II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 512

22. Derjunge Medandus
Ausschnitt aus:Frankturber Seitung
JAl.
Frankiurt a. M.
von:
Berliner Theater.
Lessing=Theater: „Der junge Medardus“,
Dramatische Historie von Arthux Schnitzler.

Br A
„Eine Jugend leuchtet dunkelglühend auf — und im Dunst
deiner alternden Jahre siehst du nur ihren trüben Flacker¬
schein.“ Viel tiefer, als es den Anschein gewinnt, hat sich
Arthur Schnitzler in seiner dramatischen Hislorie
„Der
junge Medardus“ wiederum in Gedankenland hineinge¬
wagt: je lieber uns der Denker Schnitzler, ein Deuter unserer
#nur geahnten Gedanken, damit wird, umso schmerzlicher ver¬
lieren wir den Dichter Schnitzler.
„Der junge Medardus“, und über dieser Jugenb sollie
es Teuchten. Was ist Jugend? Wortseligkeit und Wort¬
besaugenheit zugleich; wie dem Mannesalker die Tat, so ge¬
kt ihr das Wort. Dem Wortschwärmer Medardus tritt der
wackere Sattlermeister Eschenbacher gegenüber, der Wortver¬
schmäher und Tatensichere, und beide haben einander lieb, ohne
einander zu begreifen, und grüßen sich wie Jugend und
Mannesalter und finden sich da, wo Wort zu Tat und Tat zu
Worte wird: im Ted.
Den feinen Verästelungen zwischen Spiel und Wirklichkeit
ist Schnitzler früher wohl mannigfach nachgegangen; hier
gilt es die gefährlicheren, Schlingpflanzen gleich erdrosselnden,
zwischen Tat und Wort. Die Tragödic des Wortes
kann man den jungen Medardus“ nennen, und in Mysterien
führt Schnitzler denterisch hinein.
Die Tragödie des Wortes. Das Wort „Rache“ brennt
dem jungen Medardus auf den Lippen, so macht er sich an
Helene, Prinzessin von Palois heran, die Schweiter des jungen
Prinzen, der mit seiner Schwester in den Tod gegangen ist.
Das Wort heißt Rache, und das Erletznis wird Liebe und
Eifersuchtsraserei. Das Wort heißt Machtgewinnen über sie.
und das Erlebnis ist ihr — Dienstbarwerden. Die Tragödie des
Wortes, die das Vielgestaltige unter dem Einfachen nackt und
#bloß reißt, hat aber zugleich=Kraft, Zweck in Widerzweck zu
wandeln: Napoleon zu erstechen, macht sich Medardus auf —
sein Dolch bohrt sich Helene in die Brust. Und wiederum: Der
tolle Wirbeltanz der Worte und Erlebnisse, dem Medardus
zur Beute fiel, wiederholt sich, gespiegelt und gespenstisch lebend
zugleich, in Helenes Brust. Das Wort von den „hochmütig¬
mörderischen Fingern einer Valois“ rief Medardus bei erster
Begegnung ihr entgegen. Das Wort gebiert die Liebe und
die Leidenschaft; es geht aber auch mit dem verbrecherischen
Mordplan auf das Leben Napoléons, den Helene ausheckt und
zu dem sie Medardus dingt, schwanger und gibt schließlich der
den Tod, die die Frucht in sich ausgetragen.
Die Tragödie des Wortes. Konsequent bis ins Letzte ist
sie durchgeführt. Seiner Tat halber soll Medardus begnadigt
werden. Nur mit einem Worte — daß er fürderhin Napo¬
leon nach dem Leben trachten wolle, rettet sich Medardus in
den Tod.
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Man findet den Denker Schnitzler in der „Historie vom
jungen Medardus“ wieder, und er ist reich geblieben und bietet
neue Edelmünze. Doch will sie erspürt sein. Man kann den
„jungen Medardus“ auf der Bühne sehen und von dem
wesentlichen Gehalt der Historie nichts, oder doch beinahe
nichts, gewahren.
Ich hin mir zweifelhaft, ob sich Schnitzler der ungeheuren
Schwierigkeit, seine Gedanken, diese psychologisch überspitzten
Spekulationen, in dramatische Dichtung umzusetzen, überhaupt
bewußt geworden ist. In alter Bühnenpraxis ist das Wort
Vehikel für die Tat: seine Fahrt aber galt der Zerstörung
des Wagens. Und schlimmer noch waren die Hemmungen, die
ihm in seiner eigenen Brust entgegenstanden. Aus der Schule
des Realismus, des wortskeptischen, ist Schnitzler, sind wir alle
mehr oder weniger hervorgegangen. In der Tragödie des
Wortes aber mußte das Wort als solches jung und leuchtend
und meteorgleich aufgehen, um dann ein feuriger Widerschein:
im Meer der kalten Wahrheit zu versinken. Das aber ist bei
Schnitzler nicht der Fall, dies Streben, wenn anders er es
überhaupt begriff, ist ihm ins Nichts zerronnen. Seine Tra¬
gödie des Wortes ist wortnüchtern. Ist darum auch untragisch.
Hat sich Arthur Schnitzler, dem im Gedanklichen unsere
Sympathien zu tiefst gehören, im „jungen Medardus“ neue
Wege gesucht — in die Historie hinein —, so waren das nur
Verlegenheitspfade. Gleichsam das weite und weitere Kreise¬
ziehen eines Verirrten. Nicht nur, daß bei der Kompliziert¬
heit der feelischen Vorgänge hier äußerste Konzentration ge¬
boten war, sie allein das Verständnis ermäglichte: die breite
Historie der Zustandsschilderung des „napoleonischen“ Wien
im Jahre 1809 ist mit der Handlung kaum verflochten, be¬
lichtet sie nicht, ist # bei vielen feinen Einzelzügen — auch
ais deamatische Milienschilderung verfehlt. Sie ermüdet auf
der
Bühne. Sie konnte nicht einmal durch energische Strei¬
chungen (an denen es, aotelos, nicht fehlt:
gerettet werden.
Im Gegenteil: den sehr notwendigen Streichungen mußten
nicht entbehrliche Handlungsmittelglieder zum Opfer fallen,
so sehr ist alles hier gestaltloses In= und Durcheinander.
Die Aufführung des Lessingthealers setzte nicht nur
beste Kräfte an die schwere, doch gewiß würdige Aufgabe,
sie wahrte auch in sich Kraft bis zum weitabliegenden Ende.
Bei bescheidener Ausstattung des Dekorativen war aller Nach¬
druck auf die darstellerische Leistung gelegt; levendiges Men¬
schentum schien durchaus verkörpert. Frl. Lossen durfte
selbst ihre Bewunderer überraschen: aus gebannter Haltung
und kühlem Sichgeben und verschlossenen Mienen wußte sie
Leidenschaftlichkeit des Liebens und Hassens, ja der Sinnlich¬
keit, durchleuchten zu lassen. Herr Lovs war als Medardus
feurig und müde, aufbegehrend und niedergeschlagen zugleich,
stark im Eigenleben, sehr glücklich als Typus der Zeit. Fri.
Grüning als Mutter des Medardus, Herr Salfner als
Sattlermeister Eschenbacher verkörperten solcher Jugend ge¬
genüber die zur Tat Gereiften in reicher Individualisierungs¬
kunst und guter Gemütsart. Herr Kayßler machie als
Adjutant Napoleons Figur, Herr Abel gab die Brackenburg¬
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Das Publikum war da
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Helena.
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