II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 533

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22. Der junge dardus
— Neue Sreie Drosse, Wien
vom: 27041.1974
Aufführung des „Jungen Medardus“ am
Berliner Lessing=Theater.
(Telegramm der „Neuen Freien Presse“.)
Berlin, 25. Oktober. Artur Schnitzlers dramatische
Historie „Der junge Medardus“ wurde nunmehr zum
erstenmal für Berlin vom Lessing=Theater aufgeführt. Die Sym¬
pathien des Publikums waren dem Stück von vornherein sicher.
Spielt es doch in der Zeit des österreichischen Heldenkampfes gegen
das übermächtige Frankreich. Daß es in dem Stück selbst nicht
eigentlich heldenhaft zugeht, darein mußte sich die Zuhörerschaft
freilich erst finden nach den lauten Akzenten der Kriegs¬
begeisterung, die man jetzt auch von der Bühne herab zu
hören gewohnt ist. Wenn infolge dessen nach den ersten
Bildern auch eine ziemlich abwartende Stimmung herrschte, so
genoß man doch mit allmählich steigender Anerkeinung den
Reiz dieses alten Wienertums, dessen Schilderung zu dem
besten im Stücke gehört und das in Verl### niemals heiglicher
gewürdigt worden ist als gerade heute.
Der Erfolg würde vielleicht noch größer gewesen sein,
wenn die Darstellung diesen typischen Eigenschaften mehr ge¬
recht geworden wäre. Aber es läßt sich nicht leugnen, daß zum
Beispiel Herr Loos, der den Medardus spielte, den typischen
sowohl wie den persönlichen Eigenschaften seines Helden recht
sernsteht. Der innere Kampf kommt bei ihm hauptsächlich durch
eine weinerliche Stimme zum Ausdruck, wobei überdies die
gesprochenen Worte in nichts an die Laute vom Donaustrand
erinnern. Er spielt den Medardus ungefähr ebenso wie den
Gabriel Schilling von Gerhart Hauptmann. Auch seine Part¬
nerin Lina Lossen war keine Prinzessin aus dem Hause
Valois weder dämonisch, noch reizvoll, noch französisch.
Unter den kleineren Rollen waren die Witwe Klär durch Frau
(Grüning und die des Onkels Eschenbacher durch Herrn
[Salfner vielleicht am besten besetzt. Auch Herr Kayßler
wirkte als General Rapp sehr gut.
Am Schluß kam es zu großen Beifallskundgebungen
Ifür den Dichter, der persönlich erschienen war und sich mit den
Darstellern wiederholt vor der Rampe zeigen mußte.

Husschnies aus
Fremdenblatt, Wien
vom:11514

— Aus Berlin wird uns vom 25. d. telegraphiert: Artur
Schufgler=„Der junge Medardus“ wurde bei der Premiere im
Lessingtheater mit großer Achtung angehört; am Schluß der Auf¬
führung, die von 7 Uhr abends bis gegen Mitternacht dauerte, rief das
Publikum den Dichter lebhaft vor die Rampe. Die Regie hatte nicht gerade
glücklich manche bedeutsame Szene gestrichen und so bisweilen seine dich¬
terisch=psychologische Uebergänge zerstört. Im allgemeinen fehlte der Auf¬
führung der wienerische Grundion. Theodor Loos versagte in der Titel¬
rolle völlig. Die Prinzessin gab Lina Lossen mit unbarmherziger Kälte.
Im Hoftheater zu Mannheim wurde das Volksdrama „Andréas
Hofer“ yoX Walter Lutz mit starkem Beifall ausgenommen.
vom: #IHER ABEPIR
Die dramatische Historie „Der junge Medardus“
von Artur Schnitzler wurde im Berliner Lessing¬
Theater mit größter Achtung angehört und aufgenommen.
Die Kritik ging mit dem Werke viel strenger ins Gericht
als das Publikum, aber daß der Wiener Lokalion gut ge¬
troffen sei, hob auch sie rühmend hervor. Der Dichter
wohnte der ersten, viereinhalb Stunden währenden Auf¬
führung bei und mußte wiederholten Hervorrufen Folge
geben.
pziger
isschni
us:
Leipzig
im:
K1.1974
Schnitzlers Medardus.
Unser Berliner Schauspielreferent schreibt: Wenn
man absieht von dem kurzen szenischen Prolog
Schmidtbones, mit dem Reinhardt das Theater,
kriegsjahr einsegnete, so hatten wir am 24. Oktoher
in Berlin die erste literarische Premiere. Auch, das
keine Uraufführung, aber die erste Aufführung im
Deutschen Reich von Arthur Schnitzlers Alt¬
wiener und Napoleons=Historie „Der junge
Medardus“. Dem groß= und noch mehr frei¬
zügigen Drama stand bisher im Wege, daß außer
dem Wiener Burgtheater keine Bühne sich an das
Aufgebot einer ganzen Armee von Schauspielern
wagen konnte oder wollte. Jetzt wurde die Unter¬
nehmungslust des Lessingtheaters offenbar
gefördert von der zeitgemäßen Vorliebe für Bühnen¬
stücke mit kriegerischem Prospekt. Die sehr proble¬
matische, tiefsinnige und nur in einzelnen grausamen
Szenen vom Kriegsgeist berührte Dichtung Schnitz¬
lers hat indessen zu der Stimmung unserer Tage nur
geringe Beziehung. Man müßte denn spitzfindiger
als gerecht sein und etwa in dem Wiener Buch¬
händlersohn Medardus, in diesem jungen Lebens¬
ätheten, den Skepsis und irrende Liebe tatlos im
Kreise drehen, bis daß er in der Todesstunde sich
selbst und zugleich den Anschluß an die allgemeine
Sache findet, die symbolistische Darstellung des öster¬
reichischen Charakters erblicken. Ein Anatol (Schnitz¬
lers weichmütiger Lebenskünstler) in harter Zeit!
An die Psychologie des Medardus ist Schnitzlers
reichstes Wissen und Können verschwendet. Um das
*) In aktenmäßiger Darstellung. Herausgegeben
von Dr. Friedrich Purlitz. 1. bis 3. Lieferung.
Verlag von Felix Meiner in Leipzig. (Preis der
Lieferung 1,20 M.)
Historienbild zieht sich ein feingeschnitzter Nahmen,
ind die Altwiener Luft atmen wir mit dem Gefühl
in, daß sie nicht von landfremder Phantasie ge¬
älscht wurde. Das Köstlichste an dem weitaus¬
ezogenen drumatischen Panorama sind jedoch die
nannigfaltigen Wiener Volkstypen, scharf indivi¬
ualisiert im einzelnen und doch zur Einheit gebun¬
en. Ein Sprühregen von alles verstehender Ironie
geht über sie nieder, und doch haben sich aus diesem
pielerischen Element so wundervolle Gestalten, wie
er skeptisch spöttische Sattlermeister Eschenbacher,
der, ein Opfer des Henkers Napoleon, einen erhaben
chlichten Heldentod stirbt. Den vollen Glockenton
der Tragödie vernehmen wir erst im allerletzten von
den siebzehn Bildern oder Akten (drei waren für die
Berliner Aufführung gestrichen). Auch ganz zum
Schlusse erst erwärmte sich das Publikum für das
sungewöhnliche Drama, und der Dichter wurde ge¬
jrufen. Man könnte bitter werden, und diese kühle
[Aufnahme vergleichen mit dem Beifallslärm, der
in diesen Tagen schlimmsten theatralischen Ausbeu¬
tungen der Kriegsstimmung zuteil wird. Doch siad
es gewiß nicht dieselben Leute, die dort dem Un¬
geschmack zujubelten und hier bei einem Dichter zu
Gaste saßen. Immerhin mag geglaubt werden, daß
in unseren Tagen wenige die innere Sammlung
aufbringen, die ein problematisches Schauspiel for¬
dert. Entscheidender scheint mir die unglückliche
Hand des Einrichters gewesen zu sein. Mit den
Szenen, die er wegschnitt, besonders mit den am
buntesten belebten auf der Wiener Bastei, aber auch
mit den anderen, die das Verhältnis des Bürger¬
sohnes und der Prinzessin von Valois zur Klärung
bringen, ging ein gut Teil des volkstümlichen Reich¬
tums der Dichtung verloren, und dadurch erlangte
die nach Sardou riechende Nebenhandlung, die tragi¬
komische Intrigue des Herzogshofes von Valois, ein
ungebührliches Uebergewicht. Doch auch in die
schwierige Komposition der Medardusseele machte der
Blaustift böse Risse, die das Begreifen erschwerten.
Auch war es nicht möglich gewesen, die große Ge¬
samtheit der Darsteller durchaus auf den eigentüm¬
lichen Wiener Ton zu stimmen. Nicht einmal Theo¬
dor Loos, der den fragwürdigen Helden noch mehr
zum Fragezeichen krümmte, als der Dichter wollen
konnte, war mit Donauwasser getauft. Dennoch
ragten aus einer Reihe hochachtbarer Leistungen
einzelne bedeutend hervor. Ich nenne Ilka Grü¬
ning, deren ergreifende Mütter um eine Perle ver¬
mehrt wurde; Alfred Abels buckligen Toggen¬
burger, Heinz Salfners Eschenbacher (echtes deut¬
sches, Eschenholz), Kayßlers eiserner General und
der mystisch=realistische Urgroßvater des Kurt Götz.
Hermann Kienzl. —