22. Denjunge Medandus
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Eligemeine Zeitung, Wien
vom:
FS. WAl 1837
IE HNIENATEIEIK
„Medardus“ wider
Willen?
Eigenartiger Schnitzler=Abend des Burg¬
theaters
Die Absicht war allzu klar: Ein beschä¬
mend leeres Haus, Ganze Logenrangreihen
unbesetzt. Offenbar strengste Freikarten¬
sperre. Diese Freikartensperre ist ein wun¬
dervolles Mittel. Gegen Dichter wie gegen
lästige geistige Verpflichtungen.
Der sehr verspätete Gedächtnisabend
für Arthur Schnitzler mußte dem Burg¬
theater nämlich erst freundschaftlich abge¬
nötigt werden. Dafür hat man 's uns jetzt
gründlich gezeigt. Uns und Arthur Schnitz¬
ler. Zerknirscht verließ man die Auffüh¬
rung noch vor Schluß. Besseres und
Würdigeres war nicht zu tun.
Welch eine Aufführung! (Der Demon¬
stration zweiter Teil!) Schon diese Flicken¬
und Fetzen=Inszenierung verriet die lieb¬
lose Hand und überdies eine aufreizende
Gleichgültigkeit. Hofrat Herterich hätte als
Regisseur — obzwar er begreiflicher Weise
vom Kleinkrieg des Burgtheaters genug
hat — mehr Proben, ein paar Ueber¬
malungen und einige Besetzungsfreiheit
fordern sollen. Der Besetzungsschlendrian,
namentlich bei den kleineren Episoden,
macht nämlich erschreckende Fortschritte.
Auch sieht es, wenn die Freiwilligen
des Erzherzogs Karl dann in friedlicher
Uniform wiederkehren, doch gar zu sehr
nach St. Pölten aus. (Den Vergleich mit
Krems hat mir mein Freund Aslan schon
vor Jahren untersagt.)
Und doch gelang der Beweis daneben.
Der „Medardus“, diese Revue aphoristi¬
scher Erschütterung, ist noch immer jung als
große Theatermagie eines Schicksalsdichters
box 27/3
M
Allgemeine Zesting
drängtem Nestroy=Akzent, jedenfalls sehr der tief harmonischen österreichischen Un¬
männlich und mit fast launiger Schwermut vollkommenheit. Die Tragödie des verklär¬
aus der kuriosen Affäre. Den Denunzianten## ten Pallawatsch. Das Heldenlied vom herot¬
Wachshuber — noch ist Arnold Korffs
schen Raunzer oder, wenn man will, Anatol
Genievisage der Gemeinheit unvergessen —
1809.
liefert Herr Huber jetzt in subalternerer,
Wundervoll, wie seine gelassene Schick¬
aber schmissig schleichender Ausgabe. Sehr
salsenergie diese saloppe Aufführung über¬
solid und sauber sind. Emmerich Reimers,
strahlt. Wie es da und dort aufblitzt, heiß
nobel gemessen Herr Pranger, mit originel¬
ans Herz greift, wie hoch und leuchtend die
lem Griff niedlich Fräulein Kramer, bild¬
Raketen bittersüßen Geistes steigen. Wie
haft würdig Anna und zart durchseelt
diese Figuren dastehen, marmorkühl und von
Elisabeth Kallina in kleineren, freilich sicht¬
später Sonne abschiedsmild umspielt. Wie
lich rasch gefeilten Chargen. Maria Mayens
der wilde Wind der Jugend durch dunkle!
Wipfel fährt. Wie sich stolz und stumm
drollige und zärtlich schnoddrige Zofe hat
Arme und Wünsche umschlingen.
schon schärfere Kontur.
Als „Zeitbild“ kann man all das frei¬
Da Herr Höbling als General Rapp
lich nicht mehr hinpinseln. Man muß schon
abgegangen, sagt die Prinzeß Helene: „Ein
zu dieser fast fratzenhaften Dämonie vor¬
schlechter Komödiant war va!“ Aber ich
dringen, zu diesem beinahe koketten Blut¬
muß auf die verlockende Polnte leider ver¬
rausch, zum lächelnd mitleidlosen Lebens¬
zichten. Denn inmitten mancher Galopp¬
und Liebesschachspieler Arthur Schnitzler.
entgleisung dieses Abends wahrt Herrn
Das Burgtheater aber sei bescheiden
Höblings selbst= aber auch sprachsichere
gebeten, von solch ostentativ unlustigen
Strammheit die Ehre der Burgtheater¬
Ehrungen abzusehen. Wir widerrufen das
diktion.
voreilige Gelüst reuig. Reuig im Geiste
Dennoch klappert und plappert das
Arthur Schnitzlers, der auf stillen Wegen,
alles nebeneinander her. Wirkt verwischt
herbstumraschelt, sein Werk ruhen und rei¬
und verwackelt. (Gegenbeispiel: Straßnis
fen ließ.
gigantisch gespenstischer „uralter Herr“.)
Keine Sorge, das Burgtheater wird,
Schnitzler, keineswegs verwöhnt durch
würdiger und ehrfurchtsvoller, auf den
Pietätsbeweise, wirds überstehen. Der
„Medardus“ zurückkommen. Oder es wird
„Mebardurs“ schon gar. Er ist Arthur
nicht mehr das Burgtheater sein.
Schnetlers „Peer Gynt“. Das Epos von
Ludwig Ullmann.
—
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
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vom:
FS. WAl 1837
IE HNIENATEIEIK
„Medardus“ wider
Willen?
Eigenartiger Schnitzler=Abend des Burg¬
theaters
Die Absicht war allzu klar: Ein beschä¬
mend leeres Haus, Ganze Logenrangreihen
unbesetzt. Offenbar strengste Freikarten¬
sperre. Diese Freikartensperre ist ein wun¬
dervolles Mittel. Gegen Dichter wie gegen
lästige geistige Verpflichtungen.
Der sehr verspätete Gedächtnisabend
für Arthur Schnitzler mußte dem Burg¬
theater nämlich erst freundschaftlich abge¬
nötigt werden. Dafür hat man 's uns jetzt
gründlich gezeigt. Uns und Arthur Schnitz¬
ler. Zerknirscht verließ man die Auffüh¬
rung noch vor Schluß. Besseres und
Würdigeres war nicht zu tun.
Welch eine Aufführung! (Der Demon¬
stration zweiter Teil!) Schon diese Flicken¬
und Fetzen=Inszenierung verriet die lieb¬
lose Hand und überdies eine aufreizende
Gleichgültigkeit. Hofrat Herterich hätte als
Regisseur — obzwar er begreiflicher Weise
vom Kleinkrieg des Burgtheaters genug
hat — mehr Proben, ein paar Ueber¬
malungen und einige Besetzungsfreiheit
fordern sollen. Der Besetzungsschlendrian,
namentlich bei den kleineren Episoden,
macht nämlich erschreckende Fortschritte.
Auch sieht es, wenn die Freiwilligen
des Erzherzogs Karl dann in friedlicher
Uniform wiederkehren, doch gar zu sehr
nach St. Pölten aus. (Den Vergleich mit
Krems hat mir mein Freund Aslan schon
vor Jahren untersagt.)
Und doch gelang der Beweis daneben.
Der „Medardus“, diese Revue aphoristi¬
scher Erschütterung, ist noch immer jung als
große Theatermagie eines Schicksalsdichters
box 27/3
M
Allgemeine Zesting
drängtem Nestroy=Akzent, jedenfalls sehr der tief harmonischen österreichischen Un¬
männlich und mit fast launiger Schwermut vollkommenheit. Die Tragödie des verklär¬
aus der kuriosen Affäre. Den Denunzianten## ten Pallawatsch. Das Heldenlied vom herot¬
Wachshuber — noch ist Arnold Korffs
schen Raunzer oder, wenn man will, Anatol
Genievisage der Gemeinheit unvergessen —
1809.
liefert Herr Huber jetzt in subalternerer,
Wundervoll, wie seine gelassene Schick¬
aber schmissig schleichender Ausgabe. Sehr
salsenergie diese saloppe Aufführung über¬
solid und sauber sind. Emmerich Reimers,
strahlt. Wie es da und dort aufblitzt, heiß
nobel gemessen Herr Pranger, mit originel¬
ans Herz greift, wie hoch und leuchtend die
lem Griff niedlich Fräulein Kramer, bild¬
Raketen bittersüßen Geistes steigen. Wie
haft würdig Anna und zart durchseelt
diese Figuren dastehen, marmorkühl und von
Elisabeth Kallina in kleineren, freilich sicht¬
später Sonne abschiedsmild umspielt. Wie
lich rasch gefeilten Chargen. Maria Mayens
der wilde Wind der Jugend durch dunkle!
Wipfel fährt. Wie sich stolz und stumm
drollige und zärtlich schnoddrige Zofe hat
Arme und Wünsche umschlingen.
schon schärfere Kontur.
Als „Zeitbild“ kann man all das frei¬
Da Herr Höbling als General Rapp
lich nicht mehr hinpinseln. Man muß schon
abgegangen, sagt die Prinzeß Helene: „Ein
zu dieser fast fratzenhaften Dämonie vor¬
schlechter Komödiant war va!“ Aber ich
dringen, zu diesem beinahe koketten Blut¬
muß auf die verlockende Polnte leider ver¬
rausch, zum lächelnd mitleidlosen Lebens¬
zichten. Denn inmitten mancher Galopp¬
und Liebesschachspieler Arthur Schnitzler.
entgleisung dieses Abends wahrt Herrn
Das Burgtheater aber sei bescheiden
Höblings selbst= aber auch sprachsichere
gebeten, von solch ostentativ unlustigen
Strammheit die Ehre der Burgtheater¬
Ehrungen abzusehen. Wir widerrufen das
diktion.
voreilige Gelüst reuig. Reuig im Geiste
Dennoch klappert und plappert das
Arthur Schnitzlers, der auf stillen Wegen,
alles nebeneinander her. Wirkt verwischt
herbstumraschelt, sein Werk ruhen und rei¬
und verwackelt. (Gegenbeispiel: Straßnis
fen ließ.
gigantisch gespenstischer „uralter Herr“.)
Keine Sorge, das Burgtheater wird,
Schnitzler, keineswegs verwöhnt durch
würdiger und ehrfurchtsvoller, auf den
Pietätsbeweise, wirds überstehen. Der
„Medardus“ zurückkommen. Oder es wird
„Mebardurs“ schon gar. Er ist Arthur
nicht mehr das Burgtheater sein.
Schnetlers „Peer Gynt“. Das Epos von
Ludwig Ullmann.
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