II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 537

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22. Der junge Leuardns
Zeitung: Der Reichsbote
Adresse: Berlin
27. Ckt. 1914
Datum:
W

Wieberorseitigung um so größer und berechtigter,
suchtsraterei verfült, als ihn das Gerücht erreicht,
Schnitzlers Kriensdrama
als gar kein Anknüpfungspunkt für das Weiter¬
sie unterhalte auch Beziehungen zu Napoleon,
spinnen der Handlung, die man bisher als Haupt¬
den er auf ihr Anstiften eben selbst zu töten
„Der junge Med#r#us“.
sache betrachtet hatte, vorhanden war. Nur mit
beabsichtigte. So ersticht er denn bei einem
öffentlichen Aufzuge die Geliebte, wird ergriffen
einigem Zwang schafft dann der Dichter einen
Es ist wohl'anzunehmen, daß hauptsächlich die
und ins Gefängnis geworfen. Napoleon läßt nun
Anlaß zur Fortsetzung des Stückes durch die
Bewertung des kriegsgeschichtlichen Rahmens und
Friedhofsszene. Hier am Grabe der Er¬
als Dank für die Rettung Begnadigung anbieten,
Hintergrundes der Haupthandlung in Arthur
wenn er seinen Franzosenhaß aufgebe. Aber
trunkenen gerät der Bruder der Agathe,
Schnitzlers Bühnenwerk „Der junge Medardus“
Medardus weist trotzig die Gnade zurück, nimmt
Medardus, in Streit mit der Schwester des
das Lessingtheater bewogen hat, diesem gerade jetzt
an Agathens Seite bestatteten Prinzen, mit Helene,
rührenden Abschied von Mutter und Freund und
eine Stelle im Spielplan einzuräumen. Alles, was
weil er die Blumen zurückweist, die sie am Hügel
wird dann zum Tode abgeführt.
mit den Krlegstagen 1809 zusammenhängt, was die
niederlegen will. Die beleidigte Prinzessin findet
Die psychologischen Fäden der Schlußhandlung
Erregung Wiens und seine Angst vor dem Anrücken
aber einen Beschützer in dem Marquis von Valois,
treten in der Bühneneinrichtung leider nicht mit
Napoleoys lebendig zu machen sucht, ist dem Dichter
mit dem ihre Eltern sie vermählen wollen und sie
wünschenswerter Klarheit zu Tage, und so haftete
sehr hübsch gelungen. Die volkstümlichen Szenen in
das Interesse schließlich mehr an den farben¬
auch später vermählen. Es kommt zum Duell,
dem Hause der Buchhändlerswitwe Klähr und auf den
Medardus wird verwundet und erscheint von nun
kräftigen Bildern aus Alt=Wien und der Kriegs¬
Straßen und Plätzen der österreichischen Hauptstadt
an der Beleidigten in ganz anderem Lichte, denn
geschichte jener für die Donaustadt so aufregenden
sind das beste am Stück und zeigen wieder Schnitzlers
sie sendet ihm durch ihre Kammerjungfer Blumen,
Tage als an dem Schicksal des schwächlichen,
Gabe realistischer Kleinmalerei und der Feinmalerei
sie, die noch kurz vorher dem sie umwerbenden
wankelmütigen Medardus und seiner mit ihm
seelisch einfacher Vorgänge in hellstem Lichte.
Marquis die Tötung des Medardus als Vor¬
spielenden Unglücksprinzessin. — Die flotte, bis in
Aber das Hauptstück, der Roman der Liebeshand¬
alle Einzelheiten hinein wohldurchdachte Wiedergabe
bedingung der Verlobung hingestellt hatte. Hier
lung, die sich sogar an zwei Paaren auswirkt, trägt
des umfangreichen Werkes half indessen dem Zu¬
beginnen schon die psychologischen Wunderlich¬
schon zu sehr die Züge echt Schnitzlerscher Un¬
schauer während der Aufführung über manche Un¬
keiten und Verworrenheiten des Stückes, die dann
kraft und läßt in seinem krausen Verlauf die
klarheit schnell hinweg, die der Nachprüfung nicht
noch der Umstand erhöht, daß Helene ihrem
feste Zielsicherheit und Klarheit vermissen,
eben angetrauten Gatten auferlegt, sofort nach der
standhalten wird. Theodor Loos ließ in den
die hier nötig gewesen wäre, um dramatisch
letzten Bildern den im Beginn gut erfaßten helden¬
Trauung Wien zu verlassen und nach Paris zu
Sowird man nie
Bedeutendes zu schaffen.
haft ritierlichen Zug des Medardus leider einer
gehen. Erst wenn er von dort die Sicherstellung
den Gedanken los warum hat der Dichter die für die
der künftigen Königswürde seines etwaigen Leibes¬
fast wehleidigen Haltlosigkeit weichen; Lina
Aufführung zu 14 Szenen zusammengezogenen 15
Lossen machte es sich in der Judithrolle der
erben melden könne, will sie ihm als Gattin an¬
Bilder nicht besser zu einem Roman verarbeitet,
gehören, inzwischen aber in Wien bleiben und den
Helene selbst durch anfänglich übertriebene Strenge
der seinem weichen und redseligen Feminismus
und Unnahbarkeit schwer, ihr späteres Liebes¬
jungen Medardus an sich zu fesseln suchen. Und
noch ganz andere Ausdruckmöglichkeiten geboten
leben natürlich und folgerichtig erscheinen zu lassen.
das letztere gelingt. Er schleicht sich nachts in den
hätte. Der Zwang zur knappen, gedrungenen
Immerhin boten beide Leistungen, die das Mittel¬
Schloßpark, um ihr für die Blumen zu danken,
Ausdrucksform des Dramas hat ihm augenschein¬
maß überragten und auch in der vielleicht ettoas
und sie werden ein heimliches Liebespaar. Da
lich häufig das Konzept verdorben, und so gehen von
zieht Napoleon heran, und sie will sich auch das viel¬
zu einseitigen Betonung ihrer Auffassung der vom
der Haupthandlung nicht immer die Wirkungen aus,
Dichter gestellten komplizierten Aufgaben Beach¬
gerühmte „Tier ansehen". Hat doch Napoleons Adju¬
die wohl beabsichtiat waren und die die Roman¬
tung fanden. Prächtig war die „zum Leiden aus¬
tant, der General Rapp, persönlich das Herzogspaar
form gewiß besser ermöglicht hätte. Das
erkorene" Mutter der Ilka Grüning, schlicht
von Valois und sie als dessen Tochter, zum Kaiser einge¬
Ganze ist ihm als Drama zu sehr unter den
und innerlich der Etzelt Abels, soldatisch fest der
laden. Hier unterbricht der Dichter seinen Roman
Händen in Bilder zerflattert, hinter deren buntem
erst einmal wieder mit der Kriegsepisode der fran¬
General Friedrich Kaßlers und männlich
Milieu oft die Hauptsache verschwindet. Das
zösischen Einquartierung und einer Haussuchung
behr zt der Eschenbacher Heinz Salfners.
erste Liebespaar der Agathe Klähr und des
Landas seherhafte Verkörperung des Herzogs!
im Bücherladen der Frau Klähr nach einem für
jungen Prinzen von Valois sucht und findet bereits
die Kriegführung besonders wichtigen Atlas. Der
übertrieb in der Kopfhaltung zu sehr die äußere
im zweiten Bilde den Tod in der Donau, da sich
Charaktistik der Blindheit, seinen Sohn François
Bruder der Frau Klähr, der Sattler Eschenbacher,
seinem Ehebunde in dem Widerspruch der Eltern
gab Hans Karl Müller, den Marquis
wird dabei verhaftet und schließlich standrechtlich
des Prinzen ein unüberwindliches Hindernis ent¬
schlickt und recht Felix Basch. Für möglichst
erschossen. Helene hat sich inzwischen immer
gegenstellt. Hatte man überhaupt schon mit einigem
schnellen Szenenwechsel sorgte die Drehbühne und
Befremden der Entwickelung dieses Motivs zu= inniger dem Medardus verbunden, und so wird
gesehen, so war das Erstaunen über seine schnelle es erklärlich, daß der Geliebte in die höchste Eifer= die zuweilen etwas grelle Dekoration Karl Wal¬
sers für Buntheit und Mannigfaltigkeit der zahl¬
reichen oft auch sehr stimmungsvollen Bühnen¬
Alf. A.
bilder.