bos 27/2
22. Denjunge Medardus
SIER
in
Spiel. Er will ihre Schande preisgeben; sie ent= einem Stich ins Hintertreppenhafte, ist schlechtes, abspeisen. Der Krieg übt eben auch an Kunstwerken
Theater, logisch und psychologisch brüchig. Daß eine eine grausame Korrektur. Der „Held“ Medarbus
waffnet ihn durch ihre bloße Gegenwart und Geistes¬
Prinzessin von Valois, die den Tod ihres Bruders von Hamletschem Geblüt bleibt ein Schwächling,
gegenwart. Der Buhle schmachtet in den Banden
betrauert, den Wiener Buchhändlerssohn, der den selbst dann noch, wenn er seine private Racheaktion
der Liebsten. Da rafft er sich zu einem tollkühnen
Tod seiner Schwester beweint, am Morgen auf dem an der hochnäsigen Aristokratensippe mit einer welt¬
Entschluß auf: er will den Kaiser töten. Ersticht
Kirchhof zum erstenmale sieht und am Abend desgeschichtlichen Mission vertauscht, weil ihn die Ver¬
über auf der Freitreppe von Schönbrunn die zum
enn
nämlichen Tages (nach vorausgegangener Krän= zweiflung über das Fehlschlagen seiner Pläne packt
Empfang befohlene Geliebte. Bei der Leiche findet
kung!) bereits in seinen Armen liegt, ist eine Zu= Schnitzler selbst hat uns oft genug gelehrt, daß der
man einen Dolch, den die Royalistin offenbar für
mutung, die wir auch in normalen Zeiten nicht ohne] Mut eines Desperado an sich nichts Bewunderungs¬
holeon den Kaiser bestimmt hatte. Medardus hat also Na¬
würdiges ist. Mit Anstand leben scheint auf alle
Mhieds¬
Widerstreben hinnähmen, gegen die sich jetzt unser
poleon das Leben gerettet und könnte sich nun durch
Fälle höhere sittliche Genugtuung zu gewähren als
der
Empfinden mit einiger Erbitterung sträubt. Wenn
eine Lüge die Freiheit erkaufen. Er lehnt es stolz
mit Anstand sterben.
wenigstens dichterisch etwas bei dieser unglaubhaften
ziere; ab; auch das Versprechen, dem Verhaßten fürder
Wie man sie auch betrachten mag, die Hauptfigu¬
kschie¬
Liebesaffäre herausspränge! Doch so theatralisch sie
nicht nach dem Leben zu trachten. Wird erschossen —
ren dieser weitschichtigen Historie sind nicht zu ret¬
Kkaufs
eingefädelt ist, in so üblem Theaterton wird sie fort¬
„als dieses Krieges letzter und seltsamster Held“.
ten. Dagegen steckt in dem Drum und Dran, dem
r Be¬
gesponnen. Schon bei den „mörderisch hochmütigen
Ein sehr wenig glaubhaftes Einzelschicksal voll ro¬
Auf und Ab der Volksmenge, den Genreszenen und
Fingern“ juckt es uns in den Fingern; nachher
mantischer Zufälle ist so mit den weltgeschichtlichen
der Ausmalung des Alt=Wiener Milieus mancher
900
schießen die Papierblumen in die Höhe wie Pilze
Begebenheiten verquickt.
reizvolle Zug. Am tiefsten prägt sich die Gestalt
hmen¬
nach dem Regen — das untrüglichste Zeichen für die
Arthur Schnitzler, der feinste Poet der Liebe in
eines „uralten Herrn“ ein, der alles um sich herum
(von
innere Hohlheit der ganzen Sudermanniade.
all ihren Variationen, hatte, wie die Kenner seiner
ins Grab sinken sieht, schon jenseits der persönlichen
Leider vermag uns Medardus Klär in keiner Be¬
Werke wissen, von jeher eine Vorliebe für den Krieg.
Erlebnisse steht, von den Schrecken der Zeit nicht
Frund
ziehung tiefere Teilnahme abzuringen. Als er zum
Vielleicht ist es der Arzt in ihm, der sich für das
mehr gestreift wird und mit dem gesteigerten Selbst¬
von
Schluß die Lüge wie ein echter deutscher Jüngling
Problem des Massensterbens wie des unfreiwilligen
erhaltungstrieb des Greisenalters sich an das Dasein
has er
entrüstet von sich weist und dem sichern Verderben
Sterbens interessiert. Aber er wird, den Kennern
klammert. Daneben huscht ein phantastischer Arzt,
seiner
entgegenschreitet, sagt der General Rapp von ihm,
gleichfalls nicht unbekannt, merkwürdig geschwollen,
wie aus E. T. A. Hoffmanns „Gespensterwelt“, vor¬
jenes
als habe Fortinbras dem Dänenprinzen einen Nach¬
unnatürlich theaterhaft, sobald er auf den Krieg
über. Der Silberstift des Dichters Schnitzler schuf
örbe¬
ruf zu widmen: „Gott wollte ihn zum Helden schaf¬
kommt. In seinem szenisch stärksten, menschlich
ein anmutig gemütvolles Kulturbild aus dem Wien
r for¬
fen, der Lauf der Dinge machte einen Narren aus
schwächsten Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ ist er
der Basteien und der Bürgerwehr mit fein kontu¬
ndet.
wirklich mehr Sudermann als sein besseres Selbst; ihm.“ Damit wird ein Lieblingsthema der drama¬
rierten Volkstypen; der dicke Pinsel des Theatra=#7
; er
mehr auf Coups aus als auf Seelendeutung, die tischen Stoffwelt Arthur Schnitzlers angeschlagen und
likers Schnitzler suchte Anschluß an moderne Film,“?
der¬
Medardus in die Galerie der halben Helden einge¬
sonst seine Domäne. Dann vertauscht er den Silber¬
handlungen und irrte von den ihm vertrauten We¬
den
stift, den seine zarte Hand delikat zu führen weiß, reiht. In Friedenszeiten hätte uns vielleicht der
gen weit ab.
mit einem recht dicken Pinsel. Von dieser fatalen Entschluß zu einer großen Tat (Napoleons Ermor¬
In so verdienstvoller Weise das Lessing=Theateg
fkaltes Reigung macht er sich hier nicht los. Die Alkoven= dung) imponiert; heute, da alles auf die Tat gestellt
geschichte inmitten der Historie ist grell, knallig, mit) ist, lassen wir uns mit dem auten Willen allein nicht sich gerade jetzt für das schwierig zu bewältigentt
22. Denjunge Medardus
SIER
in
Spiel. Er will ihre Schande preisgeben; sie ent= einem Stich ins Hintertreppenhafte, ist schlechtes, abspeisen. Der Krieg übt eben auch an Kunstwerken
Theater, logisch und psychologisch brüchig. Daß eine eine grausame Korrektur. Der „Held“ Medarbus
waffnet ihn durch ihre bloße Gegenwart und Geistes¬
Prinzessin von Valois, die den Tod ihres Bruders von Hamletschem Geblüt bleibt ein Schwächling,
gegenwart. Der Buhle schmachtet in den Banden
betrauert, den Wiener Buchhändlerssohn, der den selbst dann noch, wenn er seine private Racheaktion
der Liebsten. Da rafft er sich zu einem tollkühnen
Tod seiner Schwester beweint, am Morgen auf dem an der hochnäsigen Aristokratensippe mit einer welt¬
Entschluß auf: er will den Kaiser töten. Ersticht
Kirchhof zum erstenmale sieht und am Abend desgeschichtlichen Mission vertauscht, weil ihn die Ver¬
über auf der Freitreppe von Schönbrunn die zum
enn
nämlichen Tages (nach vorausgegangener Krän= zweiflung über das Fehlschlagen seiner Pläne packt
Empfang befohlene Geliebte. Bei der Leiche findet
kung!) bereits in seinen Armen liegt, ist eine Zu= Schnitzler selbst hat uns oft genug gelehrt, daß der
man einen Dolch, den die Royalistin offenbar für
mutung, die wir auch in normalen Zeiten nicht ohne] Mut eines Desperado an sich nichts Bewunderungs¬
holeon den Kaiser bestimmt hatte. Medardus hat also Na¬
würdiges ist. Mit Anstand leben scheint auf alle
Mhieds¬
Widerstreben hinnähmen, gegen die sich jetzt unser
poleon das Leben gerettet und könnte sich nun durch
Fälle höhere sittliche Genugtuung zu gewähren als
der
Empfinden mit einiger Erbitterung sträubt. Wenn
eine Lüge die Freiheit erkaufen. Er lehnt es stolz
mit Anstand sterben.
wenigstens dichterisch etwas bei dieser unglaubhaften
ziere; ab; auch das Versprechen, dem Verhaßten fürder
Wie man sie auch betrachten mag, die Hauptfigu¬
kschie¬
Liebesaffäre herausspränge! Doch so theatralisch sie
nicht nach dem Leben zu trachten. Wird erschossen —
ren dieser weitschichtigen Historie sind nicht zu ret¬
Kkaufs
eingefädelt ist, in so üblem Theaterton wird sie fort¬
„als dieses Krieges letzter und seltsamster Held“.
ten. Dagegen steckt in dem Drum und Dran, dem
r Be¬
gesponnen. Schon bei den „mörderisch hochmütigen
Ein sehr wenig glaubhaftes Einzelschicksal voll ro¬
Auf und Ab der Volksmenge, den Genreszenen und
Fingern“ juckt es uns in den Fingern; nachher
mantischer Zufälle ist so mit den weltgeschichtlichen
der Ausmalung des Alt=Wiener Milieus mancher
900
schießen die Papierblumen in die Höhe wie Pilze
Begebenheiten verquickt.
reizvolle Zug. Am tiefsten prägt sich die Gestalt
hmen¬
nach dem Regen — das untrüglichste Zeichen für die
Arthur Schnitzler, der feinste Poet der Liebe in
eines „uralten Herrn“ ein, der alles um sich herum
(von
innere Hohlheit der ganzen Sudermanniade.
all ihren Variationen, hatte, wie die Kenner seiner
ins Grab sinken sieht, schon jenseits der persönlichen
Leider vermag uns Medardus Klär in keiner Be¬
Werke wissen, von jeher eine Vorliebe für den Krieg.
Erlebnisse steht, von den Schrecken der Zeit nicht
Frund
ziehung tiefere Teilnahme abzuringen. Als er zum
Vielleicht ist es der Arzt in ihm, der sich für das
mehr gestreift wird und mit dem gesteigerten Selbst¬
von
Schluß die Lüge wie ein echter deutscher Jüngling
Problem des Massensterbens wie des unfreiwilligen
erhaltungstrieb des Greisenalters sich an das Dasein
has er
entrüstet von sich weist und dem sichern Verderben
Sterbens interessiert. Aber er wird, den Kennern
klammert. Daneben huscht ein phantastischer Arzt,
seiner
entgegenschreitet, sagt der General Rapp von ihm,
gleichfalls nicht unbekannt, merkwürdig geschwollen,
wie aus E. T. A. Hoffmanns „Gespensterwelt“, vor¬
jenes
als habe Fortinbras dem Dänenprinzen einen Nach¬
unnatürlich theaterhaft, sobald er auf den Krieg
über. Der Silberstift des Dichters Schnitzler schuf
örbe¬
ruf zu widmen: „Gott wollte ihn zum Helden schaf¬
kommt. In seinem szenisch stärksten, menschlich
ein anmutig gemütvolles Kulturbild aus dem Wien
r for¬
fen, der Lauf der Dinge machte einen Narren aus
schwächsten Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ ist er
der Basteien und der Bürgerwehr mit fein kontu¬
ndet.
wirklich mehr Sudermann als sein besseres Selbst; ihm.“ Damit wird ein Lieblingsthema der drama¬
rierten Volkstypen; der dicke Pinsel des Theatra=#7
; er
mehr auf Coups aus als auf Seelendeutung, die tischen Stoffwelt Arthur Schnitzlers angeschlagen und
likers Schnitzler suchte Anschluß an moderne Film,“?
der¬
Medardus in die Galerie der halben Helden einge¬
sonst seine Domäne. Dann vertauscht er den Silber¬
handlungen und irrte von den ihm vertrauten We¬
den
stift, den seine zarte Hand delikat zu führen weiß, reiht. In Friedenszeiten hätte uns vielleicht der
gen weit ab.
mit einem recht dicken Pinsel. Von dieser fatalen Entschluß zu einer großen Tat (Napoleons Ermor¬
In so verdienstvoller Weise das Lessing=Theateg
fkaltes Reigung macht er sich hier nicht los. Die Alkoven= dung) imponiert; heute, da alles auf die Tat gestellt
geschichte inmitten der Historie ist grell, knallig, mit) ist, lassen wir uns mit dem auten Willen allein nicht sich gerade jetzt für das schwierig zu bewältigentt