II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 655

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22. Der junge dardus
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Rundschau.
Gesellschaftsverhältnisse, welche wirklich bestehen Unsicherheit der Wertungen, den Zwiespalt zwischen
— nicht nur in Wien — und deren Schwächen und
Absicht und Tat, Tat und Wirkung vorgeführt.
Ernsthaftigkeiten hat der Dichter in dieser psycholo¬
Aber er hat nicht Partei ergriffen.
gischen Tragikomödie auf die Bühne gestellt; die
F. Matras.
Theater.
Prager Schauspiel II.
bar, was der Faust dem deutschen Volke ist, „der
Wie rühmenswert die Aufführung des ganzen
Deutsche atmete einmal wieder auf in erlaubtem
„Faust“ nach Wilbrandts Bearbeitung am Kgl.
Selbstgefühl, er sagte sich mit Stolz: das Alles liegt
Deutschen Landestheater war, ist hier schon kurz mit¬
in Deinem Volk und also auch in Dir“. „Was ist es
geteilt worden.
nun wohl, was uns Alle ohne Unterschied so allge¬
Am 29. August 1829 wurde der erste Teil des Faust
waltig an den Faust fesselt? . . das Gedicht hat
zur Feier von Goethes 80. Geburtstage zum ersten¬
ebenso großen Reiz für die Massen, wie für die
mal in Weimar aufgeführt, nachdem schon mehrmals
gebildeten Klassen. Es ist ganz einfach, so simpel das
(1810, 1814, 1828) von verschiedenen Seiten an ver¬
klingen mag, die unvergleichliche, wahrhaft einzige
schiedenen Orten Ansätze — zum Teil mit Willen
Darstellung des Mittelalters, die jedermann, auf
jedem Standpunkt, hinreißt
des Dichters — zu Aufführungen sowie auch die Ur¬
aufführung zu Braunschweig am 19. Januar 1829,
Die Sehnsucht nach einem Festspielhause wird
von Direktor August Klingemann geleitet, stattge¬
mächtig, wenn wir ausschauen nach der Möglichkeit
funden hatte. Der Dichter selbst hat des öftern ge¬
einer der Vollendung nahe kommenden Darstellung
sagt, daß er bei der Arbeit niemals an eine Auf¬
der Himmel, Erde und Hölle umspannenden Dich¬
führung gedacht habe, „daß es ein mißliches Unter¬
tung. Selbst an den berufensten Stätten, dem Burg¬
nehmen sei, ihn aufzuführen; auch darin, wie in
theater zu Wien und dem Reinhardtschen Musentem¬
vielen anderen Beziehungen bilde der erste Teil einen
pel zu Berlin, wo alle Mittel, vor allem Zeit und Geld,
Gegensatz zum zweiten, da dieser geradezu für die
in Hülle und Fülle vorhanden waren und sind, ist
Bühne gedichtet sei.“) Nach einigem Sträuben hat
eine solche Darstellung nach dem Urteile der Wissen¬
er den Weimarer Freunden seine Einwilligung ge¬
den nicht zu verzeichnen. Aber, wenn man nach
geben, ja er hat sogar tätig Anteil genommen an dem
Bayreuths Muster die geeignetsten Kräfte zu monate¬
Zustandekommen der Aufführung, der er aber selbst
langer Vorbereitung, die durch nichts gestört wird,
nicht beiwohnte. Die große Rolle, welche nach des
zusammenrufen könnte, dürfte man hoffen, zum
Faust wallfahren zu können.
Dichters Wunsch die Musik dabei spielen sollte, be¬
weisen die erhaltenen Zusätze, die von Chören bei
Bedenkt man nun die tausenderlei Schwierig¬
bedeutenden Augenblicken — Kontrakt Faustens mit
keiten, so erscheint die Leistung unseres Prager Schau¬
Mephisto, und am Schluß des ersten Teiles (mehr
spieles in noch viel hellerem Lichte. Nur ist gegen die
war damals nicht bekannt!) mit Posaunen — ge¬
Wilbrandt'sche Fassung mancherlei einzuwenden.
sungen wurden. Seine Abneigung gegen die Auf¬
Die Zueignung und das Vorspiel auf dem Theater
bilden in ihr mit dem Vorspiel im Himmel und den
führung hat Goethe aber trotz alledem nicht aufge¬
geben. Kein Wunder, wenn wir die Kürzungen und
Szenen bis einschließlich der Hexenküche den ersten
Verwässerungen, die man damals für nötig hielt,
Abend. Das Vorspiel auf dem Theater ist zweifellos
reizvoll, die Verbindung mit der als Monolog des
kennen lernen. Auch die Darsteller würden ihm wohl
Dichters gesprochenen Zueignung ist eine Geschmacks¬
nicht genügt haben, was Marianne von Willemer
entgleisung (vielleicht war sie das für das Gefühl
in einem Briefe an Goethe aussprach: „Faust und
Gretchen! Wer darf sie spielen, und sagen: das sind
früherer Jahrzehnte nicht) — beides sollte doch fallen
sie!“
gelassen und mit dem Himmel angefangen werden.
Als Hebbel in Wien den Faust sieht, schreibt er:
Es gibt ja Bühneneinrichtungen, die den Faust in
zwei Abende einteilen. Der erste Teil, die Gretchen¬
„Auf eine Kritik der Darstellung will ich mich nicht
tragödie, ist freilich sehr umfangreich — man greift
einlassen, denn der Faust ist kaum eine Probe für den
mimischen Künstler, er spielt sich teils von selbst und
oft zu dem Auskunftsmittel von Kürzungen, die
ist zum Teil garnicht zu spielen.“ In demselben Auf¬
Walpurgisnacht fällt ihm gewöhnlich zum Opfer —
satz (Wiener Reichs=Ztg. 1849) umschreibt er wunder¬
aber, wenn man den Beginn auf 6 Uhr festsetzt, was
man bei Wagner häufig tut, würde man doch nicht
1) Dr. H. G. Gräf „Goethes Anteil an der ersten
allzu spät schließen. Übrigens hält die Spannkraft
Faust=Aufführung in Weimar“. Weimar. H. Böhlaus Nach¬
folger. 1904.
des Publikums gewiß aus; ich entsinne mich einer