II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 568

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22. Derjunge Medandus

e höheren Werte kennt als das liebe Ich, als und ihn auch dann noch in Ehren begnadigen, als andern Honoratioren Krähwinkels aus schmalzig¬
istische Gelüste und Eitelkeiten. Wenn man ihn
er gesteht, wie und aus welchen Gründen sie ge-verquollener Kehle ein sentimentales Lied singt..
ersten Akt so daherkommen sieht, in seiner
schehen. Aber Medardus will keine Gnade. Er! Dann aber gab's'uns einen um so kräftigeren Ruck:
ucken Uniform, den jungen Herrn Medardus
will den Tod. Den nutzlosen Tod vor den Gewehr= Ist das der Sinn und die Aufgabe der Kunst, uns
fhr, ist man wohl einen Augenblick versucht, an
läufen der Füsiliere. Mehr war ihm nicht be¬ die Gedanken von dem alles überschattenden Er¬
eodor Körner zu denken: aber bald schämt man
schieden.
lebnis dieser Monate mit fader Verzerrung unsrer
des Vergleiches: von entschlossenem Tatenmut
Gerade diese wehrlose Resignation, die dem
Art und Unart hinwegzuscheuchen? Nun und
tgar nichts in diesem Zweifler und Zauderer;
Stücke noch in der vorigen Spielzeit den Ruhm be¬ nimmermehr! Wußten wir es noch nicht, daß
ihn in flackernde Bewegung setzt, ist nicht mehr
sondrer echtmenschlicher Seelenkenntnis eingebracht dieser Kotzebne nicht wert ist, die Fußspitze auf die
eine romantisch erhitzte Ehr= und Abenteuersucht,
hätte, macht es jetzt vor dem Richterstuhl einer Schwelle unster Tage zu setzen, so wissen wir es
von dem Dichter mehr willkürlich als charakter¬
starken Wirklichkeit stumpf. Sein Wert scheint uns jetzt. „In die Ecke, Besen, seid's gewesen!“
IAEN N
1 und überzeugend mit verwegenen Erfindungen
nur noch von kulturhistorischer Bedeutung, in die
Verwickelungen genährt wird. Das erste ist,
sich ein feines lyrisches Aroma, wie Lavendeldust¬
Medardurs sich aus einem Vaterlands¬
aus alten Familientruhen, mischt. Sehr hübsch sield¬
steidiger in einen Rächer seiner Schwester ver¬
namentlich die zarten Bilderbogen in
Wasser¬
delt, die gemeinsam mit dem ihr nicht be¬
malerei, die das freundnachbarliche Bürgerleben
mten Liebhaber in die Donau gegangen ist.
aus dem Wien von 1809 illustrieren; den Ein¬
t diesem Liebhaber hat es eine eigne. Bewandt=lheimischen werden sie durch ihre liebevolle, unauf¬
es ist ein Prinz, ein Valois, und er hat eine dringliche Echtheit noch mehr entzücken als den
wester, die ganz erfüllt ist von dem königlichen Fremden. Aber das sind Friedensschönheiten in
bicksal und Beruf ihres entthronten Geschlechts.l einem Kriegsstück; sie sind „fehl am Orte“, oder ihre
s hindert sie freilich nicht — wie andre Gegen= Zeit soll erst wieder kommen.
so liegen bei Schnitzler auch Stolz und
Doch wie? Sehnt sich die vom Schlachtenlärm
amlosigkeit, Eis und Feuer eng beieinander —
ermüdete Welt nicht gerade jetzt nach solchen
dem jungen Medardus, dem Beleidiger ihres Friedensseligkeiten aus den Zeiten, da der Gro߬
blzes, nachdem eine Kugel ihres ebenbürtigen
vater die Großmutter nahm? Manchmal will es so
Flobten im Duell ihn nur gestreift hat, in dirnen¬
scheinen. Der Zuschauer des gewaltigen Welt¬
ter Anwandkung hinzugeben. Medardus hat theaters, das sich Tag um Tag vor uns abspielt,
ke ganz besonderen Absichten bei dem Liebesspiel: möchte es abends einmal, wenn die mitleidigen
in die Prinzessin ganz die Seine geworden, will Schatten sich auf die Erde senken, ganz still und
hingehen und ihre Schande vor aller Welt aus- friedlich haben. Da erinnert er sich an Kotzebue
keien. Aber auch dazu bringt er's nicht, teils und seine Pfahlbürgerkomödien, die der liebe Gott
l er selbst zu sehr zum Sklaven seiner erotischen von Weimar in seiner großen Güte und Langmut
fühle wird, teils weil er sich von ihr betrogen neben den Werken eines Goethe und Schiller
ubt. Denn bald wird ruchbar, daß die stolze duldete, ja sogar zu „Lieblingen des Publikums“
ene von Valois als Geliebte Napoleons inwerden ließ, und wenn die Kammerspiele des
hönbrunn bei ihm ein= und ausgeht. Nun könnte Deutschen Theaters sich und den Schauspielern zur
dardus ja vielleicht auf einem Wege zu seinen Erholung die „Deutschen Kleinstädter“
den Zielen gelangen, aber kaum daß er die aufführen, so wird der Deutsche von heute der eine
Eulose erstochen, muß er erfahren, daß sie gerade Welt gegen sich in Waffen sieht für ein Stündchen
dem besten Wege war, den Tyrannen und Biedermeier mit den Biedermeiern, Philister mit
luber ihres Thrones, eine moderne Indith, in
den Philistern. Und er lacht und kreischt wohl gar
besarmen zu erwürgen. So hat er im Gegen¬
aus vollem Halse, wenn Lucie Höflich, im
verhindert, was der Zweck und Inhalt seines
übrigen nicht einmal die ergötzlichste unter den drei
ens sein sollte: Napoleon, dem er Tod und Ver¬
„komischen Alten“, zu denen sich mit prächtiger
ben schwor, lebt durch ihn!... Es heißt zu viel Laune die Schönheiten des Deutschen Theaters her¬
langt, wenn uns nach der Entwirrung solchen In-geben, als Frau Stadt=Akzise=Kassa=Schreiberin
ennetzes zugemutet wird, dennoch an den tragi= vor der Frau Unter=Steuer=Einnehmerin, der Frau
Heroismus dieses Unhelden
glauben.] Ober=Floß- und Fischmeisterin, dem Herrn Bau=,
poleon will ihn für die „Rettuntstat“ belohnen Berg= und Weginspektors=Substitut und all den