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Med
22. Der junge Mardus
auch jenem Verwandtschaftsgefühl, das man mit dem
Helden zu haben meinte. Der brausende Sturm einer
neuen, großen Zeit aber hat die ganze bläßlich=spielerische
Herrlichteit Schnitzlerschen Heldentums weggefegt, und
dieser Medardus, ein Anatol der Romantik, wirkt nicht
mehr psychologisch wahr, künstlerisch reich, sondern einfach
speinlich und unerträglich auf uns. Die Zeit der E. T. A.
Hoffmannschen Dämmerungsgestalten, der phantastischen
Schwärmer ist vorbei, und unser Sinn gehört den Män¬
znern mit Leier und Schwert, den Körner, Arndt und
Schenkendorf. In welch wunderlichem Zwielicht steht
doch dieser Held der Schnitzlerschen Historie! Er will
kämpfen fürs Vaterland und hängt sich an eine ganz un¬
mögliche Rache; er will sich rächen und verliebt sich statt
dessen in eine damonische Marquise; er will — die Tat
des historischen Staps klingt an — Napoleon erdolchen und
ersticht aus Eifersucht seine Geliebte. Und auch seine
letzte, seine einzige Tat, die Verweigerung des Ver¬
sprechens, nichts mehr gegen den Kaiser zu unternehmen.
ist nur Eigensinn, unnötige Querköpfigkeit. Von dem
Schlußepigramm: Gott wollte ihn zum Helden schaffen,
der Lauf der Dinge macht einen Narren aus ihm, glauben
wir nur den letzten Teil. Der Wiener Seelenkenner.
der Meister der gebrochenen Charaktere und psychischen
Absonderlichkeiten, wollte ein Opfer der Phrase darstellen,
einen Schönredner, dem selbst der Tod mit einer hohen
Pose nicht zuteuer erlauft ist. Seine Galerie willensschwacher
Träumer wird dadurch um ein neues Bild bereichert:
aber es hat nicht den einheitlichen Stil, der den „ein¬
samen Weg“ zu einem abgeschlossenen Werk macht. Schnitzlers
FREEE ERETS
burg, Toronto.
„Historie“ fehlt die breite Kraft und der stürmische Schwung
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
des großen Geschichtsdramas, und so hal der Dichter seine
Requisiten aus der historischen Rumpelkammer Sardous
Lusschnkt aue HESDNER ANGERE
borgen müssen. Die ganze Welt dieser nach Frankreichs
Krone strebenden Valoir, der Prinz, der mit dem Bürger¬
mädel ins Wasser geht, die Prinzessin, die sich bald als
vom: 27. UKTOGER 1911
Judith, bald als Kokette aufspielt, der blinde Herzog und
sein Hofstaat — alles ist bösestes Theater. Der echte
Schnitzler, der wahre und warme Dichter, leuchtet nur
haus der Schilderung des Wie Bürgerhauses mit den
*Berliner Brief. Vier Jahre hat#e gedauert, bis Prachtgestalten der Mutter und des Oheims, leuchtet aus
Arthur Schnitzl####ramatische Historie: D
er
den feingemalten Genre= und Volksszenen, um die der
junge Medakdus durch eine sorgfältig vorbereitete
tweiche Duft und die liebliche Anmut des Wiener Vor¬
und reich ausgestattete Aufführung des Lessingemärz schwebt. Kleinkunst an ein Monumentalgemälde
Iheaters auch den Berlinern auf der Bühne gezeigrivertan, eine Heldenzeit ohne Helden — das ist Schnitzlers
wurde. Man hatte so lange gewartet, bis es — zu spät Kunst und Welt. Es ist die unsere nicht mehr! Darum
wär. Die vorzügliche Darstellung seinerzeit in der Burg wurde das Drame trotz trefflichstem Spiel, trotz den ent¬
vetdankte ihren großen Erfolg doch nicht nur dem Wienerjzückendsten Delorationen von Karl Walser abgelehnt. Das
Herzen, dessen hundertjähriges Spiegelbild hier so scharfl Erlebnis weniger Wochen hat uns der Stimmung vieler
und klar und doch so zart und sein enthüllt wird, sondern Jahrzehnte weltenweit entfernt!
P. L.
er
Med
22. Der junge Mardus
auch jenem Verwandtschaftsgefühl, das man mit dem
Helden zu haben meinte. Der brausende Sturm einer
neuen, großen Zeit aber hat die ganze bläßlich=spielerische
Herrlichteit Schnitzlerschen Heldentums weggefegt, und
dieser Medardus, ein Anatol der Romantik, wirkt nicht
mehr psychologisch wahr, künstlerisch reich, sondern einfach
speinlich und unerträglich auf uns. Die Zeit der E. T. A.
Hoffmannschen Dämmerungsgestalten, der phantastischen
Schwärmer ist vorbei, und unser Sinn gehört den Män¬
znern mit Leier und Schwert, den Körner, Arndt und
Schenkendorf. In welch wunderlichem Zwielicht steht
doch dieser Held der Schnitzlerschen Historie! Er will
kämpfen fürs Vaterland und hängt sich an eine ganz un¬
mögliche Rache; er will sich rächen und verliebt sich statt
dessen in eine damonische Marquise; er will — die Tat
des historischen Staps klingt an — Napoleon erdolchen und
ersticht aus Eifersucht seine Geliebte. Und auch seine
letzte, seine einzige Tat, die Verweigerung des Ver¬
sprechens, nichts mehr gegen den Kaiser zu unternehmen.
ist nur Eigensinn, unnötige Querköpfigkeit. Von dem
Schlußepigramm: Gott wollte ihn zum Helden schaffen,
der Lauf der Dinge macht einen Narren aus ihm, glauben
wir nur den letzten Teil. Der Wiener Seelenkenner.
der Meister der gebrochenen Charaktere und psychischen
Absonderlichkeiten, wollte ein Opfer der Phrase darstellen,
einen Schönredner, dem selbst der Tod mit einer hohen
Pose nicht zuteuer erlauft ist. Seine Galerie willensschwacher
Träumer wird dadurch um ein neues Bild bereichert:
aber es hat nicht den einheitlichen Stil, der den „ein¬
samen Weg“ zu einem abgeschlossenen Werk macht. Schnitzlers
FREEE ERETS
burg, Toronto.
„Historie“ fehlt die breite Kraft und der stürmische Schwung
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
des großen Geschichtsdramas, und so hal der Dichter seine
Requisiten aus der historischen Rumpelkammer Sardous
Lusschnkt aue HESDNER ANGERE
borgen müssen. Die ganze Welt dieser nach Frankreichs
Krone strebenden Valoir, der Prinz, der mit dem Bürger¬
mädel ins Wasser geht, die Prinzessin, die sich bald als
vom: 27. UKTOGER 1911
Judith, bald als Kokette aufspielt, der blinde Herzog und
sein Hofstaat — alles ist bösestes Theater. Der echte
Schnitzler, der wahre und warme Dichter, leuchtet nur
haus der Schilderung des Wie Bürgerhauses mit den
*Berliner Brief. Vier Jahre hat#e gedauert, bis Prachtgestalten der Mutter und des Oheims, leuchtet aus
Arthur Schnitzl####ramatische Historie: D
er
den feingemalten Genre= und Volksszenen, um die der
junge Medakdus durch eine sorgfältig vorbereitete
tweiche Duft und die liebliche Anmut des Wiener Vor¬
und reich ausgestattete Aufführung des Lessingemärz schwebt. Kleinkunst an ein Monumentalgemälde
Iheaters auch den Berlinern auf der Bühne gezeigrivertan, eine Heldenzeit ohne Helden — das ist Schnitzlers
wurde. Man hatte so lange gewartet, bis es — zu spät Kunst und Welt. Es ist die unsere nicht mehr! Darum
wär. Die vorzügliche Darstellung seinerzeit in der Burg wurde das Drame trotz trefflichstem Spiel, trotz den ent¬
vetdankte ihren großen Erfolg doch nicht nur dem Wienerjzückendsten Delorationen von Karl Walser abgelehnt. Das
Herzen, dessen hundertjähriges Spiegelbild hier so scharfl Erlebnis weniger Wochen hat uns der Stimmung vieler
und klar und doch so zart und sein enthüllt wird, sondern Jahrzehnte weltenweit entfernt!
P. L.
er