box 27/2
22. Der junge Medardus
(Uuellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: „OE WARTS. BERLIN
270KT1914
vom:
Lessing=Theater.
der junge Medardus. Dramatische Historie von Artur
zler.
der Energie und Kühnheit des Direktors Barnowsky machte
lufführung dieses letzten, aber auch schon vor einem halben
zehnt entstandenen Schnitzler=Dramas alle Ehre. Die Unzahl
uftretenden Personen und die Länge des Stückes — die Vor¬
stellung dauerte 4½ Stunden — setzte dem Experiment von vorn¬
herein die größten Schwierigkeiten entgegen. Der Erfolg mußte aus¬
bleiben. Das Bühnenfremde in Anlage und Aufbau des Werkes
fließt nicht aus einem Reichtume der Phantasie, die neue Wege
aufsucht, sondern aus einem Mangel an Gestaltungskraft,
die durch Breite, was an der Tiefe fehlt ersetzen
möchte. Stünde nicht der Name Schnitzlers, dieses Künstlers, dem
das moderne Theater nach Hauptmann einige der eigenartigsten und
intimsten Stimmungsbilder verdankt, auf dem Zettel, niemand hätte
auf ihn als den Verfasser raten können. Jene Gabe konzentrierender
Verlebendigung, die in dem „Grünen Kakadu“ in manchen Einaktern
und Einzelzzenen des „Einsamen Weges“ am überraschendsten hervor¬
trat, ist seinen späteren Stücken nicht im gleichen Maße eigen. Die
Farben blassen ab. Eine abstrakte Geistigkeit, die, statt anschaulich
auszumalen, sich in schattenhaften Andeutungen Genüge tut, bildet
ihre gemeinsame Signatur. Statt einer Bilderfolge gibt es eine
Arabeskenkunst, aus der nur hier und da bestimmtere Konturen auf¬
tauchen. Aber ein starker Zug zum Innerlichen lebt da fort.
So mag auch im „Medardus“ die Intention ursprünglich auf
Skizzierung eines komplizierten psychischen Problems gerichtet ge¬
wesen sein. Nach den vielfachen Erläuterungen, die Schnitzler im
Stücke durch andere Personen über den Charakter des „Medardus“
gibt, sollte derselbe wohl etwas wie der Typus eines halben Helden
sein, der, von der Hitze seines Temperaments genarrt, die Helden¬
rolle, die er spielen möchte, in seinem wirklichen Handeln kläglich
parodiert, um schließlich, als er das voll Scham erkennt, in einer
Mischung kindisch=eigensinnigen Trotzes und heroischen Auf¬
schwunges das Leben fortzuwerfen. Das weite Land seelischer Wider¬
sprüche und tragikomischer Schicksalsironien hat diesen Dichter ja
seit je besonders angezogen. Hier aber bleibt es bei der bloßen
Absicht. Weder Tragik noch Komik kommen heraus. Der junge
Mann stellt sich im Wirnwarr grotesk=romanhafter Abenteuer, mit
welchen Schnitzler, ganz gegen seinen sonstigen vornehmen diskreten
Dramenstil ihn überhäuft, dem Zuschauer als ein unglaubwürdiges
Kuriosum dar. Und der reichliche Zusatz wienerischer Genreszenen
aus den napoleonischen Kriegsjahren drängt, ohne selbst zu
interessieren, die Figur noch mehr ins Dunkel. Dieser Brausekopf,
der von kriegerischen Heldentaten wider die französischen Eroberer
träumt, vergißt das Vaterland sofort, als die Liebesaffäre seiner
Schwester mit dem Prinzen von Vallois einen traurigen Ausgang
nimmt. Nun ist auf einmal Rache an dem Hause Vallois heiligste
Pflicht — bis er sich kopfüber in die Prinzessin verliebt. Im Duell
schwer verwundet, überklettert er die Gartenmauer ihres Schlosses.
Die stolze Dame schenkt ihm ihre Gunst. Dann will er, aufgepeitscht
durch seines wackeren Oheims Hinrichtung, Napoleon erdolchen, vergißt
es aber und nimmt den Plan erst wieder auf, als die hohe Dame ihn dazu
animiert. Er ersticht indes zuletzt, als er argwöhnt, sie sei Napoleons
Maitresse, statt des Tyrannen die Liebste und soll nun erschossen
werden. Da, die Verblüffung voll zu machen, erscheint ein Bona=K
partistischer General bei dem Gefangenen und teilt ihm die Be¬
gnadigung mit. Warum? Medardus soll durch die Ermordung der
Prinzessin, die, wie die Untersuchung nachträglich erwies, durch ein
Attentat Napoleon beseitigen wollte, dem Kaiser das Leben gerettet
haben! Das ist das Stichwort zur Rehabilitierung des Burschen.
Er erklärt, sein Dolch sei für Napoleon bestimmt gewesen und er¬
zwingt so — mehr zur Verwunderung als zur Erhebung der Zu¬
schauer — mit klarbewußtem Willen seine Erschießung.
Herrn Theodor Loos gelang in seiner Verkörperung der Haupt¬
von dem im Stück so viel die Rede ist, blieb er der Rolle schuldig.
Vortrefflich, soweit die inneren Unmöglichkeiten der Gestalt es irgend
nd Lina Lossen sich mit der hochmütigen, kalt=intriganten
zuließen uis die kleinsten Nebenrollen des
Enfembles war große Sorgfalt aufgewendet. In erster Reihe wären
da die Herren Abel, Kayßler und Heinz Salffner zu nennen. Das
Publikum verhielt sich schweigend, erst am Schlusse erklang ein
mäßiger Applaus.
dt.
*
—41.
Zeitung: Freisinnige Zeitung
Adresse: Berlin
0il.
Datum:
Welten rne
„Der junge Medardus“ von Artur Schnitzler.
In 14 Bildern wickelt sich die „dramatische, Historie“ aus dem
Wiener Kriegsjahr 1809 ab und dauert trotz Kürzungen 4¾ Stun¬
den. Am Schluß des 13. Bildes werden die Flügeltüren des Schön¬
brunner Schlsses vor Napoleon aufgerissen, alles starrt elelrifiert
nach der Oeffnung, viele schreien Hoch, aber ehe Napoleon sein Ant¬
litz zeigen kann, fällt der Vorhang. Kurz zuvor aber ward auf den
Stufen zum Schloß durch einen Dolchstich des jungen Medardus
die stolze Helene getötet, die Tochter des Herzogs von Valois, des
französischen Thronprätendenten, die seit zwei Tagen die Gattin
des Marquis von Valois und außerdem Geliebte Napoleons und des
jungen Buchhändlersohnes Medardus ist. Schon dieser kleine Schnitt
aus den 14 Bildern läßt erkennen, daß das Kriegsjahr 1809 von
Schnitzler romantisch, man darf wohl sagen romanhaft geschaut
ward. Man hört wohl Trommeln und Militärmusik und zweimal
sogar Salven, durch die achtbare Wiener Bürger, von denen wir den ##
einen liebgewonnen haben, standrechtlich erschossen werden. Aber
die Schauer des Krieges und jener aufwühlenden Zeit wehen nicht
durch dieses Stück, das vielmehr stellenweise an Hintertreppen¬
romantik erinnert.
Der Sohn des Thronprätendenten und Bruder Helenes,
der junge Valois, und die Schwester des jungen Medardus,
Agathe, lieben einander. Er darf sie nicht heiraten. Sie haben sich
aber schon vereint und waschen die Schuld im Wasser, wo es am
junge Medardus, schon zum Kriegs¬
tiefsten ist. Der
ausmarsch gegen Napoleon gerüstet, bleibt zu unserer Ueberraschung
zurück, weil er, wie er glaubt, zu Hause noch eine Mission hat. Am
frischen Grabe der Beiden beleidigt er Helene, die der Theaterzufall
ihm in den Weg führt. „Töten Sie ihn und ich werde die Ihre“,
sagt sie zum Marquis von Valois, der plötzlich neben ihr am Grabe
steht. Und nun kommt es, wie es in derlei Romanen geschieht.
Der junge Medardus wird im Duell nur verwundet. Die beiden,
der Buchhändlerssohn und die stolze Valois, finden sich, indem sie
sich hassend zerfleischen und liebend umkrallen. Helene ist nämlich
eine Teufelin Sardouschen Gepräges. Sie wird auch die Geliebte
Napoleons mit dem heimlichen Ziel, ihn zu erdolchen. Auf dem
Wege zu diesem Ziel wird sie zu derselben Stunde von Modardus,
der — stets ohne festen Willen — Napoleon töten wollte, aus Eifer¬
sucht erdolcht. So bleibt Bonaparte am Leben. Und das ist gut,
weil sonst für Preußen das erhebende Befreiungsjahr 1813 nicht an¬
gebrochen wäre. Im letzten Bilde erscheint endlich Medardus als
Held, aber als närrischer Held. Er will — aus Laune? aus Ueber¬
zeugung? — keine Begnadigung. Er verweigert das Versprechen,
Napoleon nicht mehr nach dem Leben zu trachten und wird er¬
schossen. Als Toter kann er Napoleon natürlich noch weniger
schaden. Zwecklos und auch völlig unmotiviert, wie dieser „hel¬
dische“ Schluß, erscheint die ganze Handlung.
Es tut mir leid, von einer Schnitzlerschen Arbeit so respektlos
sprechen zu müssen; darum sei rasch hinzugefügt, daß sich auch in
diesem Stück dichterische Schönheiten finden, überall da, wo eine
abgeklärte, leis ironische Menschenbetrachtung zu Worte kommt.
Die vielen Wiener Typen, überhaupt alle Nebenrollen, sind gut ge¬
zeichnet. Das Drum und Dran ist echt. Aber der Kern, der Kern!
Ein großer Stoff ward zur Anekdote, ein großes Geschehen zum
Roman, ein historisches Drama zur dramatischen Historie. Die
feine Sonde eines Arztes ist kein Schwert, und wie dem Stück der
starke Napoleon fehlt, so fehlt ihm auch der starke Arm, der
die Begebenheiten zu einem kraftvollen unzerfaserten Drama ge¬
stalten konnte.
Barnowskys Regie verdient alles Lob. Leider hatte er für die
Titelrolle keinen passenden Vertreter. Theodor Loos mit seinen ge¬
quetschten Tönen, die immer weinerlich klingen, fehlt der jugend¬
liche Leichtsinn, der wienerische Uebermut. Mit einem anderen
früher
Stück, das
das Schnitzlersche
Medardus würde
er¬
im Burgtheater Erfolg erzielte, wohl mehr Beifall
rungen haben. Alle übrigen Rollen, es sind gegen 60, waren gut
besetzt. Nur einige Namen: Lina Lossen (in einer schillernden
Schlaugenrolle über Erwarten gut), Kayßler, Ilka Grüning,
Salfner, Abel, Adalbert, Guido Herzfels, Landa. Am stärksten hat
sich mir eine kleine Episodenrolle eingeprägt: der skurrile Arzt des
John Gottowt der an eine der dämonisch=komischen Gestalten
E. T. A. Hoffmanns erinnerte. — Der Dichter wurde am Schluß.
Schk.
wiederholt gerufen.
22. Der junge Medardus
(Uuellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: „OE WARTS. BERLIN
270KT1914
vom:
Lessing=Theater.
der junge Medardus. Dramatische Historie von Artur
zler.
der Energie und Kühnheit des Direktors Barnowsky machte
lufführung dieses letzten, aber auch schon vor einem halben
zehnt entstandenen Schnitzler=Dramas alle Ehre. Die Unzahl
uftretenden Personen und die Länge des Stückes — die Vor¬
stellung dauerte 4½ Stunden — setzte dem Experiment von vorn¬
herein die größten Schwierigkeiten entgegen. Der Erfolg mußte aus¬
bleiben. Das Bühnenfremde in Anlage und Aufbau des Werkes
fließt nicht aus einem Reichtume der Phantasie, die neue Wege
aufsucht, sondern aus einem Mangel an Gestaltungskraft,
die durch Breite, was an der Tiefe fehlt ersetzen
möchte. Stünde nicht der Name Schnitzlers, dieses Künstlers, dem
das moderne Theater nach Hauptmann einige der eigenartigsten und
intimsten Stimmungsbilder verdankt, auf dem Zettel, niemand hätte
auf ihn als den Verfasser raten können. Jene Gabe konzentrierender
Verlebendigung, die in dem „Grünen Kakadu“ in manchen Einaktern
und Einzelzzenen des „Einsamen Weges“ am überraschendsten hervor¬
trat, ist seinen späteren Stücken nicht im gleichen Maße eigen. Die
Farben blassen ab. Eine abstrakte Geistigkeit, die, statt anschaulich
auszumalen, sich in schattenhaften Andeutungen Genüge tut, bildet
ihre gemeinsame Signatur. Statt einer Bilderfolge gibt es eine
Arabeskenkunst, aus der nur hier und da bestimmtere Konturen auf¬
tauchen. Aber ein starker Zug zum Innerlichen lebt da fort.
So mag auch im „Medardus“ die Intention ursprünglich auf
Skizzierung eines komplizierten psychischen Problems gerichtet ge¬
wesen sein. Nach den vielfachen Erläuterungen, die Schnitzler im
Stücke durch andere Personen über den Charakter des „Medardus“
gibt, sollte derselbe wohl etwas wie der Typus eines halben Helden
sein, der, von der Hitze seines Temperaments genarrt, die Helden¬
rolle, die er spielen möchte, in seinem wirklichen Handeln kläglich
parodiert, um schließlich, als er das voll Scham erkennt, in einer
Mischung kindisch=eigensinnigen Trotzes und heroischen Auf¬
schwunges das Leben fortzuwerfen. Das weite Land seelischer Wider¬
sprüche und tragikomischer Schicksalsironien hat diesen Dichter ja
seit je besonders angezogen. Hier aber bleibt es bei der bloßen
Absicht. Weder Tragik noch Komik kommen heraus. Der junge
Mann stellt sich im Wirnwarr grotesk=romanhafter Abenteuer, mit
welchen Schnitzler, ganz gegen seinen sonstigen vornehmen diskreten
Dramenstil ihn überhäuft, dem Zuschauer als ein unglaubwürdiges
Kuriosum dar. Und der reichliche Zusatz wienerischer Genreszenen
aus den napoleonischen Kriegsjahren drängt, ohne selbst zu
interessieren, die Figur noch mehr ins Dunkel. Dieser Brausekopf,
der von kriegerischen Heldentaten wider die französischen Eroberer
träumt, vergißt das Vaterland sofort, als die Liebesaffäre seiner
Schwester mit dem Prinzen von Vallois einen traurigen Ausgang
nimmt. Nun ist auf einmal Rache an dem Hause Vallois heiligste
Pflicht — bis er sich kopfüber in die Prinzessin verliebt. Im Duell
schwer verwundet, überklettert er die Gartenmauer ihres Schlosses.
Die stolze Dame schenkt ihm ihre Gunst. Dann will er, aufgepeitscht
durch seines wackeren Oheims Hinrichtung, Napoleon erdolchen, vergißt
es aber und nimmt den Plan erst wieder auf, als die hohe Dame ihn dazu
animiert. Er ersticht indes zuletzt, als er argwöhnt, sie sei Napoleons
Maitresse, statt des Tyrannen die Liebste und soll nun erschossen
werden. Da, die Verblüffung voll zu machen, erscheint ein Bona=K
partistischer General bei dem Gefangenen und teilt ihm die Be¬
gnadigung mit. Warum? Medardus soll durch die Ermordung der
Prinzessin, die, wie die Untersuchung nachträglich erwies, durch ein
Attentat Napoleon beseitigen wollte, dem Kaiser das Leben gerettet
haben! Das ist das Stichwort zur Rehabilitierung des Burschen.
Er erklärt, sein Dolch sei für Napoleon bestimmt gewesen und er¬
zwingt so — mehr zur Verwunderung als zur Erhebung der Zu¬
schauer — mit klarbewußtem Willen seine Erschießung.
Herrn Theodor Loos gelang in seiner Verkörperung der Haupt¬
von dem im Stück so viel die Rede ist, blieb er der Rolle schuldig.
Vortrefflich, soweit die inneren Unmöglichkeiten der Gestalt es irgend
nd Lina Lossen sich mit der hochmütigen, kalt=intriganten
zuließen uis die kleinsten Nebenrollen des
Enfembles war große Sorgfalt aufgewendet. In erster Reihe wären
da die Herren Abel, Kayßler und Heinz Salffner zu nennen. Das
Publikum verhielt sich schweigend, erst am Schlusse erklang ein
mäßiger Applaus.
dt.
*
—41.
Zeitung: Freisinnige Zeitung
Adresse: Berlin
0il.
Datum:
Welten rne
„Der junge Medardus“ von Artur Schnitzler.
In 14 Bildern wickelt sich die „dramatische, Historie“ aus dem
Wiener Kriegsjahr 1809 ab und dauert trotz Kürzungen 4¾ Stun¬
den. Am Schluß des 13. Bildes werden die Flügeltüren des Schön¬
brunner Schlsses vor Napoleon aufgerissen, alles starrt elelrifiert
nach der Oeffnung, viele schreien Hoch, aber ehe Napoleon sein Ant¬
litz zeigen kann, fällt der Vorhang. Kurz zuvor aber ward auf den
Stufen zum Schloß durch einen Dolchstich des jungen Medardus
die stolze Helene getötet, die Tochter des Herzogs von Valois, des
französischen Thronprätendenten, die seit zwei Tagen die Gattin
des Marquis von Valois und außerdem Geliebte Napoleons und des
jungen Buchhändlersohnes Medardus ist. Schon dieser kleine Schnitt
aus den 14 Bildern läßt erkennen, daß das Kriegsjahr 1809 von
Schnitzler romantisch, man darf wohl sagen romanhaft geschaut
ward. Man hört wohl Trommeln und Militärmusik und zweimal
sogar Salven, durch die achtbare Wiener Bürger, von denen wir den ##
einen liebgewonnen haben, standrechtlich erschossen werden. Aber
die Schauer des Krieges und jener aufwühlenden Zeit wehen nicht
durch dieses Stück, das vielmehr stellenweise an Hintertreppen¬
romantik erinnert.
Der Sohn des Thronprätendenten und Bruder Helenes,
der junge Valois, und die Schwester des jungen Medardus,
Agathe, lieben einander. Er darf sie nicht heiraten. Sie haben sich
aber schon vereint und waschen die Schuld im Wasser, wo es am
junge Medardus, schon zum Kriegs¬
tiefsten ist. Der
ausmarsch gegen Napoleon gerüstet, bleibt zu unserer Ueberraschung
zurück, weil er, wie er glaubt, zu Hause noch eine Mission hat. Am
frischen Grabe der Beiden beleidigt er Helene, die der Theaterzufall
ihm in den Weg führt. „Töten Sie ihn und ich werde die Ihre“,
sagt sie zum Marquis von Valois, der plötzlich neben ihr am Grabe
steht. Und nun kommt es, wie es in derlei Romanen geschieht.
Der junge Medardus wird im Duell nur verwundet. Die beiden,
der Buchhändlerssohn und die stolze Valois, finden sich, indem sie
sich hassend zerfleischen und liebend umkrallen. Helene ist nämlich
eine Teufelin Sardouschen Gepräges. Sie wird auch die Geliebte
Napoleons mit dem heimlichen Ziel, ihn zu erdolchen. Auf dem
Wege zu diesem Ziel wird sie zu derselben Stunde von Modardus,
der — stets ohne festen Willen — Napoleon töten wollte, aus Eifer¬
sucht erdolcht. So bleibt Bonaparte am Leben. Und das ist gut,
weil sonst für Preußen das erhebende Befreiungsjahr 1813 nicht an¬
gebrochen wäre. Im letzten Bilde erscheint endlich Medardus als
Held, aber als närrischer Held. Er will — aus Laune? aus Ueber¬
zeugung? — keine Begnadigung. Er verweigert das Versprechen,
Napoleon nicht mehr nach dem Leben zu trachten und wird er¬
schossen. Als Toter kann er Napoleon natürlich noch weniger
schaden. Zwecklos und auch völlig unmotiviert, wie dieser „hel¬
dische“ Schluß, erscheint die ganze Handlung.
Es tut mir leid, von einer Schnitzlerschen Arbeit so respektlos
sprechen zu müssen; darum sei rasch hinzugefügt, daß sich auch in
diesem Stück dichterische Schönheiten finden, überall da, wo eine
abgeklärte, leis ironische Menschenbetrachtung zu Worte kommt.
Die vielen Wiener Typen, überhaupt alle Nebenrollen, sind gut ge¬
zeichnet. Das Drum und Dran ist echt. Aber der Kern, der Kern!
Ein großer Stoff ward zur Anekdote, ein großes Geschehen zum
Roman, ein historisches Drama zur dramatischen Historie. Die
feine Sonde eines Arztes ist kein Schwert, und wie dem Stück der
starke Napoleon fehlt, so fehlt ihm auch der starke Arm, der
die Begebenheiten zu einem kraftvollen unzerfaserten Drama ge¬
stalten konnte.
Barnowskys Regie verdient alles Lob. Leider hatte er für die
Titelrolle keinen passenden Vertreter. Theodor Loos mit seinen ge¬
quetschten Tönen, die immer weinerlich klingen, fehlt der jugend¬
liche Leichtsinn, der wienerische Uebermut. Mit einem anderen
früher
Stück, das
das Schnitzlersche
Medardus würde
er¬
im Burgtheater Erfolg erzielte, wohl mehr Beifall
rungen haben. Alle übrigen Rollen, es sind gegen 60, waren gut
besetzt. Nur einige Namen: Lina Lossen (in einer schillernden
Schlaugenrolle über Erwarten gut), Kayßler, Ilka Grüning,
Salfner, Abel, Adalbert, Guido Herzfels, Landa. Am stärksten hat
sich mir eine kleine Episodenrolle eingeprägt: der skurrile Arzt des
John Gottowt der an eine der dämonisch=komischen Gestalten
E. T. A. Hoffmanns erinnerte. — Der Dichter wurde am Schluß.
Schk.
wiederholt gerufen.