II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 489

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22. Derjunge dardus
(Quenchangabe Oalie Gewanf.
en Zeitung, Berlin
Ausschnitt aus:
Mergenausgabe
vom: 25 OKTOGER 1917
Kunst und
Wissenschaft.
in dieser an Ironien so reichen Dichtung ist es viel¬
leicht die stärkste Ironie, daß auch der Dichter das
= Lessing=Theater. „Der junge Medardus“
Schicksal seiner hier ironisierten Voreltern teilt. Auch
bramatische Historie in einem Vorspiele und fünf
seine Dichtung nämlich steht ganz im Banne des
Aufzügen von Arthur Schuiß
Korsen. Obwohl dieser hinter der Szeue bleibt, ist er
Den verzwickten romälitischen Begebenheiten nach¬
doch ihr eigentlicher Held; denn er ist ebenso der
zugehen, die Schnitzler hier im Wien des Jahres 1809
Zielpunkt der Medardus=Historie wie der Brennpunkt
geschehen läßt, ihre Zusammenfädelung und Ent¬
aller Pläne der französischen Royalisten wie schließlich
wirrung aufzuzeigen, von der fast allzu üppigen Fülle
der Ausgangs= und Endpunkt aller Unterhaltungen,
der Detailschilderung auch nur eine ungefähre Vor¬
aller Befürchtungen und auch Hoffnungen der Wiener
stellung zu geben, schließlich die kulturelle Basis zu
Kleinbürger.
beleuchten, aus der das Ganze, wie zugestanden
Ueber die Aufführung nach der fast fünfstündigen
werden muß, organisch erwächst, das würde Ausfüh¬
Dauer nur ein paar Anmerkungen. Barnowsky hat
rungen erfordern, deren Breite der des Stückes ent¬
das breit ausladende Werk noch aus der Erbschaft
sprechen müßte. Und doch würde ihnen der poctisch¬
Brahms übernommen, und offenbar gern übernommen.
romantische Hauch fehlen, von dem in Schnitzlers
Wie im Vorjahr im „Peer Gynt“, so hätte er auch
Dichtung die Gestalten und Begebnisse umwittert
in Schnitzlers bilderreicher Historie sich szenisch voll
sind, und damit das, was ihren eigentlichen Reichtum
ausmacht.
ausleben können. Aber er hat es nicht ganz in dem er¬
warteten Maße getan. Die szenisch ergiebigste!
Also bescheiden wir uns mit einer möglichst knappen
Szeue auf der Burgbastei während der Belage¬
Stizzierung der Dichtungs=Elemente!
rung hat er sich ganz geschenkt; wie es scheint, in
Hätte Schnitzler die Wesensart seines Werkes scharf
der auch sonst hervortretenden Absicht, das Volk
präzisieren wollen, so hätte er es eine ironisch=roman¬
nicht so stark im Vordergrunde agieren zu lassen,
tische Historie nennen müssen. Mit starker Betonung
wie es dem Dichter beliebt hat. Leider geht dadurch
des Ironischen, denn das Ironische gibt dem Roman¬
dem Werke viel von dem Besten, dem eigentlich
tischen die eigentliche Würze, und beides vereinigt sich
Schnitzlerschen verloren, wenn auch auf der anderen
zu einer scharfen Kritik am Historischen.
Seite die Medardus=Handlung in ihrer Verknüpfung mit
Der junge Medardus Klähr, der Sohn eines
der Valois=Angelegenheit somit an Klarheit und
Wiener Buchhändlers, dem in kriegerischer Zeit ein
Straffheit gewinnt. Nur schade wiederum, daß die
unheldisches Ende beschieden ward, hat das Zeug
Schultern des Herrn Theodor Loos zu schwach er¬
zum Helden. Als solcher wird er gewiß in dem
scheinen, sie zu tragen. Dieser Künstler hat zu wenig von
großen Befreiungskampfe gegen den Vonaparte ge¬
dem Stoff, aus dem Helden geformt werden; er gibt die
waltige Taten vollführen. Doch welch romantisch¬
Entgleisungen eines Dekadenten, nicht die eines durch
ironisches Spiel treibt das Schicksal mit ihm! Da
widrige Schicksale verpfuschten heroischen Romantikers.
er, die Brust geschwellt von ungestümem Tatendrang,
Alle anderen Rollen, an sich nicht sonderlich be¬
ins Feld rücken will, legt man ihm die Leiche der
deutungsvoll, hatten durch Streichungen noch
Schwester in den Weg. Mit einem Abkömmling des
mancherlei gelitten. Am sinnfälligsten hob sich noch
umherirrenden ehemaligen Herzogs von Valois hat sie's
die Prinzessin heraus, zumal Lina Lossen ihr die
gehalten, und beide haben nun einen freiwilligen Tod
Konturen eines vornehmen Bildes gab.
in der Donau gefunden. Was ist dem Medardus jetzt
Des
ferneren waren in dem köpfereichen Ensemble
der Bonaparte und das Schicksal Wiens und das
die Damen Grüning,
v. Emmering,
Schicksal Europas! Er selbst und die Ehre oder
Santen, Dumcke =Carlsen, die Herren
Schande seiner Familie — darum kreist nun all'
Abel, Salfner, Herzfeld, Landa mit Erfolg
sein Denken. Und mit der unheimlichen Klarheit des
bemüht, ihre mehr oder minder lohnenden Aufgaben
Phantasten arbeitet er den jünglingshaften Plan der
zweckentsprechend zu lösen, und Kayßler spielte den
Rache Auge um Auge aus: Hat ein Valois meine
französischen General als getreues Abbild des Impe¬
Schwester ins Unglück gebracht, so entehre ich seine
rators.
Schwester und schreie ihre Schande in
Immerhin, so große Mühe allerseits aufgewendet
Welt. Der Romantiker Schnitzler läßt ihn
wurde, — wer diese Schnitzlersche Dichtung in ihrem
erst noch ein Duell mit einem Verehrer
des
ganzen Reichium genießen, zum Bewußtsein ihrer
Entehrungsobjektes
bestehen,
läßt
ihn
vielen Einzelschönheiten gelangen will, wird glt tun,
dabei eine Wunde dicht am Herzen empfangen,
und
das Buch zur Hand zu nehmen.
mit dieser schier tödlichen Wunde muß nun der ro¬
mantische Nächer Medardus über die Mauer in den
Schloßgarten bis zur Prinzeisin vordringen. Bei der
Volljührung des ersten Teiles seines Racheplanés
leistet ihm das Objekt nicht gar sonderlichen Wider¬
stand; aber es hat die Macht, die Vollendung des
Planes zu hemmen: Medardus reflektiert, fast ein
Beseligter: „Es eilt nicht so sehr,
warum soll
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man nicht ein paar wunderbare Nächte haben!: Wie
dem auszugsbereiten Kriegshelden, so fällt dem sein Nache¬
werk Betreibenden die Ironie des Schicksals grinsend
in den Arm. Und immer wieder kreuzt sie seinen
Weg, den sie zudem immer krauser und verworrener
gestaltet. Der kein Kriegsbeld werden konnte und
auch bei der Ausführung des priyaten Racheplanes
Hemmungen erleidet, denkt nun an eine Ermordung
Napoleons. Doch wie lenkt ihn das Schicksal! Nicht
den Kaiser trifft sein Dolch, sondern die Prinzessin
von Valois, die des Kaisers Geliebte gespielt
hat, — gespielt hat, denn in Wahrheit wollte
sie an ihm handeln wie Indith am Holofernes. So
türmt sich die Ironie zum Gipfel der Groteske,
da
der, der dem Kaiser das Leben rauben wollte, zum
Retter seines Lebens wird. Den Dank, den ihm
der Kaiser deswegen überbringen läßt, vermag
Medardus, völlig zusammengebrochen unter der
Wucht aller Vereitelungen seines Wollens, nicht mehr
zu ertragen; er enthüllt seine wahren Absichten und wird
nandrechtlich erschossen, — „dieses Krieges letzter und
seltsamster Held“, wie ihn der französische General nennt.
Aber des Dichters wahre Absicht sollen wir aus dem
Wort erkennen, das des seltsam Umgetriebenen
treuester Freund, der philosophische Buchhändler
Etzelt, über ihn spricht: Gott wollte ihn zum Helden
schaffen, der Lauf der Dinge machte einen Narren
aus ihm.“
dn