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Berliner Zeitung am Mittag
Berlin
2 S. 0K7. 1010
„Verjunge Medardus
Artur Schnitzlers Drama im Lessing¬
theater.
Vier (Jahre nach der Wiener Uraufführung
und nach dem Erscheinen des Buches, über das
hier schon gesptochen wurde, findet das Lessing¬
theater Lust und Mut, diese weit in die Breite
gegangene, Fhehr dicke als tiefe Historie aufzu¬
führen. Ein Vorspiel und fünf Akte, also sechs
Akte, sechzehnmaliger Szenenwechsel, über sechzig
Sprechrollen, Soldatenaufzüge, Kriegstumulte,
intime Familienbilder, Volksaufläufe. Man hat
das volksstückmäßige Hintereinander, dem der
dramatische Motor fehlt, mit viel Respekt, dann
mit einem gewissen erstaunten Schweigen, unter¬
brochen von schüchternen Protesten, ganz zuletzt
mit einer kleinen Ovation für den Dichter hin¬
genommen. Der große Krieg, dessen dritter Mo¬
nat nun zu Ende geht, hat die schwierige Auffüh¬
rung, vor der die Theater scheuten, jetzt doch ver¬
wirklicht, denn aus dem Werke, zumal den ersten
Szenen, haucht der heiße Atem einer schweren krie¬
gerischen Epoche, und wenn auch Schnitzlers
Skepsis auch hier an große Werte rührt, so ver¬
letzt sein Takt niemals ein jetzt doppelt erregbares
Gefühl.
Der Wiener Bürgerssohn Medardus Klähr,
der zu den starken Taten immer nur den An¬
lauf nimmt, dem nur die Geste beschieden bleibt
und der von allem, was er unternehmen mag,
immer nur das Gegenteil erreicht, dieser ver¬
zweifelte Zauderer zeigt beim Verlebendigungs¬
versuch der Bühne erst recht sein romantisches
Romanwesen und seine richtungslos verflatternde
Seele. Er ist ganz und gar von der weichen
Passivität der Schnitzlerschen Jünglinge, denen
alles stärkere Wollen in einem genüßlerischen
Lebemannstum oder einem ironischen Pessimis¬
mus zerrinnt. Und mit den verstärkenden
Farben der Bühne treten auch die Szenen, die
den Geschmack von Intrigenkapiteln historischer
Romane aus dem Vormärz haben, unverhüll¬
ter hervor. Der Prinz, der die Bürgerstochter
liebt und mit ihr ins Wasser geht, weil der
hochmütige Vater die Mesalliance nicht billigt.
Die Herausforderung am Grabe. Duell. Napo¬
leon als geretteter Holofernes, eine französische
Prinzessin als verhinderte Judith.
Es ist ein recht verschlungener Weg, der zu der
Schlafzimmeraffäre Napoleons in Schönbrunn
führt. Sie hätte der Zellkern des Stückes werden
dürfen, das sich an allzu viele Nebendinge ver¬
zettelt. Schnitzler hat nur sicherlich gescheut, ein¬
mal den Sardou zu spielen, aber der ist ja doch im
Stück und durch keine noch so „hochmütig mörde¬
rische Finger“ einer lüsternen Prinzessin entfernbar.
Diese Dame ist ungleich interessanter als der Buch¬
händlerssohn Medardus, der erst voll Kriegslust
flammt, aber statt gegen den Bedrücker Napoleon
auszuziehen, in Wien zurückbleibt, weil seine
Schwester mit einem sentimentalen Franzosen¬
prinzen in die Donau ging. Die gegen Bonaparte
aufgespeicherte Glut richtet sich nun gegen die ver¬
meintlichen Beleidiger seiner Ehre. Medardus
wechselt sein Ziel. Die Prinzessin, die Schwester des
Mannes, der ihm die Schwester raubte, macht er
zu seiner heimlichen Geliebten, um ihre Schande
dann laut auszurufen. Auch zu solcher Lumperei
fehlt ihm die Kraft der Konsequenz. Und auch das
neueste Ziel seines herumirrenden Betätigungs¬
dranges wird verfehlt: die Ermordung Napoleons.
Was er aus gutem deutschen Zorn heraus tun
möchte, will seine vornehme Geliebte im Interesse
ihrer Hauspolitik getan haben. Das verleidet ihm
die Sache, und als er die Liebste, die heimlich
Napoleons Schönbrunner Nächte kürzt, dabei er¬
tappt, wie sie zu dem Bezwinger der Welt mit
dem Dolche heranschleicht, da tötel er sie. Zum
Mann macht ihn erst der letzte Schluß, als ihm,
dem Retter Napoleons, die höchste kaiserliche Gnade“
blüht, er aber freimütig unversöhnliche Feindschaft
gegen den Bedrücker gelobt und sich füsilieren läßt.
Medardus, dessen einzige kraftvolle Tat die
Selbstvernichtung war, bewegt nicht die stocken¬
den Dinge dieser dramatischen Historie, er wird
von ihrer Ebbe und Flut wechselnd gehoben und
gesenkt. Er ist ein nur zu leicht ausschaltbarer
Mittelpunkt des figurenreichen Panoramas, das
in die Atmosphäre Altwiens getaucht ist. Mit
zartgetönten Farben hat allerdings Schnitz¬
ler, der das Herz seiner Heimatstadt kennt und
innig liebt, das Wien der Basteien und des
Glacis aquarelliert.
1809. Kriegstage Altwiens. Napoleons über¬
großer Schatten liegt düster über der hellheiteren
Stadt, in der Beethoven und Haydn schaffen, in
der der achtzehnjährige Grillparzer Jura studiert,
der Knabe Franz Schubert Hofkapellsänger ist,
der junge Ferdinand Waldmüller seine reizenden
Miniaturen malt. Die berühmten Feldherrn
lenken weitab die Geschicke der Welt, von fernher
schwebt nur als leichter Nebel der Pulverdampf
von Aspern und Wagram herüber, und gleichsam
in den Ritzen der Weltgeschichte erfüllen sich die
Privatschicksale der Kleineren, der Medardusse,
der Prinzessinnen, der Bürger, die erschossen wer¬
den, weil sie Landkarten verstecken. Viele dieser
kleinen braven Bürgersleute sind mit feinen
Strichen lebendig gezeichnet, am interessantesten
die symbolische und doch ganz reale Figur des
„uralten Mannes“, der alle Jugend überdauert.
Hier ist der echte Schnitzler am Wortz der nun
einmal für die großen Historien nicht die
Hand hat.
Und in der Darstellung solcher Figuren und
Figürchen ist auch das Lessingtheater weitaus
glücklicher als in der Wiedergabe der großen
Wortemacher des Stückes. Herr Götz als der
uralte Herr auf dem Kirchhof gibt eine kleine,
scharfe Studie; Herr Loos, der Medardus zu
sein hat, ist ein mißgestimmter, durchaus un¬
jugendlicher „Raunzer“ der die schwankende Ge¬
stalt noch unleidlicher macht. Kayßlers ge¬
messener Generaladjutant Napoleons und
Salfner als der ruhig=überlegene Sattler¬
meister, der mit verwundertem Lächeln in den
Tod geht, halten das Niveau der Bühne. Fräu¬
lein Lossens Verhaltenheiten sind dem hekti¬
schen Flackerfeuer der vielseitigen Prinzessin
nicht günstig. Sie markiert nur nachdrücklich
die Dinge, auf die es ankommt. Bar¬
nowsky hat die wesentlichsten Züge des Werkes
geschickt herausgeholt, und wenn er auch das
Schönste des Ganzen, den Duft der wienerischen
Stimmungen, nicht in Theaterparfüm umzuschaffen
vermöchte, so hat er doch den Dichter nicht zu
schmerzlich verkürzt.
Norbert Falk.
Berliner Zeitung am Mittag
Berlin
2 S. 0K7. 1010
„Verjunge Medardus
Artur Schnitzlers Drama im Lessing¬
theater.
Vier (Jahre nach der Wiener Uraufführung
und nach dem Erscheinen des Buches, über das
hier schon gesptochen wurde, findet das Lessing¬
theater Lust und Mut, diese weit in die Breite
gegangene, Fhehr dicke als tiefe Historie aufzu¬
führen. Ein Vorspiel und fünf Akte, also sechs
Akte, sechzehnmaliger Szenenwechsel, über sechzig
Sprechrollen, Soldatenaufzüge, Kriegstumulte,
intime Familienbilder, Volksaufläufe. Man hat
das volksstückmäßige Hintereinander, dem der
dramatische Motor fehlt, mit viel Respekt, dann
mit einem gewissen erstaunten Schweigen, unter¬
brochen von schüchternen Protesten, ganz zuletzt
mit einer kleinen Ovation für den Dichter hin¬
genommen. Der große Krieg, dessen dritter Mo¬
nat nun zu Ende geht, hat die schwierige Auffüh¬
rung, vor der die Theater scheuten, jetzt doch ver¬
wirklicht, denn aus dem Werke, zumal den ersten
Szenen, haucht der heiße Atem einer schweren krie¬
gerischen Epoche, und wenn auch Schnitzlers
Skepsis auch hier an große Werte rührt, so ver¬
letzt sein Takt niemals ein jetzt doppelt erregbares
Gefühl.
Der Wiener Bürgerssohn Medardus Klähr,
der zu den starken Taten immer nur den An¬
lauf nimmt, dem nur die Geste beschieden bleibt
und der von allem, was er unternehmen mag,
immer nur das Gegenteil erreicht, dieser ver¬
zweifelte Zauderer zeigt beim Verlebendigungs¬
versuch der Bühne erst recht sein romantisches
Romanwesen und seine richtungslos verflatternde
Seele. Er ist ganz und gar von der weichen
Passivität der Schnitzlerschen Jünglinge, denen
alles stärkere Wollen in einem genüßlerischen
Lebemannstum oder einem ironischen Pessimis¬
mus zerrinnt. Und mit den verstärkenden
Farben der Bühne treten auch die Szenen, die
den Geschmack von Intrigenkapiteln historischer
Romane aus dem Vormärz haben, unverhüll¬
ter hervor. Der Prinz, der die Bürgerstochter
liebt und mit ihr ins Wasser geht, weil der
hochmütige Vater die Mesalliance nicht billigt.
Die Herausforderung am Grabe. Duell. Napo¬
leon als geretteter Holofernes, eine französische
Prinzessin als verhinderte Judith.
Es ist ein recht verschlungener Weg, der zu der
Schlafzimmeraffäre Napoleons in Schönbrunn
führt. Sie hätte der Zellkern des Stückes werden
dürfen, das sich an allzu viele Nebendinge ver¬
zettelt. Schnitzler hat nur sicherlich gescheut, ein¬
mal den Sardou zu spielen, aber der ist ja doch im
Stück und durch keine noch so „hochmütig mörde¬
rische Finger“ einer lüsternen Prinzessin entfernbar.
Diese Dame ist ungleich interessanter als der Buch¬
händlerssohn Medardus, der erst voll Kriegslust
flammt, aber statt gegen den Bedrücker Napoleon
auszuziehen, in Wien zurückbleibt, weil seine
Schwester mit einem sentimentalen Franzosen¬
prinzen in die Donau ging. Die gegen Bonaparte
aufgespeicherte Glut richtet sich nun gegen die ver¬
meintlichen Beleidiger seiner Ehre. Medardus
wechselt sein Ziel. Die Prinzessin, die Schwester des
Mannes, der ihm die Schwester raubte, macht er
zu seiner heimlichen Geliebten, um ihre Schande
dann laut auszurufen. Auch zu solcher Lumperei
fehlt ihm die Kraft der Konsequenz. Und auch das
neueste Ziel seines herumirrenden Betätigungs¬
dranges wird verfehlt: die Ermordung Napoleons.
Was er aus gutem deutschen Zorn heraus tun
möchte, will seine vornehme Geliebte im Interesse
ihrer Hauspolitik getan haben. Das verleidet ihm
die Sache, und als er die Liebste, die heimlich
Napoleons Schönbrunner Nächte kürzt, dabei er¬
tappt, wie sie zu dem Bezwinger der Welt mit
dem Dolche heranschleicht, da tötel er sie. Zum
Mann macht ihn erst der letzte Schluß, als ihm,
dem Retter Napoleons, die höchste kaiserliche Gnade“
blüht, er aber freimütig unversöhnliche Feindschaft
gegen den Bedrücker gelobt und sich füsilieren läßt.
Medardus, dessen einzige kraftvolle Tat die
Selbstvernichtung war, bewegt nicht die stocken¬
den Dinge dieser dramatischen Historie, er wird
von ihrer Ebbe und Flut wechselnd gehoben und
gesenkt. Er ist ein nur zu leicht ausschaltbarer
Mittelpunkt des figurenreichen Panoramas, das
in die Atmosphäre Altwiens getaucht ist. Mit
zartgetönten Farben hat allerdings Schnitz¬
ler, der das Herz seiner Heimatstadt kennt und
innig liebt, das Wien der Basteien und des
Glacis aquarelliert.
1809. Kriegstage Altwiens. Napoleons über¬
großer Schatten liegt düster über der hellheiteren
Stadt, in der Beethoven und Haydn schaffen, in
der der achtzehnjährige Grillparzer Jura studiert,
der Knabe Franz Schubert Hofkapellsänger ist,
der junge Ferdinand Waldmüller seine reizenden
Miniaturen malt. Die berühmten Feldherrn
lenken weitab die Geschicke der Welt, von fernher
schwebt nur als leichter Nebel der Pulverdampf
von Aspern und Wagram herüber, und gleichsam
in den Ritzen der Weltgeschichte erfüllen sich die
Privatschicksale der Kleineren, der Medardusse,
der Prinzessinnen, der Bürger, die erschossen wer¬
den, weil sie Landkarten verstecken. Viele dieser
kleinen braven Bürgersleute sind mit feinen
Strichen lebendig gezeichnet, am interessantesten
die symbolische und doch ganz reale Figur des
„uralten Mannes“, der alle Jugend überdauert.
Hier ist der echte Schnitzler am Wortz der nun
einmal für die großen Historien nicht die
Hand hat.
Und in der Darstellung solcher Figuren und
Figürchen ist auch das Lessingtheater weitaus
glücklicher als in der Wiedergabe der großen
Wortemacher des Stückes. Herr Götz als der
uralte Herr auf dem Kirchhof gibt eine kleine,
scharfe Studie; Herr Loos, der Medardus zu
sein hat, ist ein mißgestimmter, durchaus un¬
jugendlicher „Raunzer“ der die schwankende Ge¬
stalt noch unleidlicher macht. Kayßlers ge¬
messener Generaladjutant Napoleons und
Salfner als der ruhig=überlegene Sattler¬
meister, der mit verwundertem Lächeln in den
Tod geht, halten das Niveau der Bühne. Fräu¬
lein Lossens Verhaltenheiten sind dem hekti¬
schen Flackerfeuer der vielseitigen Prinzessin
nicht günstig. Sie markiert nur nachdrücklich
die Dinge, auf die es ankommt. Bar¬
nowsky hat die wesentlichsten Züge des Werkes
geschickt herausgeholt, und wenn er auch das
Schönste des Ganzen, den Duft der wienerischen
Stimmungen, nicht in Theaterparfüm umzuschaffen
vermöchte, so hat er doch den Dichter nicht zu
schmerzlich verkürzt.
Norbert Falk.