M
22. Derundandus
3
Rümdunger Tendenbiat
Theater,
Kunst und Wissenschaft.
Berliner Theater.
„Der junge Medardus“.
Oramatische Historle von Arthur Schnitzler.
Erstaufführung im Lessing=Themer
Berlin, 25. Oktober.
Schnitzlers junger Medardus ist schon
ein ziemlich altes Stuck und hat auch innerlich
nichts Jugendliches, obwohl sehr junge Menschen¬
kinder im Mittelpunkt stehen. Aber es spielt auf
dem Hintergrunde einer Kriegszeit, in Wien
vor der Schlacht bei Aspern, es kommen Sol¬
daten auf die Bühne, es wird vom Kriege ge
redet, sogar recht viel geredet, und zum Schluß
dreht es sich um Napoleon, — also dachte das
Lessing=Theater nicht ganz ohne Grund, dies
sei die Zeit für solch ein Stück, das solange
im verschwiegenen Dunkel geblieben, und es
sei trotz allem bedankt, denn schließlich ist Ar¬
thur Schnitzler doch einer der Wenigen, die
selbst zwischen den Schlachten gehört zu werden
verdienen.
„Dramatische Historie“ sollte doch bedenten:
Schauspiel auf geschichtlichem Hintergrund;
warum also nicht einfach „Schauspiel“? Lessing 18
box 27/2
Ka
hat sich für seine „Minna“ doch mit „Lustspiel“
begnügt. Diese Kleinigkeit nur nebenbei; mir
sind alle gespreizte Benennungen durchaus zu¬
wider.
Der junge Medardus ist nichts weiter als
ein junger Wiener Bürgersohn, der auf den
Namen Medardus hört, und seine Erlebnisse
sind zwar sehr bewegt, aber keineswegs hoch¬
dramatisch, aus dem bösen Grunde, weil uns
dieser junge Medardus sehr gleichgültig ja
eigentlich ganz fremd bleibt. Wir hören Worte,
wir fühlen keine Seele. Seine Schwester, auch
nur eine Schattengestalt, ist von einem fran¬
zösischen Prinzen von Valois, einem der durch
die Revolution nach Wien versprengten, ver¬
führt und geht mit ihm in die Donau, was
mir für einen französischen Verbannungsprinzen
reichlich unglaubhaft erscheint. Medardus schlägt
sich mit dem Bräutigam der Schwester des
toten Prinzen, eine sehr weitläufige Rache,
und er verführt alsdann, trotz seiner bedenk¬
lichen Brustwunde, die Schwester des Prinzen,
aber nicht aus Rache, sondern mehr aus Ver¬
liebtheit. Zum Schluß gibi es einen von der
Prinzessin gewollten, aber nicht ausgeführten
Mordangriff gegen Napoleon und ein hochauf¬
gebauschtes, aber innerlich gewaltsames Ende.
Nein, dies ist kein Drama einer Seele, sondern
höchstens ein Stück mit einer wildbewegten,
aber schon darum nicht wahrhaft dramatischen
Handlung, weil uns nicht ein Mensch darin
näher aus Herz rückt. Man wird den Gedanken
nicht los: Es ist Krieg, des jungen Medardus
Vaterland ist in Gefahr, er hat auch schon
das Kriegsgewand an; aber er zieht nicht in
den Kampf fürs bedrohte Vaterland, sondern
bringt das lange, lange, bis Mitternacht —
von 7 Uhr ab
— währende Stück damit zu,
seinen eigenen ganz unkriegerischen Abenteuern
nachzugehen.
Eduard Engel.
22. Derundandus
3
Rümdunger Tendenbiat
Theater,
Kunst und Wissenschaft.
Berliner Theater.
„Der junge Medardus“.
Oramatische Historle von Arthur Schnitzler.
Erstaufführung im Lessing=Themer
Berlin, 25. Oktober.
Schnitzlers junger Medardus ist schon
ein ziemlich altes Stuck und hat auch innerlich
nichts Jugendliches, obwohl sehr junge Menschen¬
kinder im Mittelpunkt stehen. Aber es spielt auf
dem Hintergrunde einer Kriegszeit, in Wien
vor der Schlacht bei Aspern, es kommen Sol¬
daten auf die Bühne, es wird vom Kriege ge
redet, sogar recht viel geredet, und zum Schluß
dreht es sich um Napoleon, — also dachte das
Lessing=Theater nicht ganz ohne Grund, dies
sei die Zeit für solch ein Stück, das solange
im verschwiegenen Dunkel geblieben, und es
sei trotz allem bedankt, denn schließlich ist Ar¬
thur Schnitzler doch einer der Wenigen, die
selbst zwischen den Schlachten gehört zu werden
verdienen.
„Dramatische Historie“ sollte doch bedenten:
Schauspiel auf geschichtlichem Hintergrund;
warum also nicht einfach „Schauspiel“? Lessing 18
box 27/2
Ka
hat sich für seine „Minna“ doch mit „Lustspiel“
begnügt. Diese Kleinigkeit nur nebenbei; mir
sind alle gespreizte Benennungen durchaus zu¬
wider.
Der junge Medardus ist nichts weiter als
ein junger Wiener Bürgersohn, der auf den
Namen Medardus hört, und seine Erlebnisse
sind zwar sehr bewegt, aber keineswegs hoch¬
dramatisch, aus dem bösen Grunde, weil uns
dieser junge Medardus sehr gleichgültig ja
eigentlich ganz fremd bleibt. Wir hören Worte,
wir fühlen keine Seele. Seine Schwester, auch
nur eine Schattengestalt, ist von einem fran¬
zösischen Prinzen von Valois, einem der durch
die Revolution nach Wien versprengten, ver¬
führt und geht mit ihm in die Donau, was
mir für einen französischen Verbannungsprinzen
reichlich unglaubhaft erscheint. Medardus schlägt
sich mit dem Bräutigam der Schwester des
toten Prinzen, eine sehr weitläufige Rache,
und er verführt alsdann, trotz seiner bedenk¬
lichen Brustwunde, die Schwester des Prinzen,
aber nicht aus Rache, sondern mehr aus Ver¬
liebtheit. Zum Schluß gibi es einen von der
Prinzessin gewollten, aber nicht ausgeführten
Mordangriff gegen Napoleon und ein hochauf¬
gebauschtes, aber innerlich gewaltsames Ende.
Nein, dies ist kein Drama einer Seele, sondern
höchstens ein Stück mit einer wildbewegten,
aber schon darum nicht wahrhaft dramatischen
Handlung, weil uns nicht ein Mensch darin
näher aus Herz rückt. Man wird den Gedanken
nicht los: Es ist Krieg, des jungen Medardus
Vaterland ist in Gefahr, er hat auch schon
das Kriegsgewand an; aber er zieht nicht in
den Kampf fürs bedrohte Vaterland, sondern
bringt das lange, lange, bis Mitternacht —
von 7 Uhr ab
— währende Stück damit zu,
seinen eigenen ganz unkriegerischen Abenteuern
nachzugehen.
Eduard Engel.