus“ im Lessing¬
theater.
Wenn Arthur Schnitzler schon vor fünf
Jahren diesen Ausflug in die Geschichte seiner
Wiener Heimat unternahm, so geschah es, zum
Teil vielleicht unbewußt, aus bestimmten öster¬
reichischen Stimmungen, deren Sinn wir jetzt erst
recht verstehen. Den „jungen Medardus“
könnte man als den Typus des Oesterreichertums
nehmen, wie es sich vor dem Kriege empfand:
eine Gestalt voll tapferer Anlagen, von Sehnsucht
erfüllt, sich großen Zielen und Gedanken hinzu¬
geben, doch unrettbar verstrickt in persönliche
Gefühlskonflikte zu schwach, um zur gewollten Tat
zu schreiten.
Eine „dramatische Historie“, nicht ein „histo¬
risches Drama“, hat der Dichter vorsichtig das
Werk genannt. Denn was sich abrollt, ist eine
Reihe von Bildern aus dem Jahre
1809, die mehr einen epischen Ablauf
als eine dramatische Verknüpfung zeigen.
Er ging dabei auch ganz wie ein Ro¬
mandichter vor, mit breit ausgemaltem Zeit¬
hintergrund aus dem zweiten Krieg Napoleons
gegen die Habsburger Monarchie, und mit einer
richtigen Romanhandlung, die sich davon abhebt.
Der Buchhändlerssohn Medardus Klär zieht nicht
in den Krieg gegen die Franzosen, weil ihn der
Selbstmord seiner Schwester aus dem Gleichge¬
wicht schleudert. Sie ging mit dem Sohn eines
französischen Royalisten in den Tod, der im
Wiener Exil lebte. Und weiter: Medardus fuhrt
seinen Vorsatz, Napoleon zu ermorden, nicht aus,
weil er sich in eine Liebesaffäre mit der Schwester
dieses Aristokraten verwickelt und, da sie die Ge¬
liebte Napoleons geworden, nicht den Kaiser der
Franzosen, sondern die Ungetreue erdolcht.
Die bedeutsame Schlußszene aber bringt den
Umschwung. Medardus bekennt seine Absicht.
Er soll dennoch die Freiheit erlangen, wenn er
sein Wort gibt, Napoleon nicht mehr nach dem
Leben zu trachten. Er verweigert es. Und geht
ruhig in den Tod. Der junge Wiener Bürgers¬
sohn ist aus weichem Schwanken zu helden¬
mütiger Festigkeit erwacht. Wir nehmen auch
das heute als ein österreichisches Symbol.
Das alles erscheint bei Schnitzler freilich sehr
lose gefügt und nicht in einer innerlichen Not¬
wendigkeit aufgezeigt, sondern mehr von außen
in Bewegung gesetzt. Der Hauptreiz liegt in den
fast volksstückmäßig gehaltenen Szenen, die
Wiener Wesen und Leben zur Zeit der Schlacht
bei Aspern schildern, und von denen gestern leider
bei den unvermeidlichen Streichungen des über¬
lang geratenen Schauspiels beträchtliche Teile
geopfert werden mußten. Was übrig blieb,
wirkte unmittelhar. Hier spürt man die Schnitz¬
lersche Kunst, Alltäglich=Bürgerliches mit leiser
Poesie zu füllen und menschliche Charaktere in¬
einander zu weben. In der ausgezeichneten Regie
Barnowskis, die mit dem Riesenapparat der
sechzig redenden Personen (von der Statisterie zu
schweigen) spielend fertig wurde, und im Rahmen
von Karl Walsers liebenswürdigen Dekorationen
kam das sehr lebensvoll heraus. Die Herren Abel,
Salfner, Herzfeld, Adalbert, Gottowt, die Damen
Grüning und v. Hansen traten besonders hervor.
Bürgeriypen der verschiedensten Sorte, Senti¬
mentales, Resolutes, Altväterisches, wie Vor¬
klänge von Waldmüllers Biedermeiern, Mensch¬
liches. Der Romanfigur der Prinzessin, von
Schnitzler zu sehr auf „dämonisches Weib“ hin
zugeschnitten, gab Lina Lossen ihre Schönheit
und ihr gebändigtes Gefühl. Medardus selbst
war Herr Loos. Er hat das Zeug zu dem
schlanken Burschen, der von Stimmungen und¬
Erregungen, denen er nicht gewachsen, hin= und
hergezerrt wird. Was ihm Neilich fehlt, ist:
NENADTE ShTArT- L- vrK REITLE auie-O ewrch
Glanz und echte Ueberzeugungskraft. Doch in
dem schönen Aufstieg der Schlußszene fand auch
er eine Haltung, die ergriff.
Max Osborn.
—s.
vom:
S5OKT 19 1 Selilier Neueste Rachrichtes
Theater und Mufik.
„Der junge Medardus“
Dramatische Historke von Arthur Schnitzlen
Erstaußührung in Lellingtheater.
4 Aar eine Zichutm Stunden! 14 Bilder und
59 Petson
Küchewerderben den Brei. Es war ein
plastisat ###nder Film. Nach einem vorzüglich ge¬
lungenes, anheimelnden echt Wiener Biedermeierakt übelstes
Schauerdrama, dessen Entwicklung wiegerzugeben, ebenso un¬
—
möglich wie überflussig ist. Mit einer richtig gehenden Be¬
erdigung eines Liebespaares auf einem richtiggehenden Kirch¬
hof begannen die Geschmacklosigkeiten, die sich von Akt zu Akt
steigerten und nur hin und wieder durch schemenhafte Ansätze *
zum wirklichen Drama gemildert wurden. Die Geschichte des
Buchhändlers Palm, der auf Befehl Napoleons ermordet
wurde, hat den Grundton der mit dilettantenhafter Weit¬
schweifigkeit aufgebauten „dramatischen Historie",
die
keine ist, gegeben. Was hätte daraus gemacht wer¬
den können. O, Arthur Schnitzler, trotz Bundes¬
genossenschaft und Nibelungentreue muß es gesagt sein,
daß „der junge Medardurs“ so ziemlich das stümperhafteste
Stuck ist, das je unter literarischer Flagge dem Berliner Publi¬
kum vorgesetzt wurde. Das patriotische Beiwerk allein, das vom
Jahre 1809 zum Jahre 1914 eine Brücke schlägt, berechtigte
Direktor Barnowsky noch lange nicht, uns ein derartiges Un¬
ding zuzumuten. Wenn nicht Ilta Grüning ergreifende
Herzenstöne gefunden und Friedrich Kayßler dem Ge¬
neral Rapp die typischen Züge eines napoleonischen Feldsolda¬
ten verliehen hätte, wäre der Abend ganz unerträglich gewesen.
Denn Loos in der Titelrolle war so unnatürlich und ge¬
schraubt wie möglich und Lina Lossens großes Können
mußte vor der Unmöglichkeit der ihr zugemuteten Rolle die
Waffen strecken.
M. Sch.
Mrteschanspiel.
„Der junge Medardus“ im Lessing¬
theater.
Wenn Arthur Schnitzler schon vor fünf
Jahren diesen Ausflug in die Geschichte seiner
Wiener Heimat unternahm, so geschah es, zum
Teil vielleicht unbewußt, aus bestimmten öster¬
reichischen Stimmungen, deren Sinn wir jetzt erst
recht verstehen. Den „jungen Medardus“
könnte man als den Typus des Oesterreichertums
nehmen, wie es sich vor dem Kriege empfand:
eine Gestalt voll tapferer Anlagen, von Sehnsucht
erfüllt, sich großen Zielen und Gedanken hinzu¬
geben, doch unrettbar verstrickt in persönliche
Gefühlskonflikte zu schwach, um zur gewollten Tat
zu schreiten.
Eine „dramatische Historie“, nicht ein „histo¬
risches Drama“, hat der Dichter vorsichtig das
Werk genannt. Denn was sich abrollt, ist eine
Reihe von Bildern aus dem Jahre
1809, die mehr einen epischen Ablauf
als eine dramatische Verknüpfung zeigen.
Er ging dabei auch ganz wie ein Ro¬
mandichter vor, mit breit ausgemaltem Zeit¬
hintergrund aus dem zweiten Krieg Napoleons
gegen die Habsburger Monarchie, und mit einer
richtigen Romanhandlung, die sich davon abhebt.
Der Buchhändlerssohn Medardus Klär zieht nicht
in den Krieg gegen die Franzosen, weil ihn der
Selbstmord seiner Schwester aus dem Gleichge¬
wicht schleudert. Sie ging mit dem Sohn eines
französischen Royalisten in den Tod, der im
Wiener Exil lebte. Und weiter: Medardus fuhrt
seinen Vorsatz, Napoleon zu ermorden, nicht aus,
weil er sich in eine Liebesaffäre mit der Schwester
dieses Aristokraten verwickelt und, da sie die Ge¬
liebte Napoleons geworden, nicht den Kaiser der
Franzosen, sondern die Ungetreue erdolcht.
Die bedeutsame Schlußszene aber bringt den
Umschwung. Medardus bekennt seine Absicht.
Er soll dennoch die Freiheit erlangen, wenn er
sein Wort gibt, Napoleon nicht mehr nach dem
Leben zu trachten. Er verweigert es. Und geht
ruhig in den Tod. Der junge Wiener Bürgers¬
sohn ist aus weichem Schwanken zu helden¬
mütiger Festigkeit erwacht. Wir nehmen auch
das heute als ein österreichisches Symbol.
Das alles erscheint bei Schnitzler freilich sehr
lose gefügt und nicht in einer innerlichen Not¬
wendigkeit aufgezeigt, sondern mehr von außen
in Bewegung gesetzt. Der Hauptreiz liegt in den
fast volksstückmäßig gehaltenen Szenen, die
Wiener Wesen und Leben zur Zeit der Schlacht
bei Aspern schildern, und von denen gestern leider
bei den unvermeidlichen Streichungen des über¬
lang geratenen Schauspiels beträchtliche Teile
geopfert werden mußten. Was übrig blieb,
wirkte unmittelhar. Hier spürt man die Schnitz¬
lersche Kunst, Alltäglich=Bürgerliches mit leiser
Poesie zu füllen und menschliche Charaktere in¬
einander zu weben. In der ausgezeichneten Regie
Barnowskis, die mit dem Riesenapparat der
sechzig redenden Personen (von der Statisterie zu
schweigen) spielend fertig wurde, und im Rahmen
von Karl Walsers liebenswürdigen Dekorationen
kam das sehr lebensvoll heraus. Die Herren Abel,
Salfner, Herzfeld, Adalbert, Gottowt, die Damen
Grüning und v. Hansen traten besonders hervor.
Bürgeriypen der verschiedensten Sorte, Senti¬
mentales, Resolutes, Altväterisches, wie Vor¬
klänge von Waldmüllers Biedermeiern, Mensch¬
liches. Der Romanfigur der Prinzessin, von
Schnitzler zu sehr auf „dämonisches Weib“ hin
zugeschnitten, gab Lina Lossen ihre Schönheit
und ihr gebändigtes Gefühl. Medardus selbst
war Herr Loos. Er hat das Zeug zu dem
schlanken Burschen, der von Stimmungen und¬
Erregungen, denen er nicht gewachsen, hin= und
hergezerrt wird. Was ihm Neilich fehlt, ist:
NENADTE ShTArT- L- vrK REITLE auie-O ewrch
Glanz und echte Ueberzeugungskraft. Doch in
dem schönen Aufstieg der Schlußszene fand auch
er eine Haltung, die ergriff.
Max Osborn.
—s.
vom:
S5OKT 19 1 Selilier Neueste Rachrichtes
Theater und Mufik.
„Der junge Medardus“
Dramatische Historke von Arthur Schnitzlen
Erstaußührung in Lellingtheater.
4 Aar eine Zichutm Stunden! 14 Bilder und
59 Petson
Küchewerderben den Brei. Es war ein
plastisat ###nder Film. Nach einem vorzüglich ge¬
lungenes, anheimelnden echt Wiener Biedermeierakt übelstes
Schauerdrama, dessen Entwicklung wiegerzugeben, ebenso un¬
—
möglich wie überflussig ist. Mit einer richtig gehenden Be¬
erdigung eines Liebespaares auf einem richtiggehenden Kirch¬
hof begannen die Geschmacklosigkeiten, die sich von Akt zu Akt
steigerten und nur hin und wieder durch schemenhafte Ansätze *
zum wirklichen Drama gemildert wurden. Die Geschichte des
Buchhändlers Palm, der auf Befehl Napoleons ermordet
wurde, hat den Grundton der mit dilettantenhafter Weit¬
schweifigkeit aufgebauten „dramatischen Historie",
die
keine ist, gegeben. Was hätte daraus gemacht wer¬
den können. O, Arthur Schnitzler, trotz Bundes¬
genossenschaft und Nibelungentreue muß es gesagt sein,
daß „der junge Medardurs“ so ziemlich das stümperhafteste
Stuck ist, das je unter literarischer Flagge dem Berliner Publi¬
kum vorgesetzt wurde. Das patriotische Beiwerk allein, das vom
Jahre 1809 zum Jahre 1914 eine Brücke schlägt, berechtigte
Direktor Barnowsky noch lange nicht, uns ein derartiges Un¬
ding zuzumuten. Wenn nicht Ilta Grüning ergreifende
Herzenstöne gefunden und Friedrich Kayßler dem Ge¬
neral Rapp die typischen Züge eines napoleonischen Feldsolda¬
ten verliehen hätte, wäre der Abend ganz unerträglich gewesen.
Denn Loos in der Titelrolle war so unnatürlich und ge¬
schraubt wie möglich und Lina Lossens großes Können
mußte vor der Unmöglichkeit der ihr zugemuteten Rolle die
Waffen strecken.
M. Sch.