II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 633

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22. Deundardus

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I. österr. bebördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Ausschnitt aus:
Das Kleine Blatt, Wige
vom:8. WAl 1932

Theater
„Der junge Medardus.
Burgtheater.—
Au—5Mai wäre Artur Schnitzler
siebzig Jahre alt geworden. Zur Vorfeier dieses
Gedenktages wurde des Dichters Drama „Der
junge Medardus“ neu inszeniert. Als diese
Historie vom Wiener Bürgerssohn, der Napoleon
ermorden wollse, zum erstenmal im Burgtheater
erschien, machte sie mit ihrer Weisheit und ihrer
Poesie einen merkwürdig sanften Eindruck. Darf
man es sagen, daß er sich jetzt nicht wiederholt
hat, wobei es ungeprüft bleiben mag, ob das
heutige Puhlikum daran schuld ist, die nicht ge¬
nügend packende Neubesetzung verschiedener
Rollen im figurenreichen Stück, oder ob die Art
Schnitzlers verblaßt ist und in der lauteren!
Gegenwart nicht mehr bestehen kann? Der junge
Medardus wird jetzt von Herrn Lohner ge¬
spielt. Der zerfahrene, unklare Schwärmer, den
er gibt, ist nur stoßweise von Leidenschaft be¬
feuert und erst im letzten Akt überzeugend. Seine
Mutter ist in der Darstellung der Frau Bleibtreu
noch in Erinnerung. Jetzt gibt sie Frau
Medelsky und zieht diese in ihrem Gefühl
heroische Gestalt mehr ins Alltägliche, allerdings
auch ins Volkstümliche. Den echten und rechten
Wiener vom alten Schlag, den Schwager Etzel,
gibt jetzt Herr Mayerhofer sehr urwüchsig,
und in der Familie Valois ist Frau Johann¬
sen neu, die die Herzenskälte, aber auch die
echie Leidenschaft der schönen Herzogstochter vor¬
trefflich verkörpert. Als ihre Gesellschafterin ist
nunmehr Frau Mayen liebenswürdig und
sogar ein bißchen sentimental. Im ganzen und
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großen kann aber nicht geleugnet werden, daß
dieser neue „Junge Medardus“ nicht den rechten
Kontakt mit dem Publikum fand.
gr
„OBSERVER
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Ausschnitt aus: Der Tag, Wien
-8.WAI 1932
vom:
„Der junge Medardus.
Burgtheater.
* Am 15. Mai wäre Arthur Schnitzler 70 Jahre
alt geworden. Diese Neueinstudierung des „Jun¬
gen Medardus“ hätte demnach den Sinn einer
Festaufführung. Aber sie ist alles eher als eine
Festaufführung. Schnitzlers dramatische Histovie
gibt das Versagen einer Jugend, die trotz der
Forderung einer entscheidungsvollen Zeitwende
nur dem Traum und dem Abenteuer lebt, gibt
die ohnmächtigen Kabalen einer abgelebten herr¬
schenden Welt und denafstieg eines neuen
Volksbewußtseins und gibt schließlich die Tragi¬
komödie des Wienertums. In alldem steckt ein
sehr zeitgemäßer Kern. Auch wir haben eine
Jugend, die zwischen Ich und Gemeinschaft zu
wählen hat, auch wir kennen Enrigrierte, die Hof
halten, während neben ihnen sich eine neue
Daseinsordnung durchkämpft, auch wir erleben die
zu allem Zuschauertum gern geneigten Wiener,
denen alles, auch der Kampf und Untergang der
Mannhaftigkeit, eine Hetz sind. Wie nahe wir der
Schnitzlerschen Historie sind, müßte eine Neu¬
inszenierung zeigen. Aber dazu gehörte eine ins
Dramaturgische und Szenische greifende Neu¬
formung. In sieben Proben läßt sich so was nicht
machen. Besonders nicht bei einem so personen¬
reichen Drama. So blieb der Regie Franz Her¬
sterichs nichts übrig, als für die Abwicklung der
1vielen aufeinander folgenden Bilder und für ihre
Optik zu sorgen. Innere Regie und schauspiele¬
rische Führung mußten vernachlässigt werden.
Betriebsbühne und Kulturtheater können nicht
nebeneinander in einene Haus geführt werden. So
entsteht nur ein unerträglicher Mischmasch. Das#
Burgtheater wird sich entscheiden müssen, in
welcher Form es eigentlich weiterleben will.
Lohner als Medardus setzt jung und sym¬
pathisch ein. Später aber, in den Augenblicken, wo
das Schicksal den Medardus überwältigt und er
zum Toren seiner selbst wird, übersteigert sich
Lohner, da er im Grund ein lyrisch schwärmeri¬
scher Schauspieler ist, ins Tenovale. Aber wie soll
auch eine sich noch suchende Begabung in sieben
Proben zur Entwicklung gebracht werden?! Ahn¬
lich steht es mit Ebba Johannsen als Prin¬
zessin Helene. Auch sie müßte, besonders im
Sprachlichen, dazu geführt werden, sich freizu¬
Ispielen, der Gestalt das Nixenhafte restlos zu
geben, das ein Element ihrer schauspielerischen
Kraft ist. Lotte Medelsky ist eine in der Ner¬
vosität der Empfindung lebende Bürgerin und
Mutter, Maierhofer als Jakob Eschenbacher
ersetzt das vorbildlich Mannhafte, das die Gestalt
braucht, durch gutgelaunte Biederkeit. Elisabeth
Ortner=Kallina spielt ein junges Wiener
Mädchen mit hingebungsvoller Zartheit. Emme¬
rich Reimers ist mit Anstand der beiseite
stehende Buchhändler, Walter Huber spielt den
Wachshuber als Hallodri, während Herr
Wawra das wienerisch Geschwätzige bringt.
=Georg Reimers ist ein Kronprätendent, der