II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 563

Ausschnitt aus:
Wie in big
1219915
vom:
-Ren- Wien
KUNSTPUNB LITERATGRNACHRICHTEN
tiker der Nation. Es hat außerdem eine Tradition
Der junge Medardus
(und Renommé zu verlieren). Ferner: das Theater
Dramatische Historie von Arthur Schnitzler
im allgemeinen ist eine Institution, in der die Kunst
Wechen
„Wirf dich nicht weg, Agathe!“—
zum Publikum herabsteigt. Der Kritiker muß also
hinaufsteigen, damit keine Verschiebung des ästhetischen
„Hab keine Angst, Medardus!“
„Beim Andenken unseres Vaters, schwör mir das!“
Balancements stattfindet. Ferner: Gerade jetzt, in
Kriegszeiten, sollte man dem Publikum nur das Beste
„Ich schwör es dir bei unseres Vaters Grab!“
vom Besten bieten, Stücke der Selbstzucht, der Hu¬
So beginnt es. Bild: das Zimmer der Buchhändlers¬
manität und Besinnung. Nicht Stücke wie dieser
witwe Klähr. Das Bild ist aber, um das gleich vor¬
„Medardus“. Der Weaner Rithmus, den Schnitzler
wegzunehmen, nicht von Schwind, sondern von Karl
meint, fällt auf ihn selbst zurück. Schnitzler ist
Walser, via „Werkstätten für Bühnenkunst“ etwa aus
weanerischer in diesem Stück als d'Weaner selbst (auf
„Velhagen und Clasing“. Ein Onkel tritt auf. Der
heißt Eschenbacher. Und sagt etwas bieder=beschwich=, die er es abgesehen hat). Uebrigens eine gute Figur:
Büdinger, der Arzt! (dar¬
tigendes. Man bemerkt das
gestellt von Gottowt). Im¬
Spiel: bißchen deklamato¬
merfort fallen ihm Grab¬
risch, gedreht. „Euch alle,
inschriften ein, die er für
die ich lieb habe“ sagt
Sentenzen hält.
Medardus. Man erinnert
sich der lapidaren ersten
Hugo Ball
Kriegsdepeschen des Ge¬
neralquartiermeisters von
Stein und findet das
Ganze dort oben etwas
unsachlich, umschweifig,
droschkenhaft.
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Zweites Bild: „Kleines
Wirtshaus in den Donau¬
auen.“ Freiwillige Sol¬
datenkerle aus guter Fa¬
milie sind versammelt,
Mädgens dabei, und mit
Absingen patriotischer Lie¬
der beschäftigt. Man denkt:
Na schön. Also was wei¬
ter? „Es geht hinaus gen
Napolium“, sagt Schnitz¬
ler. „Gen Napolium“
sagt Barnowsky. „Gen
Napolium“ sagt Walser.
(Schlacht bei Aspern. 1809.)
Es herrscht Stimmung. I
Ohne Zweifel. Nur daß
Generaloberst von Hindenburg
man das Bestreichen glatter
Originalbüste von Romanus Undresen
Mädchenflächen im Vor¬
dergrunde etwas reichlich findet. Jedoch: dem mag “
in Wien so sein, bevor man außerziagt.
„Jetzt ist es Zeit, die Trommel ruft,
Lieb Mädel, laß mich ziehn.
Die Fahne flattert in der Luft,
Muß zu den Männern hin.“
Schon bringt man Agathe, tot, die Ertrunkene in
den Donauwellen (also sie hatte sich doch weggeworfen).
Das Wirtshaus: es sieht nicht ganz wie ein Wirts¬
haus aus. Eher wie Wildwest, aus Brettern ver¬
wegen errichtet. Tut nichts. Man wartet ab.
Dann eine Friedhofszene. Massenverkehr. Ganz Jung¬
Wien ist da. Geschmeiß! (denkt man). Kraus müßte
das sehen! Mehr Menschen als Kreuze. Duftkleider
und Geschnatter. Charlottenhüte, Ridikülchen. D#
Weana Leit san zgegn. Ein Totengräber ist zgegn.
An Begräbnis findt statt. Dann d' Leidtragenden
am Doppelgrab. Spannst du es, lüaba Leser? Eine
Prinzessin (huch nein, eine Prinzessin!) kommt mit
roten Rosen. Diese ist die Schwester des toten Bräu¬
tigams und die Anstifterin der Liebestragödie. Und
Medardus kommt, seinerseits und beleidigt die Prin¬
zessin. Und die Prinzessin (Lina Lossen, ein starkes,
großes, reichliches Mädchen mit Feurigkeitsmomenten)
sagt zu ihrem Begleiter: „Töten Sie den Menschen
und ich werde die Ihre sein." Es muß gesagt werden:
das Lessingtheater ist kein Volkstheater. Es trägt
seinen Namen nach dem ersten und gewitzigtsten Kri¬