II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 544

M
box 27/2
22. Derjunge edardus
Zeitung: National-Zeitung
ddresse: Berlin
Datum:
hrs her nche

keit, Napoleon niederzuringen, glaubt, und der über Vaterland! weiß Medavdus es wohl selbst
Feuilleion.
und Heldentum sehr ketzerische Meinungen hegt — ein musik¬
des Franzosenkaisers abgetrotzt
begabter Sattlermeister — der einzige, der hier eine kühne Tat
er nicht mehr nützen kann) ode
wagt, den Geboten Napoleons trotzt und stolz den Tod dafür er¬
Jünglings galt, der bei jeder
Rund um Napoleon.
leidet. Und der einzige, der von Anbeginn bis zum Schluß fest
ganze Existenz aufs Spiel gese
seinen Charakter wahrt, ist ein alter Narr, der Herzog von Valois,
Zweifel darüber, und wohl auch
„Der junge Medardus“ Arthur Schnitzlers im
dem von seinen Ansprüchen auf den Thron Frankreichs nichts übrig
Brackenburg, der nach seiner
Lessing=Theater.
geblieben ist, als eine fixe Idee, die ein Irrenarzt sehr behutsam
Bruders der Geliebten immerz
Das Kriegsdrama eines vornehmen Künstlers, in Berlin noch
pflegt. (Vielleicht dachte Schnitzler dabei an einen Hofstaat, der
Das Lessing=Theater hatte
unaufgeführt. Das Lessing=Theater griff darnach. Warum es
bis in die jüngste Zeit hinein in Habsburgs Schutz Träume von
ein Ende und ein Ziel finden
uns in endlosen fünf Stunden (denen der gar nicht faule Blau¬
scheinbar ähnlicher Hoffnungslosigkeit starr, aber am Ende doch
Schere, sondern auch mit groß
stift noch immer Raum ließ) so wenig ergriffen hat? Trotz 18092 emit besserem Erfolg behütete).
Ueberbleibsel angenommen.
Dem korsischen Riesenschatten, der Begeisterung der Kriegs¬
Der dunklen, geheimnisvollen
Aber welche mondscheinüberglänzten Widersprüche ringsum!
freiwilligen, der Angst der Bedrängten, erschütternden Füsilierun¬
man zuweilen sogar die Prin
Vorklang: ein französischer Prinz und ein Wiener Bürgermädchen
gen zum Trotz? Weil der Krieg hier nicht Seele, sondern De¬
spielen Ferdinand und Luise. Zwei Wasserleichen. An ihrer Bahre
alles über einen Königstraum
koration, Ausstattungsmittel ist. Es ist ein entmannter, ein zer¬
der Bruder des Doppelselbstmord=Mädchens. Halb Valentin, halb
Zucker der Genüsse nascht. H#
redeter Krieg. Das Ganze wird ein verschämter, ein holdver¬
Laertes, aber ganz von aller Logik verlassen, beschließt er unmittel¬
erfreuender Erscheinung noch
brämter Kitsch. Wohl spürt man immer wieder den Hauch der
bar nach seinem Todesschwur gegen Napoleon, nicht als Frei¬
schon in seiner zerschäumenden
Wienerstadt: ihre Plätze, Gäßchen und Gärten, auch der Wiener
williger gegen die heranrückenden Franzosen zu ziehen, sondern die
wie sehr diesem bürgerlichen H#
Menschen Hundert feingezogene Linien verkünden den Dichter.
Tote zu rächen. An wem? Am Grabe lernen sich der brüderliche
sehr seine Entschlußkraft imm
Aber doch nur den in seine Welt beschaulich verliebten Erzähler,
Medardus und die schwesterliche Prinzessin kennen. „Hinweg mit
Bescheiden und doch königlich
der aller Farben und Zwischenfarben achtet, alles durch den
des Medardus Mutter Ilka
den Blumen, Sie Hochmütige, die sollen in Ihren mörderischen
Doppelspalt der Klugheit sieht, immer, wenn er gestaltet, zugleich
Fingern welken!" Prinzessin zu einem herzukommenden Mar¬
Herr Götz ließ den Neunzig
räsonniert. Zum Drama fehlt nicht das geistige Band, fehlt nur
quis! „Töten Sie ihn, dann will ich Ihre Frau werden“. Nach
ständnislos, fast gleichgültig zu
der selbstherrliche, klare Schöpferwille. Der Held, Medardus, hat
dem Duell schickt ihm die Stolze (die keine andere Wichtigkeit auf
weis Enkelkinder in die Gruft
so wenig Herrschaft über sein Schicksal wie der Dichter über sein
Erden anerkennt als die sehr schwachfüßigen Ansprüche ihres
einer dauernden Erinnerung
in alle Himmelsrichtungen zerrinnendes Gedicht. Im Grunde ist
Papas auf die Krone Frankreichs) dieselben Blumen, die er vom
Epigramm eines dichtenden Au
Medardus wieder ein Anatol, nur mit größerer Ehrlichkeit gegen
Grabhügel geschleudert hat. Noch am selben Abend liegt der ver¬
sich selbst, nur mit etwas heißerem Blut, dessen Wärmegrad hin¬
wundete Medardus in ihren erhabenen Armen. Die tödlich Ver¬
reicht, seine Abenteuer zu steigern.
liebten, die Nacht um Nacht sich trunken einander hingeben (trotz¬
Uebrig bleiben ein paar sehr natürlich fließende Bürger¬
dem das konsequente Prinzeßchen inzwischen Marquise geworden
gespräche, heimatliche Klänge und ein Bündel sehr scharf ge¬
ist, um später einmal — bei gegebener Gelegenheit — einem
schliffener Aperaus, deren blasierte Gescheidtheit uns darüber hin¬
Valois, einem König von Frankreich, das Leben zu schenken) bleiben
wegtäuschen soll, daß dieses mit Empfindsamkeit und Prinzessinnen¬
Todfeinde. Wirklich? Medardus will Napoleon töten, in heiligem
romantik so schwer beladene Drama seinem Wesen nach ein ver¬
vaterländischen Zorn. Vielleicht auch nur um seiner krankhaften
klärter, sehr dickbäuchiger Mühlbach=Roman ist. Es ist bezeichnend
Unruhe ein neues Erruptionsziel zu geben. Tuts nicht, weil die
für den zwitterhaften, zwischen Pathos und Ironie, zwischen Be¬
Geliebte dieselbe Tat zu anderem Zweck, zum Besten der Valois,
jahung und Zweifel ewig hin und her gaukelnden Geist dieses!
von ihm verlangt. Ersticht sie selbst aus Eifersucht, als sie zu
Dichters.
Napoleons Empfang nach Schönbrunn geht. (Eine sehr üppig
In diesem Kanonendonner=Stück aus der Zeit des zweiten
aufgebaute Opernszene, an deren Schluß Bonaparte in Person —
Einmarsches der Franzosen in Wien ist der Mann, der nicht recht beinahe — erscheint.) Napoleon begnadigt ihn, weil die Valois;
an die Waschechtheit des Wiener Patriotismus und an die Möglich= selbst den Dolch im Gewande trug. Noch in seiner letzten Stunde!