II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 634


alt geworden. Diese Neueinstudierung des „Jun¬
gen Medardus“ hätte demnach den Sinn einer
Festaufführung. Aber sie ist alles eher als eine
Festaufführung. Schnitzlers dramatische Historie!
gibt das Versagen einer Jugend, die trotz der
Forderung einer entscheidungsvollen Zeitwende
nur dem Traum und dem Abenteuer leht, gibt
die ohnmächtigen Kabalen einer abgelehten herr¬
schenden Welt und den Aufstieg eines neuen
Volksbewußtseins und gibt schließlich die Tragi¬
komödie des Wienertums. In alldem steckt ein
sehr zeitgemäßer Kern. Auch wir haben eine
Jugend, die zwischen Ich und Gemeinschaft zu
wählen hat, auch wir kennen Emigrierte, die Hof
halten, während neben ihnen sich eine neue
Daseinsordnung durchkämpft, auch wir erleben die
zu allem Zuschauertum gern geneigten Wiener,
deren alles, auch der Kampf und Untergang der
Munnhaftigkeit, eine Hetz sind. Wie nahe wir der
Schnitzlerschen Historie sind, müßte eine Neu¬
inszenierung zeigen. Aber dazu gehörte eine ins
Dramaturgische und Szenische greifende Neu¬
formung. In sieben Proben läßt sich so was nicht
machen. Besonders nicht bei einem so personen¬
reichen Drama. So blieb der Regie Franz Her¬
terichs nichts übrig, als für die Abwicklung der
vielen aufeinander folgenden Bilder und für ihre
Optik zu sorgen. Innere Regie und schauspiele¬
rische Führung mußten vernachlässigt werden.
Betriebsbühne und Kulturtheater können nicht
nebeneinander in einenr Haus geführt werden. So
entsteht nur ein unerträglicher Mischmasch. Das
Burgtheater wird sich entscheiden müssen, in
welcher Form es eigentlich weiterleben will.
Lohner als Medardus setzt jung und sym¬
pathisch ein. Später aber, in den Augenblicken, mo
das Schicksal den Medardus überwältigt und er
zum Toren seiner selbst wird, übersteigert sich
Lohner, da er im Grunt ein lyrisch schwärmeri¬
scher Schauspieler ist, ins Tenorale. Aber wie soll
auch eine sich noch suchende Begabung in sieben).
Proben zur Entwicklung gebracht werden?: Ahn¬
lich steht es mit Ebba Johannsen als Prin¬
zessin Helene. Auch sie müßte, besonders im
Sprachlichen, dazu geführt werden, sich freizu¬
spielen, der Gestalt das Nixenhafte restlos zu
geben, das ein Element ihrer schauspielerischen
Kraft ist. Lotte Medelsky ist eine in der Ner¬
vosität der Empfindung lebende Bürgerin und
Mutter, Maierhofer als Jakob Eschenbacher
ersetzt das vorbildlich Mannhafte, das die Gestalt
braucht, durch gutgelaunte Biederkeit. Elisabeth
Ortner=Kallina spielt ein junges Wiener
Mädchen mit hingebungsvoller Zartheit. Emme¬
rich Reimers ist mit Anstand der beiseite
stehende Buchhändler, Walter Huber spielt den
Wachshuber als Hallodri, während Herr
Wawra das wienerisch Geschwätzige bringt.
Georg Reimers ist ein Kronprätendent, der
unsichtbar die Krone schon trägt. An seiner Seite
zeigt Anna Kallina Hoheit und gefühlten
Mutterschmerz. Fred Hennings scheinen die
aristokratischen Sorgen und Amouren, denen sein
Marquis ausgesetzt ist, nicht sehr zu interessieren.
Frau Mayen sucht der Vertrauten mit Kon¬
versationston beizukommen. Unter den Wienern
fallen noch die Damen Karoly, Kramer, Mell,
Glossy und die Herren Karsten, Braun,
Eybner auf. In Uniform machen Marr,
Siegert und Schütze gute Figur. Als ur¬
alter Herr gespenstert Herr Straßnt. Der Ge¬
neral Rapp des Herrn Höbling ist so sehr
Militarist, daß er auch die Silben und Worte
exerzieren läßt. Der eine Arzt des Dramas wird
von Arndt mit verzweifelnder Skepsis, der
andere von Heine mit gesicherter Wissenschaft¬
lichkeit verkörpert: Praktischer Arzt und Pro¬
fessor vor den Leiden der Menschheit.
o. m. f.
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vom: —8.VA 1932
Aus dem Kunstleben.
Burgtheater.
„Der junge Mebardus.“
Wenn Schnitzlers drgmatische Historie seinen Zeit¬
stücken wett vorzuziehen ist, so darum, weil hier die Ge¬
schichte den Hauptteil geschrieben hat: das Heldenlied von
Aspern, um das sich die Geschehnisse dieses Stückes ranken,
wird, mag es von wem immer erzählt werden, um seine#“
selbst willen stets das Herz jedes österreichischen Deutschen
höher schlagen lassen. Dieses Heldenlied hört man den
ganzen Abend der Aufführung über, und sein Donnerton“
überdröhnt das höchst gleichgültige Einzelschicksal des
Medardus Klähr, der sein Vorbild, den Julien Sorel aus 2
Stendals Meisterroman „Rot und Schwarz“ vergeblich zu
erreichen sucht und der Scävola=Tat des jungen Stapos
Beweggründe unterschiebt, die diesem reinen, flammen=
den Menschen weiß Gott völlig fremd waren. Schnitzler, ein
geschickter Schnellphotograph der verrotteten Fin de siecle¬
Gesellschaft, betätigte sich hier einmal als Kopist nach der#
Geschichte; und wenn er deren ihm fremden Geist auch
nicht zu erfassen vermochte, so erkennen wir deren Helden!
auch in seiner Kopie.
Diesen Geist versuchte das Burgtheater einzufangen,
freilich nicht viel glücklicher als der Schriftsteller. Was
zustande kam, war eine anständige Aufführung, die, hätte
sie nicht eben jenem großen Geschehen gegolten, kaum mehr
abgenötigt hätte als kühle Achtung. Die Glut der großen
Tragödie, die freilich auch im Stück kaum vorhanden ist,
schlug aus keiner Szene des Abends. Man bewunderte
Einzelleistungen, wie die heroische Mutter der Frau
Medelsky, die hochadelige, nach außen kalte, nach innen
von Leidenschaft verzehrte Prinzessin des Fräulein
Johannsen, den feurigen Medarbus des Herrn#
[Lohner, den männlichen Eschenbacher des Herrn
[Maierhofer, den ins Gewaltige wachsenden Herzog des
Herrn Georg Reimers, die zohllosen Einzelfiguren, die
fast das ganze Ensemble des Burgtheaters auf die Beine
brachten — hier Namen anzuführen, hieße einfach den
Theaterzettel abschreiben — aber was allein zum Beifall
hinriß, war die Erinnerung an jenen großen Maientag des
Sturmjahres 1809, an dem ein geknechtetes Volk die ersten
Ketten des korsischen Zwingherrn sprengte. Diesem Geist,
der in unseren Tagen mit allbezwingender Wucht neuerlich
erwacht ist, diesem Geist, der alle Literatenversuche, ihn zu
bannen, überdauern wird, gilt unser Dank.
J—ch.,