II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 482

M
22. Der junge edandus
box 27/2
Ausschnitt aus:
Deutsche Tageszeitung, Berlin
vom:
B
den für Bonaparte bestimmten Dolch ins Herz der Dame ein paarmal wagte sich I
Der junge Medardus.
stößt, weil es ihn verdrießt, daß, bei Licht besehen, sie ihn zu hafteste befremdlicherweise
Dramatische Historie von Arthur Schnitzler.
dem Anschlag bewogen hat, dann zerbricht alle Mühe¬
das bayrische Soldaten all
(Lessing=Theate
waltung des Psychologen und jeder Versuch zu feinziselierter
Für solche Darbietungen
AArbeit an der rauhen Grobheit der Geschehnisse. Aus dem eignet, und auch nur in
In der Gestalt des jungen Medardus wollte Schnihlek¬
wirr verzweigten, krampfhaft zusammengesuchten Durchein=kommen, das Jahr der
wenn man seinen emsigen Interpreten trauen darf, den
ander läßt sich keine ergreifende Seelentragödie aufbauen.
Deutschlands durch solche
schwankenden Helden zeichnen, den Tatenlustigen, dessen
Manchen klug erdachten Nebenfiguren des Schauspiels wohnt
Hirn und Herz sich doch immer vor der Tat verwirrt und sie zwar nicht überzeugendes warmes Leben, aber doch Klugheit
um ihren eigentlichen Inhalt, ihren Geist und Sinn bringt. lder Erfindung inne, wie das bei Schnitzler oft der Fall ist.
Es hieße nun aber dem Verfasser einen Bärendienst er¬
Die von ihm ausgehenden Wirkungen verpuffen indes, weil
weisen, wollte man den Maßstab des Problem= und Cha¬
sie am Zentrum der Historie verloren gehen und immer
rakter=Dramas an sein ausgedehntes Stück legen. Das er¬
nur episodische Kraft haben.
trägt der windige Bau einfach nicht. Die Schicksale des
Eine stolze Reihe starker schauspielerischer Kräfte stand
jungen Medardus, an sich leidlich interessant, wenn auch
kaum sonderlich interessant geschildert, werden von anderen
dem Autor bei. Abgesehen von Theodor Loos, der dem
heillosen Medardus nicht beizukommen vermochte und ihn
Begebenheiten so oft durchkreuzt, und um ihn zum Handeln
halb zum Vorstadt=Apachen, halb zum winselnden Jammer¬
zu bewegen, müssen sich so viele Nebenhandlungen abspielen,
weib machte, trafen die Darsteller wohl fast alle Schnitzlers
daß die „dramatische Historie“ wie ein ungemein schwer¬
Absichten. Wundervoll stattete John Gottowt seinen
fälliges Uhrwerk anmutet, mit hundert Hebeln, Gewichten kuriosen Kauz von Arzt aus; neben ihn bestand in Ehren
und mehr künstlichen als kunstvollen Hemmungen.
[Mar Landas blinder Herzog von Valois,
der
Der wildgewordenen Phantasie Schnitzlers zu folgen, gläubig=stolze Thronwerber, dann H
nz Salf¬
hält einigermaßen schwer. Von Rechts wegen gehört die Ge=ner als aufrechter Sattlermeister Eschenbacher, der
schichte, die er erzählt, auf die Flimmerwand eines Kino=lum einer Landkartensammlung willen den bittern
ladens am Gesundbrunnen. Erträglich wird sie stellenweise Tod erleiden muß. Auch Herr Abel zeichnete
nur durch etliche hübsche Worte, die dem vielbewanderten trefflich den scharfumrissenen Schattenriß eines philosophisch
Anatole=Plauderer ja immer noch gelingen, und durch den
abgeklärten, vom Lebensglück ausgeschlossenen getreuen
Bienenfleiß, der an die Wiedergabe des Wiener Lebens und Eckart nach. Die zahllosen Namen des umfangreichen Per¬
Denkens von 1809 gesetzt ist.
Im übrigen hat sonenverzeichnisses böten noch manchen Anlaß zu lobender
der Held Medardus
wenig Verlockendes an sich. Erwähnung; leider war es gerade den Hauptträgern der
Er interessiert im Grunde so wenig, wie seine von einem Handlung — die sich durch 14 Bilder hinzieht! — nicht mög¬
schillernden jungen Emigranten=Herzog verführte Schwester, lich, entscheidend für den Sieg zu streiten. Weder Ilkal
so wenig, wie die dämonische, nach der Krone Frankreichs be=[Grüning, die ihre anfangs gar zu stoische und lang¬
gierige Herzogin, die ihm ihre sich befremdlich äußernde Liebe
weilige Mutter durch Schnitzlers Verschulden erst spät zus
schenkt. Wenn Medardus sich am Ende zu einem Attentat
einiger Bewegung erwachen lassen durfte, noch die phan¬
auf Napoleon entschließt, um die frechen Uebergriffe und tastische Herzogin Helene (Lina Lossen) waren menschenmög¬
Gewalttätigkeiten des Eroberers zu bestrafen, und wenn erklich. Das Publikum verhielt sich im ganzen sehr kühl. Nurs